Dormitio-Abt Schnabel: „Der Mensch zählt nicht mehr“
Nikodemus Schnabel, Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, spricht von einem „Ozean von Leid“ im Nahen Osten und warnt vor der Entmenschlichung durch Sprache und Gewalt. (c) Elias Ungermann
Kritik an Kriegsrhetorik
Mit deutlichen Worten hat sich der Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, Nikodemus Schnabel, zu Wort gemeldet. Gegenüber "Radio Vatikan" sagte Schnabel, er sehe derzeit im Heiligen Land "einfach nur leidende Menschen". Er sperre sich "gegen dieses Gewinner-Verlierer-Narrativ; denn ich sehe keine Gewinner, wenn ich auf die letzten Wochen blicke". Ihn stoße auch die Propaganda auf allen Seiten ab: "Das eigene Leid ins Schaufenster zu stellen und das Leid des anderen zu marginalisieren."
Entwertung des menschlichen Lebens
Die Heiligkeit des menschlichen Lebens komme komplett unter die Räder, so der aus Deutschland stammende Schnabel: "Es wird wirklich mit Menschenleben umgegangen, als ob sie nichts wert wären; Menschenleben werden dehumanisiert und dämonisiert." Man behaupte, der andere sei kein Mensch mehr, "sondern Tier in Menschengestalt, Monster, Kakerlake, Ratte". Und es werde auch sehr wattiert formuliert: "Soldaten fallen, sie sterben nicht; Terroristen werden neutralisiert. Wir haben fast schon eine ganze Wortindustrie geschaffen, um zu verschleiern, um was es eigentlich geht: Menschen töten Menschen. Menschen sterben durch Menschenhand."
Leid auf allen Seiten
Er sei umgeben von einem "Ozean von Leid", so der Abt. Er verwies auf "viele liebe jüdische Freunde, die immer noch bangen um die Geiseln in Gaza und die das Gefühl haben, die Geiseln seien schon längst nicht mehr Priorität". Ebenso habe er viele christliche und muslimische Freunde, "die zum Teil ihre gesamte Verwandtschaft in Gaza verloren haben". Viele Christen, denen er sehr eng verbunden ist, "zittern wirklich um die, die in den beiden Kirchen-Compounds in Gaza – dem orthodoxen und dem römisch-katholischen – ausharren".
Christliches Dorf unter Druck
Schnabel nannte zudem das Dorf Taybeh, das einzige christliche Dorf der Westbank mit drei sehr lebendigen Pfarreien (griechisch-orthodox, griechisch-katholisch, römisch-katholisch) "und mit drei tollen Priestern, die ich kenne". Die Menschen dort würden immer wieder von Siedlern attackiert.
Benediktinische Präsenz als Hoffnungszeichen
Die Benediktiner versuchten in ihren beiden Klöstern in Jerusalem und Tabgha am See Genezaret "Hoffnungsinseln zu sein in diesem Ozean von Leid" und "da zu sein für die Menschen, egal ob jüdisch, christlich, muslimisch, drusisch, atheistisch". Nachsatz: "Natürlich kostet das richtig Kraft und Energie."
Quelle: Kathpress