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Gerald Baumgartner SJ
30. Juli 2024

„Syrien – ein wunderbarer Ort, um dort als Jesuit zu leben“

In Episode #38 von „Orden on air“ ist der Jesuit Gerald Baumgartner zu Gast. Mit seinen 30 Jahren hat er bereits viel erlebt – Zivildienst in Jerusalem, mit 22 Jahren Eintritt ins Noviziat, Arabisch lernen im Libanon … doch seine aufregendste Zeit waren wohl die zwei Jahre in Homs in Syrien. Dort war er von 2021 bis 2023 im Auftrag der Jesuiten für die Jugendarbeit zuständig. Doch es kam anders: Im Februar 2023 ereignete sich das verheerende Erdbeben in Nordsyrien und der Türkei. Gerald Baumgartner übernahm von einem Tag auf den anderen die Koordination der Nothilfe in Mittelsyrien. Über die Erlebnisse in Syrien, über seinen ganz persönlichen Weg zum Jesuiten und darüber, dass Jesuit-Werden einige Aufgaben und Hürden mit sich bringt, erzählt er in der aktuellen Folge des Ordenspodcasts.

 

„Der 6. Februar 2023 war ein völlig regnerischer, leiser Tag. Es war eine Totenstille, eine Schockstarre“, beschreibt Gerald Baumgartner den Tag nach dem verheerenden Erdbeben in Nordsyrien und der Türkei. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits eineinhalb Jahre in Homs, Syrien. Eigentlich für die Jugendarbeit zuständig, änderte sich sein Tätigkeitsfeld schlagartig. Nach dem ersten Schock begannen sofort die Aufräum- und Hilfsarbeiten. Gerald Baumgartner schnappte sich einen Kleinbus und fuhr mit einem orthodoxen, einem sunnitischen und einem alawitischen Freund – einem interreligiösen Bus also – zu den Familien in Homs, um zu helfen. Sie begannen für die Menschen zu kochen. „Zu Beginn waren es 20 Portionen, nach wenigen Tagen kochten wir 780 Mahlzeiten, die wir im Hof der Jesuiten-Kommunität verteilten“, erinnert er sich. Alles rein provisorisch versteht sich – mit großen Gaskartuschen, Feldöfen und Riesentöpfen.

 

Gerald Baumgartner - Kochen für 780 Menschen

Nach dem verheerenden Erdbeben: In der Jesuitenkommunität wurde für bis zu 780 Menschen gekocht. © Gerald Baumgartner SJ  Fotodownload

 

Ein Hilfswerk für Homs

„Am dritten Tag habe ich mich dann mit den anderen Kirchen – insgesamt waren sieben Konfessionen in Homs – abgesprochen, und wir haben ein Hilfswerk für Homs gegründet. Und obwohl ich der einzige Ausländer in der Gruppe war, wurde ich zum Koordinator bestimmt“, erzählt der 30-jährige Jesuit. Sie organisierten Unterkünfte, Matratzen, Nahrung, Kleidung und Medikamente. Die Menschen konnten in der Kommunität ihre Handys aufladen und Baumgartner übernahm auch die Koordination der psychosozialen Betreuung der Menschen vor Ort. „Die Geschichten, die mir dort erzählt wurden, sind für uns unvorstellbar: Es sind Geschichten vom Krieg, von Fluchterfahrungen, von Vergewaltigungen, von ermordeten Familienmitgliedern.“

 

Er selbst habe in all der Zeit keine Angst gehabt, erzählt er. „Vielleicht hatte ich einfach keine Zeit, Angst zu haben“, überlegt der junge Ordensmann.

 

Gerald Baumgartner - Nothilfe in Homs, Syrien

Der Jesuit Gerald Baumgartner übernahm von einem Tag auf den anderen die Koordination der Nothilfe in Mittelsyrien. © JRS Syrien Fotodownload

 

Ein wunderbarer Ort, um dort als Jesuit zu leben

Der gebürtige Oberösterreicher hat dort auch erfahren, was Kälte eigentlich heißt und, dass es Luxus ist, 24 Stunden am Tag Strom und Warmwasser zu haben, oder auch jederzeit reines Trinkwasser trinken zu können. Die Situation in Homs schildert er so: „Strom kommt alle sechs Stunden und man weiß nie für wie lange. In den ersten paar Monaten habe ich zehn bis 15 Kilo abgenommen, weil ich das verunreinigte Wasser trinken musste. Es gibt kein Warmwasser – bei sechs Grad im Zimmer dann auch noch kalt zu duschen ist eine Herausforderung.“ Er kommt aber sofort wieder ins Schwärmen: „Es war schon hart, aber ich fand die Arbeit, die ich dort gemacht habe, so unglaublich sinnvoll. Dafür bin ich ja Jesuit geworden: Dass ich dorthin gehe, wo die Not am größten ist. Deswegen war das ein wunderbarer Ort, dort als Jesuit zu leben.“

