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28. Januar 2016

Von der Wiege in die Wiege

Von 17. Oktober bis 8. November 2015 machten sich PilgerInnen aus der ganzen Welt zu Fuß auf den "Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit" auf. In Österreich gingen vier KlimapilgerInnen die gesamten 400 Kilometer von Wien nach Salzburg Richtung Weltklimagipfel in Paris - und besuchten unterwegs neben vielen Hotspots der Nachhaltigkeit auch einige Klöster und Stifte, weil hier der Gedanke der Schöpfungsverantwortlichkeit schon immer eine große Rolle gespielt hatte. Einer der vier war Ferdinand Kaineder; er zog jetzt in "Ypsilon", dem Magazin der Katholischen Männerbewegung, sein Resümee.

Die drei mächtigsten Projekte aus dem „Rucksack der Alternativen“, die wir bei unserem 22-tägigen Klimapilgern Anfang November von Wien nach Salzburg in Richtung Weltklimagipfel in Paris gesammelt haben, sind: 1. Bei Melk gibt es die Druckerei Gugler, die weltweit als erste „cradle to cradle“ produzieren. Ihre Produkte sind so im Kreislauf gemacht, dass sie am Ende wieder in die Wiege gelegt werden können. Das berührt mich, den es könnte die Wiege unseres zweiten Enkelkindes sein. 2. Die Marienschwestern realisieren in ihren Kurhäusern in Bad Kreuzen, Aspach und Bad Mühllacken die Traditionelle Europäische Medizin. Das, was rund um uns ist, heilt uns. Alles ist lokal produziert. Lokale Kräuter und lokales Wissen werden für die Heilung eingesetzt. 3. Die Streuobstwiesenschokolade von Ottensheim bezeugt, dass hier seit Jahren eine Gemeinde nachhaltige Community, Gemeinschaftsprojekte und Produkte fördert und realisiert. Diversität und Lokales steht im Mittelpunkt. Der gemeinsame Nutzen steht vor Einzelinteressen. Internationale Preise sind schon nach Ottensheim gekommen.

Wachstum funktioniert nicht mehr

Auch in Laudato Si von Papst Franziskus geht es um den dringenden Appell an alle Menschen, gemeinsame Sorge „für das gemeinsame Haus“ zu tragen. Die Enzyklika ist offen, definiert, deutlich, verständlich, ist scharf in der Kritik und reich gefüllt mit konkreten Vorschlägen. Papst Franziskus bietet damit einen offenen Dialog über globale Entwicklungsprozesse an, die alle Menschen betreffen. Er zeigt, wie soziale und ökologische Fragen untrennbar verbunden sind. Sie gehen immer miteinander einher und prägen vor allem das Leben der Ärmsten. Er fordert alle auf, das gängige Wachstumsmodell, an dem sich in unseren Ländern die  politischen Entscheidungen, wirtschaftliche Produktionsformen und soziale Bewertungen orientieren, auf seine Auswirkungen hin zu prüfen. Er lädt ein, das Konzept von „Fortschritt“ gründlich zu überdenken, das sich in unseren Köpfen massiv festgesetzt hat.  Ich selber fordere, dass der #COP21 in Paris mit dem „Wachstumsparadigma brechen muss“. Ich sehe als Leit-Paradigma die Solidarische Ökonomie.

Leben in der Megamaschine

Persönlich habe ich als Klimapilger im Sommer via Twitter fast täglich einen Satz von Laudato Si gepostet. 144 Zeichen sind nicht viel. Es hat mir gezeigt, dass fast jeder Satz ohne größere Zusammenhänge Aussagekraft und Verständlichkeit besitzt. Wer dieses Dokument genau studiert, wird zwei Menschenbilder miteinander ringen sehen. Auf der einen Seite das rein technokratische Bild vom Menschen, das der Papst in seiner jetzigen Form massiv kritisiert. Auf der anderen Seite stellt er das spirituell-ökologische Bild vom Menschen in den Vordergrund. Meine Erfahrung zeigt mir, dass gerade das Gehen und Pilgern eine wunderbare Methode ist, in das neue Bild vom Menschen hineinzugehen. Die Menschen sind heute zu „geschlossen“. Der Mensch wird als konsumierende und funktionierende Maschine gesehen. Alle Werbung geht in diese Richtung. Selbst Emotionen werden technokratisch instrumentalisiert. Ein Buch hat diesen Trend unglaublich scharf und klar dargestellt: Die Megamaschine von Fabian Scheidler.

