Forum für Weltreligionen setzt sich mit Flucht und Sendung als Paradoxon auseinander
Katholische Ordensmitglieder aus ganz verschiedenen Richtungen von monastischen Gemeinschaften über Kongregationen bis zu Gründungen des 20. Jahrhunderts wie die Kleinen Brüder Jesu aus der Familie des Charles de Foucauld oder die Schwestern der Jüngersuche, aber auch andere interessierte ChristInnen waren vertreten. Sie diskutierten die Frage nach ihrer Identität in Geschichte und Gegenwart zwischen einem gewissen Grenzübertritt aus der Welt hinaus (früher „fuga mundi“ genannt) und einer neuen Weltpräsenz in Gestalt einer Sendung. Als Gäste und Vortragende aus anderen Religionen nahmen die ordinierte buddhistische Nonne und Buddhologin Carola Roloff und der Scheich des Mevlana-Ordens in der Schweiz Peter Hüseyin Cunz, ein Sufi, teil.
Der Vormittag des ersten Tages stand ganz im Zeichen der östliche Religionen bzw. des Mönch- und Nonnentums im (tibetanischen) Buddhismus und im Daoismus. Am Nachmittag setzten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Verhältnis von religiösem Leben und Welt, dem monastisches Leben in der Westkirche und der Ostkirche bzw. dem Wesen der apostolischen Gemeinschaften auseinander.
Positives Weltverhältnis
Sr. Anneliese Herzig MSsR erörterte die von der Gesamtkirche immer noch nicht ganz verstandene Bedeutung der apostolischen Gemeinschaften. Deren Charkateristikum bestünde darin, nicht einfach zwischen Rückzugsphasen von Stille und Gebet einerseits und Zeiten der Pastoral und des sozialen Engagements andererseits abzuwechseln, sondern die Quelle der eigenen Kraft und Spiritualität gerade auch in der apostolischen Arbeit selbst zu finden. Ob der Rückzug aus der Welt noch etwas anderes beinhalte als die Absage an die Sünde, wie das Zweite Vatikanum in Perfectae Caritatis meine, hänge vom Weltbegriff ab. Schließlich führe nicht die Welt zur Sünde, sondern der freie Mensch bringe die Sünde in die Welt. Insofern der Weg jedes Christen an der Bewegung Gottes in die Welt hinein teilnehme, eine Bewegung, die durch Liebe motiviert sei, sei ein positives Weltverhältnis für das Christsein in jeder Form entscheidend und authentische Nachfolge Jesu.
Bedeutung der Gegenseitigkeit
Wie sich auch das christliche Mönchsleben, das sich früher noch als „Stand der Vollkommenheit“ betrachtete, einreihe in das Bewusstsein von der Berufung aller zur Heiligkeit – eine revolutionäre Einsicht in die biblischen Grundlagen durch das Konzil – , führte Michaela Pfeifer OCist aus, die bis 2013 Direktorin des Monastischen Instituts von San Anselmo in Rom war. Sie stellte einige theologische Elemente der Regula Benedicti vor, die Bedeutung der Gegenseitigkeit im Verhalten der Mönche und Nonnen zueinander, markiert mit dem kleinen Wort invicem und ihr Auftrag, amator fratrum, Liebender der Brüder zu sein.
Buddhismus als Mönchsreligion
Der Religionswissenschaftler Peter Ramers aus St Augustin/Bonn stellte die Wege des Hindulebens vor, die Phase der Hauslosigkeit als den vierten Abschnitt des Lebens, die Modelle des Lebens im Ashram, wobei sich das traditionelle vom modernen des 19. Jhdts. sehr unterscheide. Sinn und Zweck des monastischen Lebens im Buddhismus ließ die Unterschiede und Berührungspunkte mit dem Christentum besonders deutlich werden: Genügsamkeit, Keuschheit und Gehorsam als Weg zur Befreiung aus dem Kreislauf von Tod und Geburt. Auch in buddhistischen Klöstern gibt es das Phänomen von Klerikalisierung und Patriarchalisierung. Buddhismus als Mönchsreligion bietet die Gemeinschaft des Shanga als ein Element, zu dem der Buddhist „Zu-flucht“ nehmen kann, wie er zu Buddha und seiner Lehre Zuflucht nimmt.

