
„Widerstand aus ihrem katholischen Glauben heraus“
Es war noch früh am Morgen, als die Wachen am 15. April 1945 in die Gefängniszellen in Stein an der Donau eindrangen und 44 Häftlinge in einen Innenhof führten. Dort warteten bereits Männer mit Gewehren vor einem frisch ausgehobenen Massengrab. Jeweils zu zweit mussten sich die Gefangenen vor das Grab stellen: Ein Befehl, Schüsse, 44 Leben ausgelöscht. Darunter auch jene der beiden Franziskanerpatres Kapistran Pieller und Angelus Steinwender.
Wer waren die beiden Franziskaner? Warum wurden sie verhaftet? Warum fielen sie dem Massaker gegen Kriegsende zum Opfer? Br. Adam Bergmann, selbst Franziskaner und angehender Archäologe und Hobbyhistoriker, hat sich mit der Geschichte der beiden befasst.
P. Angelus Steinwender und P. Johannes Kapistran Pieller handelten aus ihrem Glauben heraus und bezahlten mit dem Leben. (c) OFM. Zum Download
Lebensgefährlicher Widerstand aus Überzeugung
Beide Franziskaner standen in führenden Positionen ihres Ordens. P. Angelus Steinwender war Provinzial der Wiener Franziskanerprovinz, Johannes Kapistran Pieller leitete zuletzt das Kloster Eisenstadt. Beide unterstützten die „Antifaschistische Freiheitsbewegung Österreichs“ (AFÖ), bei der auch ein weiterer Franziskaner, Fr. Benno, aktiv war. „Fr. Benno war eigentlich die treibende Kraft des Widerstandes, der die beiden um finanzielle, materielle und ideelle Unterstützung gebeten hat.“
Man weiß etwa, dass „Pieller Flugblätter diktierte und Steinwender diese auf seiner Druckmatritze, die ihm als Provinzialrat zur Verfügung stand, vervielfältigte.“ Und: „Kapistran Pieller hat eine Pistole zur Verfügung gestellt.“ Es sollte also ein handfester Widerstand organisiert werden, was – wie wir wissen – lebensgefährlich war.
„Die primäre Ambition für ihren Widerstand kam aus dem Glauben heraus“, stellt Br. Adam fest. Kapistran Pieller war Mitglied der Grazer Studentenverbindung „Carolina“ und hat bereits vor der Machtergreifung durch die Nazis „aktiv gegen diese gewirkt und versucht, die katholische Studentenschaft zu organisieren und auf eine ideelle Basis zu stellen“.
Verhaftung, Verurteilung, Verschleppung
Im Sommer 1943 wurden die Mitglieder der AFÖ von der Gestapo verhaftet. Der Prozess hätte am 20. Juli 1944 stattfinden sollen – an dem Tag, an dem Stauffenberg das Attentat auf Hitler ausübte. Der Prozesses wurde auf den 11. August verschoben. Dokumente bezeugen, dass bei der Urteilsverkündiung der Gerichtssaal brechend voll war. Im Urteil wurde den 13 Angeklagten vorgeworfen, einer „Organisation mit habsburgisch-separatistischen Zielen“ anzugehören. P. Kapistran Pieller, P. Angelus Steinwender sowie vier weitere Mitangeklagte wurden wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt. Die übrigen – darunter auch Fr. Benno – erhielten langjährige Haftstrafen.
Eduard Pumpernig bzw. Fr. Benno: Eine widersprüchliche Figur. (c) ungeklärt
Fr. Benno – vom Franziskanermönch zum Politiker
„Frater Benno war eine zwiespältige Persönlichkeit“, führt Br. Adam weiter aus, „vor allem, wenn es um die Verurteilung von Steinwender und Pieller geht.“ Fr. Benno kam mit „zehn Jahren Zuchthaus“ davon, von denen er aber nur wenige wirklich ableisten musste. Als Eduard Pumpernig machte er später Karriere in der ÖVP und brachte es bis zum Vorsitzenden des Bundesratspräsidenten.
1985 deckte die Wochenpresse seine NS-Vergangenheit auf. „Es war das 40. Todesjahr von Johann Kapistran Pieller, und die Zeitung veröffentlichte unter anderem die Gerichtsakten mit Aussagen von Pumpernig gegen Pieller und Steinwender. Pumpernig hat dann aufgrund öffentlichen Drucks politisch resignieren müssen.“ Fr. Benno hat also gegen Steinwender und Pieller ausgesagt, er war zu dem damaligen Zeitpunkt auch kein Franziskaner mehr, sondern Wehrmachtsmitglied. Opportunistisch? „Er könnte auch zwangsrekrutiert worden sein“, vermutet Br. Adam über Fr. Benno. Bis heute ist unklar, welche Form des Widerstands er tatsächlich organisiert hat und wofür er das viele Geld von Steinwender und Pieller verwendet hat.“
Ebners Liste
Nach der Urteilsverkündung wurden die beiden zum Tode Verurteilten in die Todeszellen im Wiener Landesgericht gebracht. Es gab mehrfach Gnadengesuche für die zum Tode verurteilten Franziskaner, die jedoch abgelehnt wurden – unter anderem auch vom Wiener Erzbischof Theodor Kardinal Innitzer und von Karl Ebner.
Wie Eduard Pumpernig sei auch Karl Ebner eine zwiespältige Figur, schildert Br. Adam. Als hoher SS-Funktionär war Ebner maßgeblich an der Deportation von rund 48.000 Jüdinnen und Juden aus Wien beteiligt. In den späteren Kriegsjahren nutzte er jedoch seine Stellung, um Menschen zu retten – darunter auch P. Kapistran Pieller. Die beiden kannten sich aus ihrer gemeinsamen Zeit in der „Grazer Carolina“. Br. Adam spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Ebners Liste“, einem Pendant zu Schindlers Liste.
