Die Salesianer Don Boscos in Istanbul im Einsatz für benachteiligte Jugendliche und Flüchtlingskinder
In Istanbul ist die Flüchtlingskrise weniger spürbar als in vielen anderen Landesteilen. „Die meisten Flüchtlinge befinden sich in den Grenzregionen, nach Istanbul kommen vergleichsweise wenige“, so Don Andrés. Auch deshalb, weil vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) anerkannte Flüchtlinge keine Reisefreiheit hätten – sie würden einer konkreten Stadt zugewiesen und das sei in den seltensten Fällen das von vielen Touristen besuchte Istanbul. Trotzdem sei der immer größer werdende Zustrom von Flüchtlingen und Migranten in der Stadt deutlich spürbar.
Die Don Bosco Flüchtlingsschule
Die Flüchtlinge haben in der Regel keine Arbeitserlaubnis, auch wenn diesbezüglich eine neue Gesetzeslage angekündigt wurde. Sie bekommen keinerlei finanzielle Unterstützung, ihre Kinder dürfen nicht in normale türkische Schulen gehen. Umso wichtiger ist die Flüchtlingsschule der Salesianer, die nach dem 1. Irakkrieg eingerichtet wurde und ursprünglich nur für einen begrenzten Zeitraum geplant war. Derzeit kommen die meisten Schüler aus Syrien und dem Irak, es gibt aber auch Flüchtlingskinder aus Afghanistan, Marokko, dem Iran und Pakistan. Ihre Familien möchten nicht in der Türkei bleiben, sondern legal in andere Länder wie insbesondere Kanada, die USA und Australien weiterreisen. Auf eine entsprechende Zuweisung warten sie meist viele Jahre.

Kinder in der Don Bosco Schule
Die Flüchtlingsschule betreut zwei Altersgruppen von Minderjährigen: Kinder im Alter von 5 – 15 Jahren und Jugendliche. Ihre wichtigsten Ziele sind:
1. arme Kinder von der Straße fernzuhalten
Die Familien der Kinder sind sehr arm – die meisten leben in kleinen Einzimmer-Appartements. Die Eltern müssen tagsüber arbeiten und die Kinder wären ohne die Salesianerschule unbetreut und in großer Gefahr, auf der Straße zu landen. Bei Don Bosco sind alle Kinder willkommen – niemand wird abgewiesen und niemand wird nach seinem Glauben oder seiner politischen Einstellung gefragt. Die Eltern der Kinder wissen, dass es sich um eine katholische Schule handelt und dass jeder Schultag mit einem „Vater unser“ begonnen wird – das sei für niemanden ein Problem.
2. den Kindern eine Basisbildung vermitteln
Viele Kinderflüchtlinge haben vor ihrer Ankunft in der Don Bosco Schule nur wenig oder gar keine Schulbildung erhalten. Insbesondere Flüchtlinge, die in letzter Zeit aus den Kriegsgebieten gekommen sind, haben ein sehr schlechtes Bildungsniveau. „Manchmal können sogar 17 oder 18-jährige Jugendliche noch nicht einmal schreiben. Sie sind traumatisiert und können sich auf nichts konzentrieren. Zuerst müssen sie lernen lernen“, erklärte Don Andrés.
Die Kinder werden von Montag bis Samstag in grundlegenden Fächern wie Lesen und Schreiben, Mathematik und Geographie unterrichtet. Das wichtigste Fach ist Englisch bzw. wird der gesamte Unterricht in Englisch abgehalten, da die meisten Eltern in ein englischsprachiges Land ziehen möchten.
3. Kollektive Therapie
Viele Kinder haben Schlimmes hinter sich, manche haben den Tod naher Angehöriger miterlebt. Die freundschaftliche und positive Atmosphäre im Don Bosco Zentrum ist für sie eine große Hilfe – ebenso Fächer wie Zeichnen, Malen, Sport, Musik, Tanz und Theater, in denen sie ihre Gefühle ausdrücken können. Um professionelle psychologische Hilfe sicherzustellen, arbeitet die Schule mit dem Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern bzw. einem Psychologen aus dem Irak zusammen.
Die wertvollste psychologische Hilfe ist jedoch diejenige, die sich die Kinder untereinander geben. Don Andrés erzählte: „Wenn sie zu uns kommen, zeichnen viele Kinder Bilder von Flugzeugen oder Kriegsszenen, sie machen die Geräusche von fallenden Bomben oder von Maschinengewehren nach. Manche trauen sich am ersten Schultag nicht ohne die Begleitung ihrer Eltern in die Klasse. Aber das vergeht rasch. Erst vor kurzem war da wieder ein neuer kleiner Bub aus Syrien, der sich verängstigt in eine Ecke gesetzt hat. Ich wollte mich um ihn kümmern, doch die anderen Kinder beruhigten mich – ich solle mir keine Sorgen machen, das wäre bei ihnen auch so gewesen. Sie würden ihm helfen und er würde das sicher schaffen.“

