
Mitten im Leben: Die Kleinen Schwestern Jesu im Grazer „Orangeland“
Ein Sonnenstreifen in der Stadt
Wer durch das „Orangeland“ in Graz geht, wird sofort von den warmen, leuchtenden Fassaden empfangen – wie ein Sonnenstreifen zwischen grauen Häuserzeilen. Hinter einer dieser Türen leben Marianne und Myriam – zwei Ordensfrauen aus der Gemeinschaft der Kleine Schwestern Jesu, deren Alltag von Begegnung, Gebet und stiller Nähe bestimmt wird.
An diesem Nachmittag duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee. Auf dem Tisch stehen bereits ein paar Tassen. „Meistens ist unsere Tür offen“, sagt Kleine Schwester Marianne lachend. Oft kommen Nachbarinnen vorbei – mit einem Teller Baklava auf einen kurzen Plausch. „Manchmal liegt einfach etwas vor unserer Tür – ein stilles Geschenk, ohne Absender“, berichtet Kleine Schwester Myriam.
Von Algerien in die Welt
Die Gemeinschaft der Kleinen Schwestern Jesu wurde von Magdeleine Hutin (1898–1989) gegründet, die sich am Leben und Denken von Charles de Foucauld orientierte. Obwohl sie schwer krank war, zog sie in den 1930er-Jahren mit ihrer Mutter nach Algerien, lebte unter Nomaden und gründete später – auf Anraten des Bischofs der Sahara – den Orden.
Ihr Anliegen: ein einfaches Leben mitten unter den Menschen, häufig in muslimischem Umfeld, nicht als Mission, sondern als gelebte Freundschaft und stilles Zeugnis christlicher Liebe. Heute gibt es die Gemeinschaft in mehr als 60 Ländern, meist in kleinen Gruppen von drei bis vier Schwestern – so auch in Graz.
Alltag im „Orangeland“
Das „Orangeland“ ist ein Wohnkomplex mit vorwiegend muslimischen Nachbarn. Für die Kleinen Schwestern ist die Begegnung mit Menschen anderen Glaubens Teil ihrer Spiritualität. Fast immer bleibt bei den beiden Raum für Begegnung – sei es bei einer Frauenrunde mit Tee oder im vertrauten Gespräch über Sorgen und Freuden. Religion ist dabei keine Grenze, sondern eine Brücke. „Wir sind zuerst Nachbarinnen – und begegnen uns als Menschen“, sagt Kleine Schwester Myriam.
Soziale Arbeit mitten in der Stadt
Neben ihrem Engagement im Viertel arbeiten die beiden auch außerhalb: Marianne ist ehrenamtlich in einem Caritas-Tageszentrum für Arbeits- und Obdachlose tätig. Dazu besucht sie regelmäßig Gefangene in der Justizanstalt Graz-Karlau. Sie beschreibt ihre Arbeit als „präsent sein“: zuhören, Zeit teilen, Hoffnung schenken – ohne zu urteilen. „Manchmal ist es schon viel, wenn jemand spürt: Da ist einer, der mich sieht.“
Kleie Schwester Myriam begleitet im Elisabethinischen Patientenservice vor allem ältere und psychisch belastete Menschen in der geriatrischen Psychiatrie. Auch hier geht es vor allem um menschliche Nähe, Zuhören und kleine Gesten der Zuwendung. „Oft ist es das Zuhören, das die größte Wirkung hat – und ein kleines Lächeln.“
Gebet als Fundament
Der Alltag der Kleinen Schwestern ist schlicht und fest im Gebet verankert: Morgengebet, Eucharistie, stille Anbetung. Dazwischen Arbeit, Begegnungen, gemeinsames Essen – und einmal im Monat ein Wochenende in der Stille. „Das Gebet hält uns offen für das, was Gott uns jeden Tag schenkt“, sagt Marianne. Gleichzeitig bleibt Raum für Spontanes und für Menschen, die anklopfen.
Ein unspektakuläres, reiches Leben
Beide Kleine Schwestern entschieden sich für den Orden, weil er kontemplatives Gebet mit einem einfachen Leben unter den Menschen verbindet. Sie wollen im Alltag das Besondere entdecken und durch ihre Präsenz bezeugen, dass Gott es gut mit den Menschen meint. „Wir wollen im ganz gewöhnlichen Alltag einen Ort der Begegnung mit Gott schaffen“, sagt Myriam. „Das kann jeder Mensch – wir dürfen es als Kleine Schwestern gemeinsam leben.“ So zeigt sich: Mitten im Leben entsteht ein Ort, an dem Glaube und Menschlichkeit sich berühren – leise, unspektakulär und doch reich an Tiefe.

Das „Orangeland“ im Grazer Bezirk Jakomini ist von einer überwiegend muslimischen Nachbarschaft geprägt. Vor ihrem Balkon haben sich die Kleinen Schwestern Marianne und Myriam eine kleine, blühende Grünoase geschaffen. © ÖOK/rs
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