Todesmarsch nach Stein
Als die Rote Armee im April 1945 vor den Toren Wiens stand, wurden P. Angelus und P. Kapistran zusammen mit 44 weiteren zum Tode verurteilten Gefangenen in der Nacht vom 4. auf den 5. April 1945 auf einen Todesmarsch von Wien über Stockerau und Maissau nach Stein geschickt. „Ein Pfarrer, der beobachtet hat, wie die Gefangenen durch die Straßen ziehen, wurde Zeuge von der Brutalität dieses Marsches. Die Bevölkerung wurde gehindert, zu helfen.“ Und: „Pieller und Steinwender haben sogar in dieser Zeit versucht, ihren Mitgefangenen Trost zu spenden.“
2018 schuf die Künstlerin Ramesch Daha mit „06.04.1945“ ein Wandbild auf der Gefängnismauer in Stein: ein kollektives Mahnmal aus fragmentierten Häftlingsnamen. (c) wikipedia/haeferl
„Das schlimmste Blutbad auf österreichischem Boden“
Drei Tage, bevor Pieller und Steinerwender im Gefängnis in Stein ankamen, war es dort zu einem Massaker gekommen. Als die Rote Armee immer näher rückte, bekamen viele Gefängnisse Befehle zur Räumung, nicht aber Stein, weswegen der damalige Direktor Kodré am 4. April eigenmächtig die Freilassung von 1800 Häftlingen anordnete.
„Unter den Gefängniswärtern fanden sich viele fanatische NSDAP-Mitglieder, die mit der Freilassung nicht einverstanden waren und diese Aktion als Aufstand bezeichnet haben. Woraufhin die SS und SA anrückten. Heute wissen wir, dass diese Falschdarstellung von Tatsachen von Heinrich Kodrés Stellvertreter Alois Baumgartner ausging. Er hat die Initial-Denunziation gemacht.“ Die SS wollte die freigelassenen Häftlinge wieder zurückholen und eröffnete die Jagd auf sie, die als sogenannte „Kremser Hasenjagd“ in die Geschichte eingehen sollte. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zur „Mühlviertler Hasenjagd: Die Häftlinge in Mauthausen waren geflohen, in Stein waren sie freigelassen worden und waren nicht mehr verpflichtet, in Stein zu bleiben.“
Beim Massaker von Stein am 6. April kamen 284 Menschen ums Leben, darunter auch Direktor Kodré. Am 15. April wurden weitere 44 Personen, darunter Pieller und Steinwender, „brutal exekutiert“: „Die Gefangenen mussten paarweise in den Hof raustreten vor ein offenes Massengrab, das bereits ausgehoben war. Dort wurde das Urteil kurz verkündet und das Gewehrfeuer eröffnet. Ihre leblosen Körper wurden dann in dem Massengrab verscharrt.“
Im Rahmen dieser sogenannten „Endphaseverbrechen“ sind laut Br. Adam 386 Tote namentlich belegbar, „man rechnet aber mit etwa 500 Toten in diesen beiden Aprilwochen. Es ist damit eine der schlimmsten Bluttaten auf österreichischem Boden gegen eine Zivilbevölkerung.“
Lehren aus der Geschichte
Ab den 1980er-Jahren begann man, die Geschichte der beiden aufzubereiten, „das ist so das österreichische Phänomen“. Heute befinden sich Erinnerungsstätten in der Wiener Franziskanerkirche sowie im ÖCV-Haus in Wien. In Graz gibt es den „Johann-Kapistran-Pieller-Platz“ mit ausführlichen Hinweistafeln.
Sowohl P. Kapistran Pieller als auch P. Angelus Steinwender lebten für ihren Glauben und bezahlten dies am Ende mit ihren Leben. Bruder Adam Bergmanns eindringlicher Appell: „Es ist unsere Ermahnung, es gar nicht erst zu solchen Regimen und Totalitarismen kommen zu lassen, weil das immer mit einem extrem hohen Blutzoll einhergeht, vor allem von Menschen, die völlig unverschuldet ermordet werden. Und weil Dinge möglich werden und Menschen Taten begehen, die undenkbar wären. Und wo einfach auch die moralischen und religiösen Überzeugungen auf dem Kopf stehen, die, soweit kann ich das natürlich auch als Ordensmann sagen, einfach in einem absoluten Widerspruch zum Evangelium stehen.“
1. Eine Gedenktafel in der Wiener Franziskanerkirche im Eingangsbereich zu der Antoniuskapelle vom 15. April 1995. (c) OFM. Mehr Infos auf Geschichtewiki.wien.gv. 2. Ein Zeichen des Widerstandes: "Heil Österreich" im Salzburger Franziskanerkloster. Dieser Schriftzug überstand die NS-Zeit, obwohl das Kloster von der NSDAP konfisziert wurde und der Gestapo als Zentrale diente. 3. Eine Gedenktafel im ÖCV-Haus in der Wiener Lerchenfelder Straße. (c) ÖCV. 4. Eine Gedenkstein in Stein an der Donau. (c) OFM. Fotocollage zum Download.
Weiterlesen:
Alle Folgen von „Orden on air“
Franziskaner in ÖSterreich und Südtirol
Geschichtewiki Wien: P. Angelus Steinwender
Webarchive: P. Angelus Steinwender und P. Kapistran Pieller
DÖW: Das Massaker im Zuchthaus Stein
[elisabeth mayr-wimmer]