3100 St. Pölten
Ein Kollegiatstift an der Kirche des Heiligen Hippolyt an der Traisen, einem Nebenfluss der Donau in Niederösterreich, wurde im 11. Jahrhundert von den Bischöfen von Passau errichtet, die Haustradition nennt Berengar und Eigilbert ihre Gründer. Möglicherweise hat hier ursprünglich eine Zelle des Klosters Tegernsee bestanden, 976 wird ein Hyppolitkloster in Traisen in einer Besitzbestätigung Kaiser Ottos II. für den Bischof von Passau genannt. Nach 1083 wird unter Bischof Altmann von Passau die Augustiner-Chorherrenregel eingeführt. Im 12. Jahrhundert werden Kloster und Kirche gebaut, ein Frauenkonvent ist erstmals genannt. Dem Kloster wurden mehrere Pfarren inkorporiert, darunter Bruck an der Leitha und Retz. Nach Krisen in der Reformationszeit erholte sich das Kloster im 17. Jahrhundert unter seinem bedeutendsten Propst Johannes Fünfleutner. Er ließ das Kloster neu erbauen. Die Barockisierung der Stiftskirche betrieb im 18. Jahrhundert trotz schlechter wirtschaftlicher Lage des Hauses Propst Michael Führer und begab sich damit in Opposition zu seinem Kapitel. Zum fiktiven 1000jährigen Jubiläum des Klosters im Jahr 1740 sollte die Stiftskirche unter der Bauleitung von Jakob Prandtauer und Josef Munggenast vollendet werden, doch 1739 wurde Propst Michael wegen Schuldenmachens auf Klage seines Stiftsdechants vom Klosterrat seines Amtes enthoben. Das Stift wurde unter Administration gestellt, unter den letzten Pröpsten trat eine Verbesserung der finanziellen Lage ein. Die Aufhebung unter Kaiser Joseph II. im Jahr 1784 hat wesentlich mit der Diözesanregulierung zu tun. Der Einfluss des Bischofs von Passau, dessen Diözese sich über die Landesfürstentümer Österreich ob und unter der Enns erstreckte, sollte zurückgedrängt und eigene österreichische Bistümer errichtet werden. 1785 wurde der seit dem Spätmittelalter bestehende Bischofssitz Wr. Neustadt nach St. Pölten verlegt und Kirche und Kloster als Dom und Bischofshof adaptiert.
- Friedrich Schragl, St. Pölten, in: Floridus Röhrig (Hg.), Die ehemaligen Stifte der Augustiner-Chorherren in Österreich und Südtirol (Klosterneuburg 2005) 447‒483.
- Heinrich Fasching (Hg.), Dom und Stift St. Pölten und ihre Kunstschätze (St. Pölten 1985).
Urkunden, Kopialbücher sowie einige Lehen- und Dienstbücher des ehemaligen Chorherrenstifts befinden sich heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, Urkundendigitalisate sind online auf www.monasterium.net. Im Diözesanarchiv St. Pölten befinden sich nur mehr ein Karton Akten, zehn Urkunden und sieben Bücher aus dem Klosterbestand, sowie das Archiv des ehemaligen Kloster- und nunmehr bischöflichen Guts Ochensburg.
Die Stiftsbibliothek mit etwa 7000 Bänden ging 1785 in den Besitz der neu gegründeten Diözese über und wurde Grundstock der Diözesanbibliothek. Sie enthält 80 mittelalterliche Handschriften und 140 Frühdrucke. Handschriftendigitalisate sind online auf www.manuscripta.at.
Gerhard Winner, Zur Bibliotheksgeschichte des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes St. Pölten, in: Translatio Studii Translatio studii - Manuscript and library studies honoring Oliver L. Kapsner, O.S.B., Hg. v. Julian. G. Plante, (Collegeville, Minn. 1973) 48‒74.