Erschreckend und hoffnungsvoll zugleich: In meMORIAm
Elisabeth Pointner und Laura Plochberger von "ausserordentlich" begrüßten die Gäste der Filmpremiere von "in meMORIAm". (c) Fülöp Karasz
Ruhig war es im Raum, als die etwa 30 Premierengäste das Geschehen im Film verfolgten. Mit eindrucksvollen Bildern und wenig Text vermittelte „In meMORIAm“ ein beklemmendes, ja erschreckendes Bild über Alltag und Zustand des ehemaligen Flüchtlingscamps Moria auf der Insel Lesbos, das zu Höchstzeiten (2015) zwischen 20.000 und 25.000 Menschen beherbergte. Ausgelegt war es für 2.750.
Die Regisseurin des Films, Elisabeth Pointner, kam im Sommer 2020 als Freiwillige Helferin nach Lesbos in das Camp PIKPA, fuhr aber immer wieder ins benachbarte Moria, um das Camp und seine Menschen kennenzulernen. Ihre Erfahrungen von damals hat sie bereits einmal in einer Veranstaltung von ausserordentlich geteilt.
Die erste Begegnung mit Ali Mustafa war - zufällig - auf einem Handyvideo festgehalten worden. (c) Fülöp Karasz
Geschichten von Flucht, Verzweiflung und Warten
Ihr Handy hatte sie bei den Besuchen immer dabei und hielt Momente und Menschen filmisch fest. Aber ein Film war nie geplant, berichtet sie bei der Begrüßung: „Ich kam als Anthropologin nach Lesbos mit dem Ziel, die Geschichte der Menschen zu erfahren und weiterzuerzählen.“ Und Geschichten hörte Elisabeth viele, von Flucht, Verzweiflung und vom Warten. Warten auf einen positiven Bescheid, oder überhaupt auf eine Anhörung, hier auf Lesbos. In einer Filmszene fragt Elisabeth die sie umstehenden Menschen, wer schon länger als zwei Jahre in Moria ist. Alle hoben die Hand.
Filmplakat: 60 Minuten dauert der Film, gefilmt wurde ausschließlich mit Handykameras, was den Film noch authentischer macht. (c) Fülöp Karasz
"Hi, I am Ali Mustafa"
Unter ihnen auch Ali Mustafa, die eigentliche Hauptfigur des Films. Ihn lernte Elisabeth am ersten Tag in Moria kennen. Der junge Afghane sprach gut Englisch – er unterrichtete im Camp auch die Kinder darin – und zeigte ihr das Lager.
Der Film folgt ihm: Es geht auf staubigen Pfaden vorbei an Zelten und provisorisch gezimmerten Hütten, vorbei an Menschen, die sich vor der harten Sonne in den kärglichen Schatten flüchten. Die Kamera zeigt Waschräume, "but there is only cold water", erfahren die Zuseher*innen. Ali passiert eine Essensausgabe, wo es nur sonntags Fleisch gibt, dann weiß Ali auch, welcher Wochentag grad ist. Als Zuseher spürt man, Zeit hat im Camp an Bedeutung verloren. Auch Ali wartet, sein Leben ist auf „Stand-by“.
Der Abschied zwischen Elisabeth und Ali fiel schwer. Die Freundschaft der beiden hält bis heute. (c) Fülöp Karasz
Viele Kinder laufen vorbei, grüßen Ali und winken Elisabeth hinter der Kamera zu. Oft hört man die Frage, ob Ali weiß, dass er gefilmt wird. "Filmen ist eigentlich nicht erlaubt im Camp, wir mussten immer aufpassen, dass keine Polizei kommt", erzählt auch Elisabeth.
Elisabeth bleibt den ganzen Sommer auf Lesbos, besucht regelmäßig Ali im Camp, lernt Menschen kennen, erfährt deren Schicksale, zeichnet diese am Handy auf. Der Abschied fällt schwer, Ali und Elisabeth sind Freunde geworden, sie bleiben auch nach ihrer Rückkehr in Kontakt.
Dann, Elisabeth ist erst seit ein paar Tagen zurück in Wien, kommt die Katastrophe: Moria brennt. Medien zeigen die unbarmherzigen Flammen, die das Camp zerstören. Eine gute Nachricht: Ali ist in Sicherheit, aber die Verzweiflung spürbar, eine Nachricht: „Nobody wants us.“
Der Brand des Camps war eine Katastrophe, niemand kümmerte sich aber um die Menschen, sondern nur um die Frage: "Wer war's?" Für Elisabeth Pointner der Moment, wo der Film entstand. (c) Fülöp Karasz
Ein Film entsteht
Bald war klar, der Brand war gelegt und die Berichterstattung konzentrierte sich darauf, den oder die Schuldigen zu finden. Für Elisabeth ein entscheidender Moment: „Kaum jemand hat sich dafür interessiert, was mit den 13.000 Menschen passiert, die jetzt zum zweiten Mal alles verloren haben, was sie besaßen. Da wurde uns klar: Wir möchten, ja müssen die Bilder, die wir im Sommer aufgenommen haben, einem breiteren Publikum zeigen.“
Martin Lintner stellte sich für die Montage zur Verfügung, ein Freund vor Ort in Lesbos holte sämtliche Genehmigungen der Personen ein, die im Film gezeigt werden.
Ali lieferte beständig Filmmaterial - den Umzug in das neue Camp, die ersten Regenfälle und Überflutungen dort. Und trotz alledem: Hoffnung.
Ali Mustafa war kurz "live" am Handy beim Premierenabend dabei. (c) Mayr
Der Abend endete mit einer guten Nachricht: Ali hat im Jänner 2022 einen positiven Asylbescheid erhalten. Er lebt nicht mehr im Camp, sondern ist gemeinsam mit Freunden in eine kleine Wohnung gezogen. Es ist nicht viel, aber die Freude, weg vom Camp zu sein und wieder eine Perspektive zu haben, ist groß, berichtet Elisabeth. Wie es jetzt weitergeht, ob Ali in Griechenland bleibt oder nach Italien zu seinem Onkel oder sogar nach Wien zieht, ist offen. Eins ist aber klar: Die Freundschaft der beiden hat gehalten.
Der Teaser zum Film. (c) IN MEMORIAM Documentary
Der Film zeigt eine Seite von Moria, die in der (offiziellen) Berichterstattung ausgeklammert wurde: Anstatt von 15.000 Menschen zu reden, redet Elisabeth Pointner mit wenigen, zeichnet die Geschichten und Gesichter auf, gibt ihnen damit eine Stimme und ein Stück Menschlichkeit zurück. Weitere Vorführtermine sind geplant, berichtet Elisabeth. Sei stellen den Film auch Unternehmen, Pfarren, Gemeinden etc. zum Vorführen zur Verfügung - kostenlos.
Wer Interesse hat, könne sich bei Elisabeth und ihrem Team melden: moria.film@andersgesehen.at
Mehr Infos: moria.andersgesehen.at
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ausserordentlich: Internationale Freiwilligendienste der Orden
[elisabeth mayr]