Prof. Hans Hollerweger - Hoffnungsträger für den Orient
Prof. Hans Hollerweger war Gründer und langjähriger Obmann der „Initiative Christlicher Orient“ (ICO). (c) ICO
Ich habe nie vorgehabt, dass nach meiner Emeritierung als Universitätsprofessor der Nahe Osten mein Lebensinhalt werden wird für die 25 Jahre danach. Durch Zufall kam es aber so: Der Direktor des St. Georgskollegs in Istanbul lud mich ein, mit den Professoren des Kollegs in die Osttürkei zu fahren. Wir kamen dabei auch in den Tur Abdin, einem hügeligen Hochland mit christlichen Dörfern. Im Kloster Mor Gabriel war ich als ehemaliger Liturgieprofessor fasziniert von der Feier der Liturgie. Das hat mich bewogen, in den nächsten beiden Jahren mit kleinen Gruppen den Tur Abdin wieder zu besuchen. Es waren aber doch touristische Reisen, bei denen man den Teilnehmern die Schönheit des Landes und die alten Bauten zeigt.

Bei seinen Besuchen in den Tur Abdin wohnte Prof. Hollerweger stets im Kloster Mor Gabriel. (c) ICO
Im nächsten Jahr besuchte ich den Tur Abdin mit meinem Assistenten. Wir fuhren in die Dörfer und trafen die Menschen. Der Bürgermeister von Miden, der Deutsch konnte, jammerte uns vor: „Niemand besucht uns, niemand hilft uns. Wer kann, wandert aus. Wir wissen nicht, wie es weitergehen wird.“ Wir fuhren wieder heim, aber die Worte des Bürgermeisters machten uns weiterhin nachdenklich. Mit denen, die den Tur Abdin kannten, bildeten wir eine Gruppe, die überzeugt war: „Da wollen wir helfen!“ Nach einigen Jahren entstand daraus der Verein „Freunde des Tur Abdin“, der später in die „Initiative Christlicher Orient“ umgestaltet wurde.
„Father Hans“
Es gab aber noch ein zweites Problem: Wer kannte schon den Tur Abdin? Das verlangte von mir, zahlreiche Vorträge zu halten: in Österreich, Deutschland, der Schweiz, ja sogar in Schweden. Wir brauchten ja Geld, das auf diese Weise zu fließen begann. Die zahleichen Ausgewanderten aus dem TUR Abdin unterstützten mich dabei.
Der Tur Abdin reicht von der Stadt Mardi (oben) bis zum Tigris. (c) ICO
Jedes Jahr flog ich wenigstens zweimal in den Tur Abdin, wohnte im Kloster Mor Gabriel und fuhr mit einem Auto von Dorf zu Dorf. Um den Bürgermeister oder Pfarrer bildete sich bald eine Gruppe von Männern (hin und wieder auch einigen Frauen), mit denen die Not einzelner Familien oder des Dorfes besprochen wurde. Ich erhielt dabei den Namen „Father Hans“.
Konfrontation mit Militär und Geheimdienst
Doch der Tur Abdin war Kampfgebiet zwischen dem türkischen Militär und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Die Grundvoraussetzung: Man darf sich nicht fürchten und muss freundlich sein. Nur bei zwei Besuchen mit Gruppen wurde ich von hohen Militärs verhört. Das eine Mal diskutierten sie unter sich, ob sie uns verhaften sollen. Doch der Chef war dagegen. Das zweite Mal wurde vom Innenminister verboten, die Dörfer zu besuchen – und ich war mit einer Gruppe im Kloster Mor Gabriel, die auch nichts davon wussten. Wir besuchten das Dorf Miden. Nach dem Kirchenbesuch – wir waren gerade beim Bürgermeister – kamen vier Soldaten und befahlen uns in das Kloster zurückzukehren. Auf halbem Weg wurden wir von der Kontrollstelle wieder in das Dorf zurückgeschickt und von dort zur höheren Instanz in die Bezirksstadt.
Ich fragte den Chef: Sind wir verhaftet oder frei? Natürlich sind wir frei. Ich sagte ihm, alles , was hier verhandelt wird, sende ich dem österreichischen Botschafter in Ankara. Ich tat es auch und bekam vom türkischen Innenministerium eine beschwichtigende Antwort. Dann kamen die üblichen Fragen und wir wurden in das Dorf zurückgeschickt, wo das Mittagessen für uns bereitet war. Aber der Geheimdienst begleitete uns bis in das Kloster Mor Gabriel und sprach mit dem Bischof. Wir beschlossen: Der Aufenthalt im Tur Abdin habe keinen Sinn und besuchten andere bedeutende Orte Richtung Antiochien.
Doch kurz nach Mor Gabriel ist nicht weit von der Straße entfernt, das Kloster Mor Yakub. Beim Verlassen des Tur Abdin besuchten wir es trotzdem. Doch kaum waren wir in der Kirche, war ein Lastwagen, voll mit Militär, vor dem Kloster. Uns blieb nichts anderes übrig, als den Tur Abdin zu verlassen.