Sufi-Orden: Dienen ist unsere Sendung
Der zweite Tag hatte den Schwerpunkt Islam und Christentum. Peter Hüseyin Cunz, Scheich des Mevlana-Orden, referierte über den Sufi-Orden. Die Entstehung geht auf den persischen Mystiker Dschalal ad-Din ar-Rumi (1207–1273) zurück, der auch als "Mevlana" bekannt war. Die Mitglieder des Mevlevi-Ordens sind auch als drehende Derwische bekannt; der drehende Tanz ist rituelle Form des Gebets. Die Basis des Ordenscharismas ist Verantwortung für die Schöpfung und das "dienende Handeln" für die Mitmenschen. "Dienen ist unsere Sendung", sagt Scheich Peter Hüseyin Cunz. Ziel des Lebensweges ist nicht das Jenseits - aber auch nicht das Diesseits, sondern der Weg in der Mitte.
Die tiefe spirituelle Kraft der Sufiorden, die Treue der Sufi zum Islam generell, ihre Dienstbereitschaft, ihr Verantwortungsempfinden für die Gesellschaft und die Willensstärke der Mitglieder stellte Cunz als die besonderen Merkmale dar. Dennoch sei durch Verkrustung und Rückschrittlichkeit die Bewegung heute unbedeutend geworden und befinde sich in der Krise. Zölibat werde wie im Islam im Allgemeinen so auch in den Sufiorden skeptisch betrachtet und nicht befürwortet. Vielmehr seien die Familien in die religiöse Praxis mit einbezogen.

Zweifacher limitischer Überschritt
Karl-Heinz Steinmetz, Dozent an der Universität Wien, setzt sich in seinem Referat mit dem Thema "Inmitten der Welt außerhalb der Welt" auseinander. Sein Kernsatz: Die Grundsignatur des Anarcharetischen Lebens erfordert einen zweifachen limitischen Überschritt. Einerseits die Makierung einer limitischen Kontur in den "Gegensätzen" Erde und Himmel, Stadtgrenze und Wüste oder Stadt und Kloster. Und andererseits einen äußere und inneren Überschritt, einen "Grenz-Überschritt des Herzens". "Nur wer von der Welt frei ist, ist für sich frei", so Steinmetz.
Methoden des Vergleichs
Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der verschiedenen Sonderwege in den Religionen half ein religionswissenschaftlicher Durchgang durch die möglichen Fragestellungen und Methoden des Vergleichs zu größerer Klarheit. Begegnungen von christlichen Ordensleuten mit buddhistischen oder muslimischen Gemeinschaften sollten nicht fälschlich oder vorschnell als intermonastischer Dialog (dialogue intermonastique) bezeichnet werden. Was auf den ersten Blick überraschend ähnlich erscheinen mag, wird bei näherer Betrachtung im Kontext der jeweils eigenen Religion sehr anders. Anthropologischen Grundlagen wie das Bedürfnis nach Abgeschiedenheit, Rückzug oder auch die Ausbildung von Sozialformen finden sich auch außerhalb von Religionen – auch Friedrich Nietzsches Idee eines säkularen Klosters von Philosophen könne als Inspiration betrachtet werden, führte der emeritierte Wiener Religionswissenschaftler Johann Figl aus.
Brücke zu allen Religionen
Widerspruch und Nachdenklichkeit verursachte ein Zitat Kardinal Sergio Pignedolis aus dem Jahr 1973, dem damaligen Leiter des vatikanischen Sekretariats für Nichtchristen: „Der Mönch verkörpert historisch und in vorzüglicher Weise den homo religiosus in allen Zeiten und ist in gleicher Weise ein Bezugspunkt für Christen und Nichtchristen. Die Existenz des Mönchtums im tiefsten Herzen der Kirche gleicht einer Brücke zu allen Religionen.“ Aber auch Beispiele aus dem mittelalterlichen äthiopischen Mönchtum veranlassten zu dem spontanen Ausruf: „Ist das nicht eine andere Religion als das Christentum?“ Aus der Sicht der Familie des Charles de Foucauld ginge es darum, wie Jesus selbst einfach ein Mensch unter Menschen zu sein, das Leben der Armen zu teilen und sich gerade nicht abzusondern. Es besteht eine dynamische Spannung zwischen Rückzug und Hingabe für alle, zwischen Widersagen und Sendung mitten in die Welt, die noch eine Fülle von Material zur weiteren Reflexion, aber auch zu kritischer Selbstbesinnung und Austausch bietet.
Die Tagung wird im Herbst 2016 auch als Sammelband der Reihe „Spiritualität im Dialog“ des im Forum für Weltreligionen erhältlich sein.
[rs]
Vom 13. bis 15. März 2016 hielt das Forum für Weltreligionen (FWR) im Pallottihaus in Wien 13 ihre Tagungsreihe "Ordenscharisma und Religionen" ab. Die heurige Veranstaltung hatte den Titel "Flucht und Sendung - ein Paradox? Orden und abgesonderte Lebensformen in den Religionen". Mitveranstalter waren die Ordensgemeinschaften Österreich.