„Bildung ist Menschwerdung“
Wie sehr der Vollblutpädagoge seine frühere Tätigkeit noch immer liebt, hört man in jedem einzelnen Satz, wenn er über seine Zeit als Lehrer und Direktor spricht. „Es geht immer um den Menschen, nie um die Sache“, sagt er überzeugt. „Wir müssen die jungen Menschen mit ihren Geschichten ernst nehmen, denn: Bildung ist Menschwerdung!“ Die Arbeit mit der Jugend habe ihn immer unwahrscheinlich motiviert, denn sehr früh war ihm klar: „Man kann der Jugend ganz viel mitgeben, wenn man sie ernst nimmt.“
P. Ferdinand Karer (li.) im Gespräch mit Clemens Paulovics, Bereichsleiter Bildung und Ordensschulen der Österreichischen Ordenskonferenz. Vom Klassenzimmer aus kann man den Kühen auf der Weide beim Grasen zusehen. © ÖOK/rm
Den Kühen beim Grasen zusehen
Das Gymnasium Dachsberg liegt mitten auf dem Land im hügeligen Hausruckviertel in Oberösterreich. Die Schule wurde 1921 vom Orden der Oblaten des hl. Franz von Sales gegründet, damals noch ein Unterstufengymnasium als Internatsschule mit rund 80 bis 100 Schülern – ausschließlich Burschen. Ende der 70er Jahre folgte der Schritt zum Vollgymnasium und 1981 wurden erstmals Mädchen und externe Schüler:innen aufgenommen. „Das war die beste Entscheidung, die der Orden damals getroffen hat“, ist der 64-Jährige überzeugt. Im vergangenen Schuljahr besuchten exakt 900 Schüler:innen die Schule. Der moderne Holzbau ist erst vor wenigen Jahren fertiggestellt worden und lässt wohl die Herzen von Schüler:innen- und Lehrer:innen höher schlagen: Lichtdurchflutete Klassenzimmer und Gänge, Schulklassen auf dem letzten Stand der Technik, große Panoramafenster – man kann von der Schulbank aus, den Kühen direkt auf den Wiesen vor der Schule beim Grasen zusehen. Ein Tischfußball-, ein Billiard- und ein Airhockey-Tisch, eine Kletterwand und einige modern gestaltete Rückzugsräume. Den Airhockey-Tisch haben sich die Schüler:innen bei der Fastenaktion verdient: 40 Tage kamen Lehrer:innen und Schüler:innen ohne Handy in die Schule. Was anfangs unmöglich schien, hat doch geklappt, erzählt P. Ferdinand Karer schmunzelnd und erfreut, dass das Experiment mit dem „Handyfasten“ gelungen ist.
Ausgleich zum Unterricht: Eine Kletterhalle, ein Tischfußball-, ein Billiard- und ein Airhockey-Tisch und einige modern gestaltete Rückzugsräume werden den Schüler:innen im Gymnasium Dachsberg geboten. © ÖOK/rm
„Peinlich, dass Frauen immer noch nicht geweiht werden“
Gleichberechtigung ist für P. Ferdinand Karer sehr wichtig – und das in allen Bereichen des Lebens – in der Schule, im Beruf und natürlich auch in der Kirche. „Es ist peinlich, dass Frauen immer noch nicht geweiht werden. Es ist höchste Zeit und es ist, meiner Meinung nach, diskriminierend was hier die Kirche macht“, sagt er und blickt auf die Gleichberechtigung am Gymnasium Dachsberg: „Ich erlebe hier an der Schule unsere Mädchen als äußerst kreativ, organisiert, konstruktiv. Als Klassen- und Schulsprecherinnen übernehmen sie Verantwortung in der Mini-Schulpolitik.“
1921 kaufte der Orden der Oblaten des hl. Franz von Sales das Schloss Dachsberg und errichtete ein Unterstufengymnasium als Internatsschule mit rund 80 bis 100 Schülern – ausschließlich Burschen. Ende der 70er Jahre folgte der Schritt zum Vollgymnasium und 1981 wurden erstmals Mädchen und externe Schüler:innen aufgenommen. © ÖOK/rm
Der moderne Holzbau des Gymnasiums konnte 2020 eröffnet werden. © Gymnasium Dachsberg
Mit „Flexzeiten“ zur Selbstständigkeit
Er habe in seiner Zeit als Direktor immer wieder Dinge ausprobiert und geschaut, wo sich Gestaltungsräume öffnen. Eine Aussage des Ordensgründers Franz von Sales begleitet ihn seit vielen Jahren: „Die Freiheit ist der kostbarste Teil des Menschen“.
