„Mein Rückzug in die Welt“ – Interview mit Br. Thomas Hessler

Br. Thomas Hessler präsentierte im Oktober sein Buch „Mein Rückzug in die Welt“ , das er gemeinsam mit Felicitas von Aretin geschrieben hat. © Susanne Windischbauer
Ich musste schmunzeln, als ich erfahren habe, dass du ein Buch schreibst. Als wir uns 2023 getroffen haben, haben wir uns über das damals neue Buch deiner Mitbrüder unterhalten. Auf meine Frage, ob du auch mal ein Buch schreiben wirst, meintest du „Nein ich schreibe sicher kein Buch. Ich bleibe bei meiner Kunst.“. Was ist passiert?
Br. Thomas: Das Buch war tatsächlich eine Kette von Zufällen. Ursprünglich sollte ein anderer Künstlermönch porträtiert werden. Als die Zusammenarbeit dort scheiterte, kam die Autorin auf mich zu. Auch unser Goldschmied Michael van Ooyen hat mich ermutigt. Er meinte: „Es ist wichtig, dass Menschen erfahren, was in Gut Aich passiert.“ So habe ich zugesagt – und gemeinsam mit der Autorin Felicitas von Aretin entstand in einem Dreivierteljahr das Buch.
Du erzählst in deinem Buch sehr offen und ehrlich über Sexualität, Sehnsüchte, Konflikte. War von Anfang an geplant, dass das Buch so persönlich wird? Ist es dir generell wichtig, dass man auch über schwierige Themen und Tabuthemen offen spricht?
Br. Thomas: Ja, ich glaube, das gehört zur Glaubwürdigkeit von Ordensleben heute dazu. Sexualität, Beziehungen, Konflikte – das betrifft uns alle. Natürlich gibt es intime Bereiche, die geschützt bleiben, aber grundsätzlich wollte ich authentisch zeigen, wie Mönchsleben im 21. Jahrhundert aussieht. Und dazu darf man nicht vor Tabuthemen halt machen.
Du sprichst im Buch von einer „zeitgemäßen Spiritualität“ und einem „zukunftsfähigen Begegnungsort“. Was bedeutet das konkret bei euch im Europakloster Gut Aich?
Br. Thomas: Wir denken stark in Netzwerken: Mönche, Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, Ehrenamtliche, Weggemeinschaft, Unterstützer/Unterstützerinnen. Kloster ist heute ein vielschichtiges Gefüge. Das Europakloster Gut Aich lebt vom Austausch auf Augenhöhe. Wir arbeiten gemeinsam, kochen gemeinsam, putzen gemeinsam. Benediktinisches Leben heißt: Handarbeit, Einfachheit, Präsenz. Bei uns kann man sich als Verheiratete, als Pensionist oder als Alleinstehender einbringen und die spirituelle Praxis hier vor Ort mitleben. Das heißt aber nicht, dass alle immer in der Kirche sein müssen oder das Chorgebet mitmachen müssen. Das ist ein verkehrtes Bild von spiritueller Praxis. Spiritualität ist wie eine Blumenwiese – eine Distel hat eine andere spirituelle Praxis als eine Brennnessel usw. Die Vielfalt macht die Lebendigkeit aus.