 

Gerald Baumgartner koordinierte die Nothilfe in Syrien nach dem Erdbeben

Von 2021 bis 2023 ging Gerald Baumgartner im Rahmen seines „Magisteriums“ für die Jugendarbeit nach Syrien. © Gerald Baumgartner SJ  Fotodownload

 

Prüfungen und Stationen auf dem Weg zum Jesuiten

Jesuiten leben oft und viel in Abenteuern, denn mehrere Auslandsaufenthalte sind Pflicht auf dem Weg zum Jesuiten. Will man Jesuit werden, muss man einige Meilensteine absolvieren und vielleicht auch manchmal Hürden auf sich nehmen: Ganz zu Beginn steht ein zweijähriges Noviziat. „Ein Noviziat ist keine Jesuitenbäckerei“ so lautet ein Ausspruch von Baumgartners Novizenmeister. Das Noviziat ist erfolgreich, wenn man seinen eigenen und ganz persönlichen Weg findet. In dieser Zeit finden auch die ersten 30-tägigen Exerzitien statt – also ein ganzer Monat schweigen und meditieren.

 

Nach dem Noviziat folgen meist das Philosophie- und Theologiestudium, die für jeden Jesuiten Pflicht sind. Später folgt oft noch ein drittes Aufbaustudium. Zwischen den Studien erfolgt im Magisterium – einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt – die Praxisphase nach dem Motto „Hauptsache nah an und mit den Menschen“. Während der gesamten Ausbildung stehen auch verschiedene Praktika – sogenannte Experimente – auf dem Plan. Gerald Baumgartner hat seine Experimente in einem Krankenhaus in Wien, im Jugendzentrum in Innsbruck und bei den Straßenkindern im Kosovo und auch im Jugendgefängnis gemacht.

 

Gerald Baumgartner war eigentlich für die Jugendarbeit in Homs zuständig.

Auslandsaufenthalte gehören zur Ausbildung jedes Jesuiten dazu. Gerald Baumgartner war anfänglich für die Jugendarbeit in Homs, Syrien zuständig. © Gerald Baumgartner SJ  Fotodownload

 

Nach erfolgreichem Abschluss der beiden Studien und Absolvierung des Magisteriums, folgen die Diakon- und Priesterweihe. Das Ende der breitgefächerten und internationalen Jesuitenausbildung bildet das Terziat – eine weitere Reflexionsphase. In diesem Jahr geht es darum, in fremder Umgebung noch tiefer in die Berufung zum Jesuit Sein und die Christusnachfolge hineinzuwachsen. Dazu gehören neben der praktischen Arbeit auch nochmal 30-tägige Exerzitien. Nach dem Terziat legen Jesuiten die letzten Gelübde ab und sind damit „Vollmitglieder“ der Gesellschaft Jesu.

 

Auf diesem langen Weg hin zum „fertigen Jesuiten“ steht Gerald Baumgartner gerade am Ende des Theologiestudiums und bereitet sich auf die Priester- bzw. Diakonweihe vor. Er ist mit voller Überzeugung Jesuit: „Jeden Tag freue ich mich wieder, ein Jesuit zu sein. Ich erfahre die letzten acht Jahre, seitdem ich im Orden bin, wirklich als Geschenk.“ Das sei auch zu einem guten Teil seinen Oberen zu verdanken, „die mir mehr zugetraut haben, als ich mir selbst zutrauen würde. Ich bin in jeder Aufgabe gewachsen.“

 

„Orden on air“ – der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich

Das Medienbüro hat im März 2022 mit dem Podcast „Orden on air“ einen neuen Medienkanal der Ordensgemeinschaften Österreich ins Leben gerufen. Und der Name ist Programm: Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich holt Ordensfrauen und -männer vor den Vorhang und – im wahrsten Sinne des Wortes – vor das Mikrofon. Ziel ist es, interessante Persönlichkeiten und besondere Talente vorzustellen sowie das Engagement von Ordensleuten in den vielfältigen Bereichen des Lebens zu zeigen. Der Podcast der Ordensgemeinschaften Österreich ist auf allen größeren Audioplattformen zu finden.

 


Weiterlesen:

Alle Folgen von Orden on air

Jesuiten in Zentraleuropa

Jesuit werden

 

[renate magerl]

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