Jesuiten für Europa
Gerade einmal zwei Jesuiten arbeiten im European Social Centre in Brüssel mit drei Mitarbeiterinnen. In der Chapel of Europe wirken zwei weitere Jesuiten mit einem Team von Laien, im Jesuit Refugee Service ein Jesuit mit fünf MitarbeiterInnnen. Dazu kommt in Brüssel noch der Präsident der europäischen Provinziälekonferenz mit zwei Assistenten. Angesichts der 55.000 MitarbeiterInnen in den europäischen Institututionen eine verschwindende jesuitische Minderheit. Nicht zu vergessen die geschätzten 25.000 Lobbyisten, also Personen, die durch persönliche Verbindungen alles daran setzen, auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse im Europäischen Parlament Einfluss zu nehmen. Kann es da den Jesuiten und ihrem Team überhaupt gelingen, den Orden in Brüssel Aufmerksamkeit zu verschaffen? P. Martin Maier, seit Oktober 2014 als Beauftragter des Jesuitenordens für Europäische Angelegenheiten im Zentrum tätig, sagt dazu: „Diese Frage ist berechtigt. Doch mit Papst Franziskus wächst auch in Brüssel ein neues Interesse an der Stimme und den Beiträgen der Orden und der Kirche.“
Europa im Blut
Dass sich die Jesuiten für Europa interessieren und engagieren, ist keine spontane Entscheidung des Ordens als Reaktion auf den in den 1950-er Jahren beginnenden europäischen Einigungsprozess. Es liegt der Ordensgemeinschaft sozusagen im Blut. „Die Gesellschaft Jesu ist ein europäisches Projekt seit ihren Ursprüngen“, sagt P. Maier. Ignatius von Loyola habe während seiner Studienzeit in Paris von 1528 bis 1534 eine Gruppe von Freunden aus unterschiedlichen Ländern Europas versammelt, die zum Teil miteinander im Krieg standen. Diese Gruppe wurde zur Keimzelle des Jesuitenordens, der in seiner missionarischen Dynamik bald auch eine weltweite Ausrichtung fand. P. Maier: „Von daher lag es nahe, dass die Jesuiten das Projekt der europäischen Einigung seit seinen Anfängen begleiteten.“ Und als die europäischen Institutionen ihren Schwerpunkt von Straßburg nach Brüssel verlagerten, taten das auch die Jesuiten und nannten ihr Zentrum 2012 „Jesuit European Social Centre“.
Visionen und Werte für Europa
„Visionen und Werte für Europa“ wollen die Jesuiten in Brüssel einbringen. So heißt es auf der Homepage des Jesuit European Social Centre. Was bedeutet das konkret? P. Maier berichtet: „Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die Anliegen unseres Ordens gegenüber den Institutionen der EU zu vertreten. Das ist vor allem der Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit, für den interreligiösen Dialog und die Inkulturation des christlichen Glaubens.“ Eine zentrale Leitlinie ist die Option für die Armen. „Von daher versuchen wir in Brüssel vor allem Stimme derer zu sein, die in Europa keine Stimme haben.“ Die Armen und Machtlosen werden im politischen Entscheidungsprozess oft ausgeklammert und vergessen. Das Team der Jesuiten im Sozialzentrum will dagegenwirken durch Teilnahme an der parlamentarischen Intergruppe zur Armut in Europa, „Lobbying“ für Flüchtlinge und Asylsuchende, Begegnungen und Gespräche mit Abgeordneten und EU-Beamten zu Themen der kirchlichen Soziallehre, einen Studientag zum christlich-islamischen Dialog usw. Dieser Einsatz reicht über Sitzungen und Treffen, über Positionspapiere und Petitionen weit hinaus. Immer wieder gehe es darum, Jesuiten aus anderen Ländern mit Vertretern der EU in Brüssel in ein Gespräch zu bringen. P. Maier erzählt: „Für einige Monate hat ein syrischer Jesuit in unserem Team mitgearbeitet. Er war Leiter des Jesuitenflüchtlingsdienstes in Syrien und konnte aus erster Hand über die Leiden der Bevölkerung berichten.“ Um die Realität in den Krisenländern der EU und den Kontakt mit Armen und Menschen vor Ort nicht zu verlieren, geht P. Maier selbst hinaus an die Brennpunkte des Geschehens: „Ich war im Sommer zu einem Besuch in Griechenland, wo eine neue Präsenz des Jesuitenflüchtlingsdienstes geplant ist.“

