Verborgene Ordensschätze als Studienobjekte
Einblicke in die Vergangenheit: Eine Studierende bei der Durchsicht der historischen Paramente. (c) Universität für Angewandte Kunst
Die erste Oktoberwoche 2022 werden die zahlreichen Kunst- und Kulturgüter im Konvent der Karmeliten in der Silbergasse 35 wohl so schnell nicht vergessen: Als 19 Studierende der Universität für Angewandte Kunst das Kloster besuchten, um sie Stück für Stück unter die Lupe zu nehmen, fand ihr jahrzehntelanger Dornröschenschlaf ein jähes Ende. Hintergrund der unerwarteten Ruhestörung war ein innovatives Kooperationsprojekt zwischen dem Institut für Konservierung und Restaurierung der „Angewandten“ in Wien, dem Bereich Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz und dem Karmelitenkonvent in Wien.
Die Idee für das Projekt entstand anlässlich eines Besuchs von Karin Mayer, Leiterin des Bereichs Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz, bei Provinzial Alexander Schellerer OCD und Prior P. Antonius Dewa OCD im Kloster der Karmeliten. Als die beiden Ordensmänner ihr den Depotraum mit unzähligen gelagerten Kunstgegenständen zeigten, war schnell klar, dass die Gegenstände gereinigt, geordnet und katalogisiert gehören. Es folgten Gespräche mit Prof. Gabriela Krist von der Universität für Angewandte Kunst, die sofort Interesse zeigte – und zu Beginn des Herbstsemesters 2022/23 wurde der Plan dann in die Tat umgesetzt.
Bilder der Vergangenheit: Manche Gemälde befinden sich schon seit 400 Jahren hinter den Döblinger Klostermauern. (c) ÖOK
Win-win-Situation für Studierende und Ordensleute
Mit der ungewöhnlichen „Praxisübung hinter Klostermauern“ war sowohl den Studierenden als auch den Ordensleuten gedient: Über die Jahrhunderte hatte sich eine Vielzahl an Gemälden, Holzskulpturen und liturgischen Gewändern im Ordenskonvent gesammelt, und es fehlte bei den Karmeliten der Überblick über den Gesamtbestand. Gleichzeitig erhielten die Studierenden eine Möglichkeit, ihr theoretisches Wissen über Inventarisierung, Bewertung und fachgerechte Lagerung in der Praxis anzuwenden.
Kunstgegenstände aus mehreren Jahrhunderten
Bevor es losging, wurde die Projektgruppe über den Tagesablauf und die Gebetszeiten der Karmeliten informiert, sodass die Ordensmänner nicht in ihrer täglichen Routine und ihren Stillezeiten gestört wurden. Die Projektwoche war somit vom ersten Augenblick an von großem gegenseitigem Respekt geprägt.
Zunächst standen die Studierenden vor der Herausforderung, sich einen Überblick über die im Depotraum, der Sakristei und in diversen Gängen und Räumen untergebrachten Kunstgegenstände zu verschaffen. Es wurden Arbeitsplätze mit Tischen und Materialien vorbereitet, dann konnten die Kulturgüter von den angehenden Kunstexpert:innen nach Fachbereichen geordnet und entstaubt werden.
Vom Staub befreit: Die Kunstgegenstände wurden vor der Inventarisierung fachgerecht gereinigt. (c) Universität für Angewandte Kunst
Die Gemälde, die zu Tage traten, befinden sich teilweise schon seit 400 Jahren hinter den Döblinger Klostermauern. Zu den Highlights zählt unter anderem ein aus 13 Gemälden bestehender Zyklus, der das Leben und die Legende des hl. Elija zum Thema hat. Auch mehrere Bilder von Ordensheiligen wie der hl. Teresa von Ávila und der hl. Thérèse von Lisieux sowie eine Reihe von Darstellungen des Gnadenbildes der Hl. Maria mit dem geneigten Haupt sind erwähnenswert.