„Freiheit heißt, dass ich die Fähigkeit besitze, in meinem Leben Entscheidungen zu treffen“, erzählt der gebürtige Oberösterreicher. In seiner Funktion als Direktor habe er sich die Frage gestellt: Was ist trotz aller Vorschriften möglich? In Dachsberg gibt es daher seit mehreren Jahren keine standardisierten 50-Minunten Einheiten. „Das hat mich als Schüler schon aufgeregt“, sagt P. Ferdinand Karer und ergänzt: „Die Jugendlichen hören sehr oft: ‚Wann wirst du endlich selbstständig?‘ Aber dafür brauchen die jungen Erwachsenen eine Spielwiese zum Ausprobieren. Also haben wir das Zeitmodell vollkommen umgekrempelt und einen Schulalltag geschaffen, wo die Kinder selbst mehr Entscheidungen treffen können.“
Im Gymnasium Dachsberg gibt es drei lange Einheiten mit je 70 Minuten und dazwischen gibt es „Flexzeiten“. Das sind 45-Minunten Einheiten, wo die Schüler:innen selbst entscheiden, was sie noch vertiefen möchten. Dieses Modell wird auch den unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten der Schüler:innen gerecht. Die pädagogische Hochschule begleitete das unkonventionelle Zeitmodell wissenschaftlich. „Die Evaluierung hat gezeigt, dass wir da einen sehr mutigen, aber sehr richtigen Schritt gegangen sind“, freut sich P. Ferdinand Karer.
Die großen Panoramafenster bringen Licht und Natur ins Klassenzimmer. © ÖOK/rm
Bühnenspiel als Pflichtfach
Ein weiteres Highlight im Gymnasium Dachsberg sind die jährlichen Theater- und Musicalaufführungen. Rund 100 Schüler:innen und zahlreiche Lehrer:innen sind in die Produktion involviert – vom Libretto über Musik, Bühnenbild und Kostüme ist alles „made in Dachsberg“. „Wenn es nach mir ginge, müsste man Bühnenspiel als Pflichtgegenstand einführen“, ist der pensionierte Direktor überzeugt. Im Bühnenspiel passiere ganz viel Persönlichkeitsentwicklung. Das soziale Verhalten wird in besonderer Weise geschult, denn jeder stellt seine Arbeit in den Dienst einer größeren Sache. Es entsteht eine eingeschworene Gruppe von den Erstklässlern bis zu den Maturant:innen und natürlich auch den Lehrkräften.
Die Musical- und Theateraufführungen im Gymnasium Dachsberg haben bereits eine lange Tradition. Wenn es nach P. Ferdinand Karer geht, sollte Bühnenspiel ein Pflichtgegenstand sein. © ÖOK/rm
Es darf „menscheln“
Auf einer Glasfront in der Schule steht in großen Lettern: „Seid Rebellen des Friedens und beginnt eine Revolution des Mitgefühls!“ – ein Zitat des 14. Dalai Lama. P. Ferdinand Karer erklärt: „Es geht in unserem Leben um ein großes Maß an Herzlichkeit und Barmherzigkeit. Wir brauchen nicht perfekte Menschen, wir brauchen Menschen, die ein Herz haben. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir in Frieden leben können. Rebellion für den Frieden bedeutet, dass ich ein Übermaß an Herzlichkeit in meinen Tag einbringe. Genau diese menschlichen Werte zu vermitteln, sei Aufgabe einer Ordensschule.
Buchtipp
Als Übergang vom aktiven Berufsleben zur Pension ist der passionierte Weitwanderer P. Ferdinand Karer zu Fuß von Lissabon nach Santiago gegangen. Darüber hat er ein Buch geschrieben: „schrittWeise“. Erhältlich in der Buchhandlung Dachsberg: buchhandlung@dachsberg.at
„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich
Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen. Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen zu finden.
Weiterlesen:
Oblaten des hl. Franz von Sales
[renate magerl]