Vom 24. bis 28. Juni 2014 organisierte das Jesuit European Social Centre die „Soziale Woche“. Über 70 Jesuiten, deren MitarbeiterInnen und Freiwillige aus verschiedenen sozialen Werken der Jesuiten in ganz Europa versammelten sich zum Thema „Ehrenamtliche Arbeit und das Gemeinwohl: Engagement für eine aktive Bürgerschaft.“ Foto: © JESC
International vernetzt
Vernetzung und Kooperation ist in Brüssel das Um und Auf. Ohne Partner stehe man allein da und könne in der Europäischen Union auch wenig bewirken, so P. Maier. Deshalb arbeiten nicht nur die Provinzen und Werke der Jesuiten europa- und weltweit zusammen. Mit nationalen und internationalen Gruppen setzen sich die Ordensleute für eine gerechtere Ordnung ein. „Unser wichtigster Kooperationspartner ist die COMECE, die Kommission der Bischofskonferenzen der EU-Länder. Gemeinsam mit der COMECE geben wir die Internetzeitschrift „Europe Infos – Die EU aus christlicher Perspektive“ heraus, die auf Deutsch, Französisch und Englisch erscheint und zu aktuellen EU-Fragen aus einer christlichen Perspektive Stellung nimmt.“ Kontakte gebe es auch zum Europazentrum Espaces der Dominikaner. CIDSE, die Dachorganisation katholischer europäischer Hilfswerke, Justitia et Pax Europa, Caritas Europa und ökumenisch die Vertretung der KEK, der ökumenischen Konferenz der Kirchen, seien weitere Kooperationspartner. Ein anschauliches Beispiel für ein funktionierendes und starkes Netzwerk ist der europäische Jesuitenflüchtlingsdienst. Er besteht aus 13 Länderbüros und ist außerdem vernetzt mit Partnern und Ansprechpartnern in Österreich, Griechenland, Luxemburg, Slowakei und Spanien. Diese Vernetzung mit lokalen Partnern in vielen Beitrittsländern der EU stärkt die Position des Flüchtlingsdienstes, wenn er die Europäische Kommission auf die Menschenrechte und den Schutz der Flüchtlinge und Migranten aufmerksam macht und zu gemeinsamer Solidarität auf nationaler und internationaler Ebene aufruft.
Von Franziskus ermutigt
Die Ordensgemeinschaften in Europa in Erinnerung zu rufen geschieht nicht nur durch die Internetzeitschrift „Europe Infos“ (www. europe-infos.eu) und die Webseite (www. jesc.eu). Immer wieder organisiert das Zentrum Vorträge und Konferenzen, zum Beispiel im November mit Kardinal Peter Turkson zur neuen Enzyklika des Papstes „Laudato si“. Mit seinem Besuch auf der italienischen Insel Lampedusa hat der Papst die Aufmerksamkeit auf die Not der Flüchtlinge im Mittelmeer gelenkt. Von Franziskus, der immer wieder dazu aufruft, zu den Menschen hinzugehen an die Ränder des Schmerzes, der Ungerechtigkeit oder des Elends, fühlen sich die Jesuiten in ihrem Engagement für Europa ermutigt. Vom 24. bis 28. Juni 2014 organisierte das Jesuit European Social Centre die „Soziale Woche“. Über 70 Jesuiten, deren MitarbeiterInnen und Freiwillige aus verschiedenen sozialen Werken der Jesuiten in ganz Europa versammelten sich zum Thema „Ehrenamtliche Arbeit und das Gemeinwohl: Engagement für eine aktive Bürgerschaft.“
Foto Teaser: P. Martin Maier SJ, Beauftragter für Europäische Angelegenheiten im Jesuit European Social Centre (JESC). Foto: © JESC
Aus: ON 6/2015. Das ganze Heft lesen Sie hier.
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Gläserne Hochhäuser, moderne Bürokomplexe: die Zentrale der Europäischen Union in der belgischen Hauptstadt Brüssel ist eine eigene Welt. Mitten hinein in diese Welt haben sich die Jesuiten und ihre weltlichen MitarbeiterInnen begeben. Durch das Europäische Sozialzentrum (Jesuit European Social Centre) und den europäischen Jesuiten-Flüchtlingsdienst (Jesuit Refugee Service) geben die Ordensleute denen eine Stimme, die sonst in diesem Machtzentrum keine haben.