Hoffnungsbringer: Prof. Hans Hollerweger bei seinem Einsatz in einem Flüchtlingslager in der Südosttürkei. (c) ICO
Unterstützung für die Menschen
In den folgenden Jahren besuchte ich wieder die Menschen im Tur Abdin. Sie waren freundlich, sagten ihre Nöte – und wir halfen, wo immer es ging. So kam mancher Traktor und manche andere landwirtschaftliche Maschine in den Tur Abdin. Als die ausgewanderten Christen Vereine für ihr Dorf gründeten, wollte ich nicht Konkurrenz sein und ließ ihnen den Vorrang. Ich zog mich vom Tur Abdin allmählich zurück und setzte die Arbeit im Libanon, in Syrien und in Israel/Palästina fort.

Prof. Hollerweger mit einer Ordensfrau im Irak. (c) ICO
Neue Arbeitsfelder im Orient
In diesen Ländern war es damals ruhig. Man wurde kontrolliert, zeigte den Pass und fuhr weiter. Nur in einem Teil des Libanon wurde man auch vom syrischen Militär kontrolliert, fuhr zweihundert Meter weiter und es folgte die libanesische Kontrolle. Über Kontrollen soll man sich nicht ärgern und denken: Sie machen ja nur ihren Dienst!
In diesen Ländern lernte ich einige Patriarchen, viele Bischöfe und Priester und viele Familien kennen. Für gewöhnlich wohnte ich in den Pfarrhäusern oder in einem Kloster. Als aber in Homs das Zimmer für den erkrankten Bischof gebraucht wurde, nahm mich eine Familie auf, mit der ich bis heute Kontakt habe und sie unterstütze. Ebenso lernte ich viele Kulturdenkmäler, Kirchen, Klöster und Burgen kennen, die mich wirklich bereichert haben.
Prof. Hans Hollerweger mit Patriarch Louis Sako bei einer ICO Tagung 2017 in Salzburg. (c) ICO
Zusammenarbeit mit Pro Oriente
Bei einer Tagung von PRO ORIENTE begegnete ich erstmals DDr. Louis Sako, dem früheren Direktor des Seminars in Bagdad, der nun Pfarrer in Mosul war. Wir haben ihm bei einigen Projekten in seiner Pfarre in Mosul geholfen. Dann aber wurde er Erzbischof in Kirkuk. Bereits bei dieser ersten Begegnung waren wir uns sympathisch.
2006 besuchte ich erstmals die autonome Region Kurdistan. Sie war in den folgenden Jahren mein wichtigstes Arbeitsgebiet. Dabei waren die Hilfe und Zusammenarbeit mit Erzbischof Louis Sako von größter Bedeutung. Schon beim ersten Besuch führte er mich in die Diözese Zakho. Dort war die Hilfe besonders notwendig, weil Saddam Hussein die Dörfer an der Grenze zu Syrien und zur Türkei zerstört hatte und die Bewohner u. a. in die Städte Mosul und Bagdad flüchteten. Sie wurden durch die kurdische Regierung zurückgerufen und die Dörfer von der Regierung wieder aufgebaut. Aber inzwischen war der Grund von den Kurden übernommen worden und andrerseits hatten die in ihre Heimat zurück Kehrenden keine landwirtschaftlichen Maschinen.
Hier im Nordirak entsteht gerade ein neuer Kindergarten. (c) ICO