Etwas bescheidener präsentiert sich der Bestand an Skulpturen, auch wenn sich darunter einige qualitätsvolle Stücke befinden, allen voran eine barocke Skulptur der hl. Teresa von Ávila sowie Darstellungen der hl. Barbara und der hl. Elisabeth.
Bei den Textilien reichen die von den Studierenden erfassten Kunstgegenstände von historischen Paramenten wie Kaseln, Stolen und Bursen über einzelne Fahnen bis hin zu Altardecken. Nicht überraschend für ein Kloster, gibt es auch einen großen Bestand an Kruzifixen.
Detaillierte Bestandsaufnahme
Im Zuge der Inventarisierung wurden alle Objekte fachgerecht gereinigt und anschließend fotografiert. Begleitet vom Textilhistoriker Michael Ullermann und dem Kunsthistoriker Johann Kronbichler, bewerteten die Studierenden auch den Zustand der Kunstgegenstände. Abschließend erfassten sie alle Details in einer Excelliste, die es ermöglicht, die gesammelten Informationen später einmal in eine Datenbank zu übertragen.
Kunst im Bild: Alle Gemälde, Skulpturen und Textilien wurden im Zuge der Inventarisierung auch fotografiert. (c) Universität für Angewandte Kunst
Bewahrung der Kulturgüter der Orden
So wie im Döblinger Karmelitenkloster haben sich in vielen Ordenshäusern im Laufe der Zeit Dinge angesammelt, die, auf Dachböden oder in Kellern gelagert, nicht dokumentiert wurden und damit in Vergessenheit geraten sind. Dabei erzählen sie Geschichten, geben Auskunft über ein Ordensleben, über die Spiritualität und über Menschen, Ordensfrauen und Ordensmänner, die an diesen Orten gewirkt haben. Sie wieder ans Licht zu bringen, zu inventarisieren und für die Zukunft zu bewahren, ist das erklärte Ziel der Ordensgemeinschaften. Der Bereich Kultur und Dokumentation unterstützt deshalb Orden in ganz Österreich beim Inventarisieren und Bewerten ihres Kulturgüter-Bestands.
Doch nicht alles ist wertvoll. „Oft lagert Alltägliches neben seltenen Kunstgegenständen“, weiß Bereichsleiterin Karin Mayer zu berichten. „Und oft geht es auch gar nicht um den materiellen, sondern um den ideellen Wert, den ein Gegenstand besitzt.“ Für Ordensleute ist dann gar nicht einfach zu entscheiden, was erhaltenswert ist oder nicht. Hier gibt Mayer kompetent und einfühlsam Hilfestellung.
Eine Heilige neben der anderen: Unter den Skulpturen befinden sich u.a. eine barocke Skulptur der hl. Teresa von Ávila sowie Darstellungen der hl. Barbara und der hl. Elisabeth. (c) Universität für Angewandte Kunst
Erfolgsstory mit Fortsetzung
Die Kooperation zwischen dem Kulturbereich der Ordenskonferenz, dem Karmelitenorden und der Universität für Angewandte Kunst war für alle Beteiligten ein voller Erfolg. Prior P. Antonius Dewa zieht zufrieden Bilanz: „Das gesamte Projektteam, die Studierenden, Assistentinnen und Kunsthistoriker gingen nicht nur mit einer großen Wertschätzung und Begeisterung an die Arbeit, sondern auch mit Liebe und Professionalität. Damit ist ein erster Schritt gemacht, damit man den Kunstbestand eines Tages eventuell auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen kann.“
Beflügelt durch die positiven Erfahrungen, erfolgte vor kurzem der Startschuss für den nächsten gemeinsamen Schritt, die Planung eines fachgerechten Depots für die Kunstgegenstände.
Weiterlesen:
Bereich Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz
Universität für Angewandte Kunst (Institut für Konservierung und Restaurierung)
[markus lahner]