Zeiten der Orden?
Die von allen Christen geforderte Umkehr zum Evangelium verwirklichten die ersten Ordensgemeinschaften nach dem Vorbild der Apostelgemeinde – als Kommunen ohne Privateigentum und mit Verzicht auf eine Einschreibung in Familienkarrieren. Diese Kompromisslosigkeit im Lebensentwurf war eine Orientierung für jene gebildeten römischen Bürger, die meinten, Christ sein bedeute, einer interessanten neuen Philosophie anzuhängen.
Im Mittelalter galten die Klöster als besondere Gnadenorte. Hier konkretisierte sich Transzendenz. Klosterleben war Gegenentwurf von Weltleben. Mönch oder Nonne zu sein war dabei prestigeträchtig und lange dem Adel vorbehalten. Eine Gegenbewegung dazu blieb nicht aus: Dem Elitären im geistlichen Stand erteilten die Bettelorden eine radikale Absage. Sie forderten Nachfolge als Hinwendung zum Nächsten und folgten selbst „nackt dem nackten Christus“.
Das 16. Jahrhundert brachte einen Einbruch in der Wertschätzung der Klöster. Ordensleben wurde unmodern. Die Reformatoren hatten ganz andere Entwürfe für ein Christenleben in Glauben und Freiheit. Die Klöster leerten sich, Eintritte blieben aus. Zahlreiche von Männerklöstern abhängige Frauenkonvente erloschen. In den österreichischen Stiften gab es oft kaum mehr als zwei oder drei Konventualen. Die habsburgischen Landesfürsten waren jedoch entschlossen, die Prälatenorden zu erhalten, denn sie stärkten die katholische Fraktion in den Landtagen.
"Klosteroffensive"
Im Zuge der Rekatholisierung nahm die Anzahl der Ordensgemeinschaften und damit auch der Ordensleute in ganz Europa stark zu. In der Haupt- und Residenzstadt Wien kam es im 17. Jahrhundert zu einer regelrechten „Klosteroffensive“. Ordensleben ging ganz neue Wege und kam, wie bei den Jesuiten, ohne Ordenskleid, Stundengebet und Kloster aus. Erstmals gründeten auch Frauen Ordensgemeinschaften als eigenständige Einrichtungen ohne Abhängigkeit von einem Männerorden. Am religiösen Leben der Barockzeit hatten die Orden innovativ und sichtbar Anteil.

Christus als Mediziner, 18. Jahrhundert (Kloster der Elisabethinen Klagenfurt). Foto: © Helge Bauer
Im 18. Jahrhundert gab es eine kirchenkritische Gegenbewegung, die Ordensleben erneut als unzeitgemäß erscheinen ließ. Die Ordenseintritte gingen langsam, aber stetig zurück. Kein einziger neuer Männerorden ließ sich in Österreich nieder. Wer den geistlichen Stand wählte, wurde Priester. Diese Berufswahl galt als sinnvoll und nützlich. Kontemplatives Ordensleben bekam das Image des Sozialschmarotzertums.
Kaiser Joseph II. ließ am Ende des 18. Jahrhunderts Klerus und Orden zählen. Für die österreichischen und böhmischen Erblande und Galizien ergab sich ein Gesamtstand von ca. 33.700 geistlichen Personen, davon 17.000 Weltpriester, 14.700 Ordensmänner und 2000 Ordensfrauen. Klöster, die der Kaiser als nutzlos erachtete, wurden aufgehoben. Im sogenannten Kulturkampf prallten politische und kirchliche Interessen aufeinander, in manchen Ländern wurden Ordens- und Klostergründungen staatlich verboten.
Und wieder fand die Kirche neue Wege. Im 19. Jahrhundert befreite sie sich aus der Gängelung des Staates und unternahm nie dagewesene volksmissionarische Anstrengungen. Vollzüge religiöser Praxis wurden in alle gesellschaftlichen Schichten getragen. Katholische Milieus entstanden, die ganz neue Formen gemeinschaftlichen Lebens in der Christusnachfolge hervorbrachten. Die zahlreichen karitativ tätigen Kongregationen waren eigentlich Laienbewegungen, zu Orden wurden sie kirchenrechtlich erst im 20. Jahrhundert. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte überstieg die Anzahl der Ordensfrauen jene des Regularklerus, das Zahlenverhältnis drehte sich komplett um. Noch 1960 gab es in Österreich vier Mal soviel Ordensfrauen wie Ordensmänner.
Weniger Ordensleute, mehr Ordensgemeinschaften
In den letzten 50 Jahren erleben wir die Rückkehr zu den Zahlen vor dem „Kongregationsfrühling“. Die Anzahl der Ordensfrauen in Österreich wird sich wieder dort einpendeln, wo sie jahrhundertelang war. Die Anzahl der Ordensmänner bleibt seit dem 18. Jahrhundert konstant leicht unter dem der Weltpriester, die Entwicklung der Männerorden ist besonders stark von der gesamtkirchlichen Entwicklung abhängig.
Es ist bemerkenswert, dass zwar die Anzahl der Ordensleute zurückgeht, aber die Anzahl der Ordensgemeinschaften lange Zeit anstieg, bei den Frauenorden hat sie sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu verdoppelt. Gemeinschaften aus anderen Ländern lassen sich hier nieder und immer wieder entstehen neue Formen gemeinschaftlicher Nachfolge.

Ordensnachwuchs beim Skifahren, 1932 (Archiv der Kapuzinerprovinz Österreich-Südtirol)
Ordensleben ist die Verwirklichung radikaler Christusnachfolge. Das ist kein Privileg der Orden, aber ihre Sendung ist es, gegen die Relativierung der Nachfolge, gegen faule Kompromisse und bequeme Anpassung immer neu zu protestieren. Gradmesser ihres Erfolgs ist nicht die Anzahl der Ordensleute, sondern ihre Glaubwürdigkeit.
Helga Penz
Aus ON 3/2016. Das ganze Heft lesen Sie hier.
Vom 28. bis 30. April feiert die Vereinigung der Frauenorden Österreichs in Innsbruck ihr 50-jähriges Bestehen. Derzeit leben rund 3.650 Frauen in 105 Frauengemeinschaften in Österreich. Ordensleben gibt es, seit es Kirche gibt. In allen Epochen der Kirchengeschichte haben Gemeinschaften neue Formen der Christusnachfolge erprobt und gelebt. Aber immer wieder gab es auch Zeiten, in denen die Klöster leer blieben und Ordensleben als unmodern galt. Helga Penz, Historikerin und Leiterin des Referats für die Kulturgüter der Orden, über das Auf und Ab in der Geschichte der Orden.