Stille ist für Br. Thomas Hessler ein ganz wesentliches Element für unsere Welt, für unsere Gesellschaft. Stille verbindet. © Susanne Windischbauer
Du sagst „Spiritualität ist vielfältig“ – bei euch im Europakloster Gut Aich sind ja auch ein paar Elemente anders als in anderen benediktinischen Klöstern. Ihr habt z.B. kein klassisches Chorgebet zu Mittag, sondern eine stille Meditation mit anschließendem Friedensgebet. Sind das Antworten auf die Anforderungen und Bedürfnisse der heutigen Zeit?
Br. Thomas: Stille verbindet. Es ist so laut geworden, dass Stille ein ganz wesentliches Element für unsere Welt, für unsere Gesellschaft ist. Sie ist niederschwellig und offen für Menschen aller Religionen. Das entspricht den Bedürfnissen der heutigen Zeit. Wir arbeiten auch mit Schulen und Projekttagen, wo Kinder mit Dankbarkeit, Natur, Ritualen und Achtsamkeit in Kontakt kommen. Das ist zeitgemäße Spiritualität – ohne konfessionelle Hürden.
Mit 30 Jahren seid ihr das jüngste Benediktinerkloster in Österreich. Jemand hat mal gesagt, ihr seid die „Hippies“ unter den Benediktinern. Es gibt auch einige amüsante Anekdoten über das „Anders-sein“ im Buch. Wie geht es euch damit, dass ihr die Exoten unter den Benediktinern seid und trotzdem einer so traditionsreichen Familie angehört?
Br. Thomas: Für mich war das anfangs wirklich eine Herausforderung – ich habe mir gar nicht vorstellen können, einer so traditionsreichen Familie anzugehören. Aber das benediktinische Netzwerk ist wichtig, gibt uns Rückhalt und hat eine besondere Kraft. Wir sind gut in der Österreichischen Benediktinerkongregation aufgenommen worden. Die Grundfragen sind überall dieselben: Wie gelingt Gemeinschaft? Wie gehen wir mit Konflikten um? Wie komme ich mit Menschen in Beziehung? Wie kann ich authentisch leben?
Mit 18 Jahren bist du zuerst im Augustiner-Chorherrenstift Reichersberg eingetreten. Augustiner Chorherren sind alle Priester. Heute im Europakloster Gut Aich bist du bewusst „nur“ Bruder. Warum?
Br. Thomas: Für mich ist es eine Gewissensfrage. Ich möchte eine Kirche unterstützen, in der Leitung und sakramentale Dienste nicht am Geschlecht hängen. Darum gehe ich nicht ins Priesteramt. Es ist eine bewusste Entscheidung von mir. Ich muss nicht Priester sein, um mich einbringen zu können. Es tut der Gemeinschaft auch gut, wenn ein nicht-geweihter Bruder leitet.

„Kreativität gehört zum Mönchsein dazu“, sagt Br. Thomas Hessler. Seine Werke sind in vielen Ordenshäusern und darüber hinaus zu sehen. © DOK TV
Ein Teil des Buches widmet sich der Kunst – deine Leidenschaft, dein Steckenpferd. Wie entstehen deine Werke?
Br. Thomas: Kreativität gehört für mich zum Mönchsein. Inspiration kommt aus Stille, Gebet, Meditation – und aus dem Dialog mit den Menschen, für die ich etwas gestalte. Oft kommt der entscheidende Gedanke ganz unerwartet, aber immer aus einer inneren Sammlung heraus.
Im Buch erfahren die Leser:innen auch, dass fast alle deine Geschwister etwas mit Orden zu tun haben oder hatten. Berufung oder Zufall?
Br. Thomas: Eher Zufall. Wir sind in einem Dorf groß geworden, wo Kirche einfach zum Alltag gehörte. Jede und jeder hat über die Jahre eine eigene Form gefunden – im Orden als Ordensfrau/-mann oder als Mitarbeiter und Mitarbeiterin von Ordenseinrichtungen.
Der Titel des Buches lautet „Mein Rückzug in die Welt“ – was bedeutet er?
Br. Thomas: Es ist eigentlich ein Wortspiel. Früher sagte man: „Man zieht sich aus der Welt zurück.“ oder „Man zieht sich ins Kloster zurück“. Wir leben das Gegenteil. Kloster ist Teil dieser Welt, es ist eine Spielart unserer Welt. Klösterliche Lebensformen sind keine Flucht, sondern ein Beitrag zur Verantwortung für die Welt.
Warum soll man dein Buch lesen? Für wen ist es?
Br. Thomas: Für alle, die eine authentische Innensicht von Kirche suchen. Kirche ist etwas Ansprechendes, was kompatibel ist mit der Weltwirklichkeit. Klösterliches Leben ist ein möglicher Entwurf, Leben sinnvoll zu gestalten. Das Buch ist für Menschen, die spüren wollen, dass Kirche lebendig, zeitgemäß, weltzugewandt sein kann. Das Europakloster Gut Aich ist kein Nostalgieprojekt, sondern ein pulsierendes Stück Kirche im 21. Jahrhundert.
Lieber Bruder Thomas, danke für das Gespräch!
[Das Interview führte Renate Magerl]