Kleine Mädchen im Don Bosco Center
Das Don Bosco Center ist für alle Kinder und Jugendlichen ein Ort der Erholung, an dem sie Hoffnung schöpfen und mit Respekt behandelt werden. Während ihre Eltern oftmals voller Trauer über Vergangenes und Verlorenes sind, schauen die Kinder positiv in die Zukunft und versuchen möglichst viel zu lernen. Regelmäßig gibt es kleine Tanz- oder Theater-Aufführungen, zu denen die Eltern eingeladen werden, die häufig bestätigen, ihre Kinder noch nie zuvor so glücklich erlebt zu haben.
Göttliche Vorsehung
Auf die Frage, wie die Arbeit für so viele Flüchtlingskinder und junge Flüchtlinge abgesehen von der Unterstützung durch Jugend Eine Welt finanziert wird, antwortete Don Andrés, der gebürtiger Spanier und Meister der Improvisation ist: „Die Göttliche Vorsehung sorgt für alles!“ Immer wieder kämen Spenden aus der Nachbarschaft oder von Gönnern aus der Gemeinde. „Einmal brachte uns ein Spender 200 Sandwiches für die Kinder – die waren ganz schnell weg.“ Sehr geschätzt wird auch die Unterstützung des nahe gelegenen Hotels Hilton. Jeden Tag schickt Don Andrés um die Mittagszeit einen Mitarbeiter ins Hotel, der alles abholt, was vom Frühstück übrig geblieben ist – manchmal viel, manchmal wenig.

P. Andres Calleja mit Schützlingen im Don Bosco Center Istanbul
Arbeit statt Schule
Leider endet die glückliche Schulzeit für die meisten Flüchtlingskinder viel zu früh. Im Alter von 14 – 16 Jahren werden sie von den Eltern aus der Schule genommen und zur Arbeit geschickt – die Mädchen früher, weil sie älter aussehen. Ab diesem Zeitpunkt schuften die Jugendlichen von früh bis spät, meist in Textilfabriken oder in Restaurants. Manchmal dauert der Arbeitstag bis in die Morgenstunden, die Bezahlung ist minimal – für drei Mehrstunden erhalten sie umgerechnet einen Euro. Doch auch in dieser schwierigen Lebensphase ist das Don Bosco Center für die Jugendlichen da: Viele von ihnen kommen am Wochenende ins „Oratorium“, das von Vater Jacky betreut wird. Hier ist Raum für Spiel und Spaß, aber auch Unterricht bzw. Förderunterricht für besonders Begabte wird angeboten. „Mit dieser Grundlage schaffen viele Jugendliche den Anschluss an die Schulsysteme der Länder, in die sie später mit ihren Eltern umziehen. Sogar der Abschluss eines staatlich anerkannten Zertifikats ist theoretisch möglich“, berichtete Vater Jacky.
Sorgenkinder: Junge afrikanische MigrantInnen
Besonders große Sorgen machen sich Don Andrés und Vater Jacky um hunderte junge christliche afrikanische MigrantInnen, von denen viele ebenfalls am Wochenende zu Don Bosco kommen. Insgesamt betreut das Zentrum im Jahr rund 600 junge Menschen mit Flüchtlings- bzw. Migrationshintergrund. Die jungen AfrikanerInnen kommen aus Ländern wie Ghana, Somalia, Eritrea, der Demokratischen Republik und der Republik Kongo, aus Kamerun und Nigeria („von dort kommen viele Frauen, viele sind schwanger und auf sich allein gestellt“…). Die MigrantInnen halten sich illegal in der Türkei auf und haben keine Chance, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Sie sind häufig Mehrfachdiskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer christlichen Religion ausgesetzt und in einer verzweifelten Situation. Viele machen sich früher oder später auf den Weg in Richtung Europa – Don Andrés und Vater Jacky können sie nicht aufhalten. „Es ist herzzerreißend, wenn sie zu uns kommen und sagen: ,Vater, wir gehen heute Nacht. Bitte segne uns.` Wir wissen, viele nehmen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer und riskieren ihr Leben“, sagte Vater Jacky traurig. „Aber ich glaube an die Macht der Bildung. Ich weiß, wenn wir sie ein kleines Stück begleiten und ihnen Grundkenntnisse mitgeben, verläuft ihr Leben anders und besser. Wir tun was wir können - und wir beten für sie.“
Das Wichtigste ist die Liebe
Die Salesianer Don Boscos in Istanbul werden in den nächsten Monaten – mit verstärkter Hilfe durch Jugend Eine Welt – ihre wichtige Arbeit fortsetzen und noch erweitern. Was hilft Don Andrés und Vater Jacky, auch angesichts der täglich anwachsenden Flüchtlingskrise und der Not so vieler ihrer Schützlinge ihren Humor und ihre Zuversicht nicht zu verlieren? Darauf hatte Vater Jacky eine klare Antwort: „Wir folgen dem Weg von Jesus, das ist unsere Berufung. Wir sind, wo wir gebraucht werden.“ Und Don Andrés ergänzte: „Viele Dinge im Leben sind relativ. Aber das Wichtigste ist die Liebe, so wie sie uns unser Herr vorgelebt hat.“
Teaserfoto: © Jugend Eine Welt, die übrigen Fotos: © SDB
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"Das Wichtigste ist die Liebe." Seit vielen Jahren sind die Salesianer Don Boscos in Istanbul für benachteiligte Jugendliche und Flüchtlingskinder tätig. Unterstützt werden sie dabei von