
„Alle Menschen suchen Herberge“
Äußere Herbergssuche: Von Tür zu Tür
Die Geschichte von Maria und Josef gehört zum Kern des Advents: Sie ziehen von Tür zu Tür, werden abgewiesen und landen schließlich im Stall. Diese äußere Herbergssuche wird bis heute vielerorts nachgestellt. Es gibt etwa den Brauch, dass eine Marienstatue von Familie zu Familie wandert. „Das zeigt, dass diese Herbergssuche immer mit Menschen, mit Begegnung und Austausch zu tun hat“, sagt Sr. Gudrun.

Br. Brian Thomas auf der Terrasse des Kapuzinerklosters mit Blick über die Stadt Salzburg. (c)ÖOK/emw Download Porträtfoto
Innere Herbergssuche: Bei sich selbst ankommen
Für Sr. Gudrun hat Herbergssuche immer zwei Seiten: „Sie betrifft das Äußere und das Innere.“ Die innere Herbergssuche sei der Versuch, bei sich selbst anzukommen, sich selbst zu begegnen und zu wissen, was einem wichtig ist. „Ich glaube, alle Menschen suchen Herberge“, sagt Sr. Gudrun. Auch wenn das Wort alt wirkt, bleibt die Sehnsucht dieselbe: angenommen zu sein, zuhause zu sein. „Das kann auch heißen: Ich möchte bei mir selbst zuhause sein. Mich bei mir antreffen.“ Der Advent mache diese Suche bewusster, doch sie begleite Menschen ein Leben lang.
Stille aushalten
Gerade in der Weihnachtszeit richtet sich der Blick oft auf die Familie. Doch Erwartungen lassen sich nicht einfach herstellen. „Man kann zu Weihnachten nichts erzeugen, was vorher nicht da war“, ist Sr. Gudrun überzeugt. Herberge beginne bei sich selbst. Oft brauche es nicht viel: ein paar Minuten Stille am Tag. „Halte ich das aus? Halte ich mich aus?“ Viele Menschen, beobachtet sie, weichen genau dieser Stille aus.

Ein Weihnachtsimpuls von Sr. Gudrun Schellner.© ÖOK/emw Download
Gegen den Druck, immer leisten zu müssen
Stille widerspricht einem Denken, das auf Leistung und ständiges Tun ausgerichtet ist. Wer nichts macht, fühlt sich schnell nutzlos. Vor allem junge Menschen stehen unter großem Druck, immer produktiv zu sein. In Gesprächen und Begleitungen mit ihren Schülerinnen und Schülern – Sr. Gudrun unterrichtet an einem Gymnasium – erlebt sie diesem Druck. „Eine Schülerin hat mir erzählt, dass sie so viel Stress hat. Gleichzeitig fühlt sie sich nutzlos, wenn sie nichts zu tun hat. Dazu kommt noch das schlechte Gewissen, wenn sie nicht permanent am Handy erreichbar ist.“
Was kann man diesem Leistungsdenken entgegensetzen? Es gehe nicht um große spirituelle Programme, sondern um Wahrnehmung: da sein, atmen, sich selbst nicht ausweichen. „Ich bin ein Stück bei mir.“ Auch eine Minute könne reichen.
Herberge im Alltag
Sr. Gudrun Schellner lebt mit ihren Mitschwestern in Wien-Simmering. Seit 2022 geben sie dort auch ganz konkret Herberge: Eine ukrainische Familie lebt seither mit der Ordensgemeinschaft. „Am Anfang war die Kommunikation sehr schwierig“, erzählt Sr. Gudrun. Heute ist vieles leichter, vor allem durch die Kinder, die inzwischen perfekt Deutsch sprechen.
Die ukrainische Familie lebt seit 2022 bei den Schwestern. © ÖOK/emw Download
Wer nimmt sie auf?
Eng verbunden damit ist das Engagement der Schwestern entlang der Balkanroute. Sie unterstützen die Organisation SOS Balkanroute, die Menschen hilft, die immer wieder versuchen, die EU-Außengrenze zu überwinden. Viele von ihnen sind wochen- oder monatelang unterwegs. „Wer nimmt sie auf?“, fragt Sr. Gudrun. Oft seien es Menschen, die selbst wissen, was Armut heißt.
Der Schritt nach innen
In Österreich sei die Stimmung gekippt, sagt sie. Angst und Abschottung nähmen zu. Das werde sich nur ändern, wenn es eine Umkehr gibt – weg von einem rein nationalistischen und individualistischen Denken. „Wenn du keine andere Dimension mehr hast als deine eigene, wird deine Welt sehr eng.“
Herberge zu finden – und Herberge zu geben – beginne dort, wo Menschen den Schritt vom Äußeren zum Inneren wagen. Das Ziel sei, sagt Sr. Gudrun: „Ich bin ein Geschenk – für mich, für andere. Gegeben von Gott.“
Sr. Gudrun Schellner SSM ist Ordensfrau der Franziskanischen Schwestern von der Schmerzhaften Mutter (SSM) in Wien‑Simmering. Die 63-Jährige unterrichtet Religion auf Englisch am Gymnasium Sacré-Coeur Wien und ist dort auch in der Schulseelsorge aktiv. Zudem ist sie Geistliche Begleiterin, Begräbnisleiterin und begleitet auch Gruppen wie Pfarrgemeinderäte oder Ordensgemeinschaften und bietet auch Exerzitien im Alltag an. Kontakt: gudrun@ssm-austria.at | www.ssm-austria.at
Elisabeth Mayr-Wimmer und Sr. Gudrun Schellner bei der Podcast-Aufnahme. (c) ÖOK/emw
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro der Ordensgemeinschaften Österreich hat im März 2022 den Podcast Orden on air ins Leben gerufen. Der Titel ist Programm: Ordensfrauen und -männer kommen vor den Vorhang – und vor das Mikrofon. Ziel ist es, Persönlichkeiten vorzustellen, Einblicke in das Leben von Ordensgemeinschaften zu geben und das Engagement von Ordensleuten in vielfältigen Bereichen sichtbar zu machen. Der Podcast ist überall zu hören, wo es Podcasts gibt.
Weiterlesen:
Franziskanerinnen von der Schmerzhaften Mutter Wien-Simmering (Website)
Franziskanerinnen von der Schmerzhaften Mutter Wien-Simmering (Ordens-Wiki)
[elisabeth mayr-wimmer]