Alles ist verbunden

Eine „ganzheitlichen Ökologie“ besteht hingegen darin, die gesamte Schöpfung als „gemeinsames Haus“ zu erfassen und zu erleben. Es geht zuerst um den Lebensraum, den wir alle teilen, dessen Zustand alle betrifft. Der Papst sagt Mitwelt statt Umwelt. Das finde ich sehr wesentlich.  Alles ist in Verbindung. Materie und Lebewesen sind untereinander eng verbunden und aufeinander angewiesen. „Ich glaube, dass Franziskus das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie ist.“ Mit diesem Satz über den hl. Franziskus begründet der Papst die „ganzheitliche Ökologie“. Die KSÖ-Mitarbeiterin Paloma Fernández de la Hoz sagt es so: „Denn gerade darin liegt seine zentrale Aufforderung: eine ganzheitliche Ökologie zu leben und zu ermöglichen: Umwelt-, Wirtschafts,- Sozial-, Kultur- und Humanökologie sind Teilaspekte einer ganzheitlichen Ökologie, denn alle Lebensbereiche sind miteinander verbunden. Konkret geht es darum, Wechselwirkungen zwischen den Ökosystemen und den verschiedenen sozialen Bezugswelten zu identifizieren. Partielle und isolierte Kenntnisse werden zu einer Art von Ignoranz, wenn sie nicht in eine umfassendere Sicht der Wirklichkeit eingefügt werden. Daher ist es erforderlich, Modelle der Entwicklung, der Produktion und des Konsums in Zweifel zu ziehen und nach einem anderen Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt zu suchen.“

Transparenter Dialog

Franziskus sieht den sozialen Dialog als einen Beitrag zum Frieden. Er adressiert „Laudato Si“ nicht nur an die ChristInnen, sondern an alle Menschen. In der Offenheit liegt für den Papst die Qualität eines Dialogs. Es geht um einen Austausch verschiedener Erfahrungen und Perspektiven und nicht um den Kampf um mehr oder weniger verschleierte partikulare Interessen. Diese Partikularinteressen der Mächtigsten werden immer wieder im Text kritisiert und als ein ausschlaggebender Grund für die Beschädigung des „gemeinsamen Hauses“ gesehen. Sie haben zu einer falschen Anwendung der Technologie geführt. Sie verschlimmern die Lebensbedingungen der Armen. Sie entziehen der Öffentlichkeit wesentliche Informationen und führen zu falschen politischen Entscheidungen. Sie generieren Korruption. Hingegen implizieren Prozesse des offenen Dialogs eine transparente Kommunikation zwischen allen Beteiligten.

Glückliche Genügsamkeit

Wir alle tragen Verantwortung als BürgerInnen und Mitglieder der Zivilgesellschaft. Meine tiefe Motivation für die fast 400 km Fußweg beim Klimapilgern war auch die Selbstermächtigung als Konsument. Wir nutzen unsere Macht zu wenig. Wir entscheiden, wie und wo unsere Lebensmittel und Güter erzeugt werden. Darüber hinaus sind bei meinem Gehen die zwei Grundfragen immer weiter gewachsen: „Wie geht Reduktion? Wie kommt mehr Liebe in die Welt?“ Viele Projekte, die wir gesehen haben, Menschen, denen wir begegnet sind, Landschaften, die wir bewundert haben, haben dann eine „Schönheit“ entfaltet, wenn sie aus der tiefen Quelle der Spiritualität gespeist waren. Es waren immer Menschen, die nicht zufrieden waren im Gefängnis der jetzigen Plausibilitäten und oft Unerhörtes gewagt haben. Alleine auf der schmalen Spur dieser fast 400 km durch Österreich haben wir das Aufkeimen einer neuen Welt, die Transformationen hin zu einer neuen Wirtschaft erlebt. Auch die Medien sind zum Großteil Gefangene des laufenden Systems und entwickeln keine Kritik mehr, weil sie von den Werbeeinnahmen finanziert werden. Es liegt an uns, das Neue und fast noch Unscheinbare zu suchen, ans Licht zu heben und mit dem konkreten Alltag in Verbindung zu bringen. Gerade die Entwicklung eines neuen Lebensstils auf Grundlage von Genügsamkeit und Demut ist erforderlich. Das Büchlein von Pierre Rabhi „Glückliche Genügsamkeit“ war im Rucksack mit. Der Gedanke an die kommenden Generationen müsste eigentlich den tiefsten Motivationsschub auslösen. Wir haben kein Recht, deren Lebenschancen zugrunde zu richten. Darum: Alles im Kreislauf von der Wiege wieder in die Wiege zu denken und konsequent tun.

Der Artikel erschien in der Ausgabe Ypsilon 01/16

[fk]

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