So war es überaus wichtig, ihnen die landwirtschaftlichen Maschinen zu besorgen, damit sie ihren Grund selbst bearbeiten konnten. Die kurdische Regierung baute für alle dieselben Einfamilienhäuser. Wenn Söhne oder Töchter des Hauses heirateten, wurde der Platz zu wenig. In einigen Häusern bauten wir Räume dazu und ermöglichten ein gemeinsames Leben. Zwei Kindergärten wurden gebaut. Einige Busse wurden angeschafft, damit die Schüler und Arbeiter zu ihrer Schule oder zum Arbeitsplatz kommen konnten. Wichtig waren auch die Schafe, die die Existenz sicherten. So fehlte es an allem. Es war eine Freude zu helfen.
Eindrücke aus Nordirak und bleibende Freundschaften
Erzbischof Louis Sako führte mich an verschiedene Orte: nach Süleymanye, zum Dokan Stausee, in die herrliche nördliche Gebirgs-landschaft. Ebenso besuchten wir einige Klöster: die Ruine Rabban Hormizd, Mar Mattei oder das Kloster in der Ebene Mar Behnam. Die Besuche waren keineswegs auf die Diözese Zakho eingeschränkt, Dohuk, Erbil und Kirkuk gehörten dazu.
Enishke im Sapnatal war geprägt von den beiden Zitadellen von Saddam Hussein: im Tal neben dem Dorf und oben auf einem Gebirgskamm.
So hat mich der Nordirak wieder unglaublich bereichert und vor allem die Freundschaft mit dem jetzigen Kardinal Raffael Sako eingebracht.
Ein einziges Mal war ich in Bagdad bei der Amtseinführung von Raffael Sako als Patriarch.
Miteinander im Gespräch: In Kirkuk im Irak mit Abt. em. Henckel-Donnersmarck und Scheichs 2012.
Durch Zufall arbeitete ich für die Christen in Not im Orient. „Zufall ist (vielleicht) die Sprache Gottes, wenn er nicht unterschreiben will“ (Anatole France). Nach einem 14-tägigen Besuch des Nordirak immerhin schon mit 83 Jahren führte ein Schlaganfall zum Ende der Bemühungen um die Christen im Orient. Für mich war die Arbeit für die Christen überaus bereichernd. Der Orient ist in meiner Erinnerung weiterhin geblieben. Es ist eine Freude, an das Engagement im letzten Lebensabschnitt zu denken.
Prof. Hans Hollerweger
Tur Abdin

(c) By Raf
Tur Abdin, im syrisch „Berg der Knechte Gottes“, ist eine historische Hügellandschaft im Südosten der Türkei – geprägt von jahrtausendealter christlicher Tradition. Zwischen Mardin und dem Fluss Tigris erstreckt sich eine Kulturregion mit über 80 Dörfern und rund 70 Klöstern – darunter das Mor Gabriel (gegründet 397 n. Chr. ) und das Saffron-Kloster (5. Jh.). Tur Abdin gilt als spirituelles und kulturelles Herzland der syrisch-orthodoxen Christen mit lebendiger Tradition, even in Zeiten großer Umwälzungen und Migration.
Bücher von Prof. Hollerweger zur Region:

- "Erlebtes in Tur Abdin" (2023) - hier bestellen
- "Christliche Stätten im Orient" (2021) - hier bestellen
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"Bei den Christen im Orient" (2018) - hier bestellen