Wer war dem Überfallenen der Nächste? Das ist die Frage. Nicht der andere ist mein Nächster, sondern ich bin der Nächste zum anderen. Die Frage stellt sich aus der Sicht des in Not Geratenen: Wer ist mein Nächster? Nächstenliebe ist so nicht die Hilfe für den Nächsten, sondern selbst jemand anderem der Nächste werden.
Deswegen ist es auch ein Schmarrn in Fernsten- und Nächstenliebe zu trennen. Die Geschichte sagt: Wir können uns die Nächsten nicht aussuchen. Weil sie uns aussuchen. Weil wir selbst die Nächsten werden können im Ernstfall. Es geht darum, sich zu trauen in die Nähe des Elends, aber nicht, um sich schamlos daran zu weiden oder in seinem Mitleid selig zu werden, sondern um so effektiv wie möglich aus ihm herausführen zu können.
Nächstenliebe ist keine Abstandsmessung, sondern eine Standortbestimmung.
Martin Schenk | Sozialexperte & stv. Direktor der Diakonie Österreich Psychologe