Umgehen mit dem Unfassbaren
Rituale wie eine Gedenkwand oder ein Ort der Stille ermöglichen es Schüler:innen und Lehrenden, persönliche Gedanken auszudrücken und dem Erlebten Raum zu geben.
Ein Amoklauf an Schule erschüttert die ganze Schulgemeinschaft – selbst wenn das Ereignis an einer anderen Schule stattfand, die räumlich weit entfernt ist. Für katholische Schulen ergibt sich aus ihrem besonderen Bildungsauftrag die Verantwortung, nicht nur pädagogisch, sondern auch seelsorglich auf solche Krisen zu reagieren.
1. Offene Kommunikation ermöglichen
Zunächst braucht es eine sachliche und empathische Information an Schüler:innen, Eltern und das Kollegium. Die Schulleitung sollte zeitnah, altersgerecht und transparent über das Geschehen informieren. Dabei ist wichtig: Ängste ernst nehmen, Spekulationen vermeiden, Orientierung geben.
2. Gesprächsangebote schaffen
Schüler:innen sollen über das Erlebte, Gesehene oder Gehörte sprechen dürfen – ohne Bewertung, mit viel Geduld. Neben pädagogischen Gesprächskreisen in den Klassen können nach Möglichkeit schulpsychologische oder sozialpädagogische Angebote eingerichtet werden. Es geht nicht darum Antworten zu finden, sondern vor allem darum, Fragen auszuhalten.
3. Seelsorge und pastorale Begleitung einbinden
An katholischen Schulen kann die Schulpastoral eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehören:
- Offene Gesprächszeiten mit der Schulseelsorgerin/dem Schulseelsorger, den Religionslehrer:innen, dem Krisenteam
- Individuelle Begleitgespräche für Schüler:innen oder Lehrkräfte, die besonders betroffen sind
- Gebetszeiten oder kurze Impulse im Klassenverband oder im Schulgottesdienst, um der Trauer, Fassungslosigkeit oder Ohnmacht Raum zu geben
- Rituale und Zeichenhandlungen, wie das Entzünden einer Kerze, eine Gedenkwand oder ein Ort der Stille, an dem Schüler:innen und Lehrende persönliche Gedanken hinterlassen können
Diese spirituellen Angebote sollen freiwillig, offen und inklusiv gestaltet sein, damit sich Schüler:innen aller religiösen Bekenntnisse und auch nicht-religiöse Schüler:innen willkommen fühlen.
4. Lehrkräfte stärken
Auch das Kollegium braucht Raum zur Verarbeitung. Eine unterstützende Rolle kann hier neben der Schulleitung auch die Schulseelsorger:innen, die Religionslehrer:innen, das Krisenteam oder externe Supervisor:innen einnehmen. Es ist wichtig, dass Lehrkräfte nicht das Gefühl haben, „funktionieren“ zu müssen, sondern auch für sich selbst sorgen dürfen.
5. Sicherheit vermitteln, Strukturen bewahren
Trotz der Erschütterung hilft es Schüler:innen, wenn der Alltag nicht völlig aus dem Takt gerät. Klare Tagesstrukturen und vertraute Abläufe bieten Sicherheit. Gleichzeitig sollte Flexibilität möglich sein, um auf die Bedürfnisse einzelner Klassen oder Schüler:innen einzugehen. Auch wenn das Sicherheitsgefühl erschüttert ist und das Undenkbare eingetreten ist, ist die Welt heute nicht unsicherer als sie es gestern war.
6. Medienkompetenz fördern
Gerade in sozialen Netzwerken verbreiten sich schockierende Inhalte schnell. In Gesprächen sollte gemeinsam reflektiert werden: Welche Informationen sind verlässlich? Welche Bilder überfordern? Wie kann man sich selbst schützen?
7. Das Gemeinschaftsgefühl stärken
Gerade in Krisen dieser Dimension kann Gemeinschaft auf besondere Weise erlebt und zu einer Quelle des Widerstandes gegen das überwältigende Gefühl der Ohnmacht werden. Wir halten zusammen und geben einander Halt. In gemeinsamen Gedenkhandlungen und Ritualen können, je nach Situation und Bedarf, auch Eltern, Freund:innen und ehemalige Schüler:innen eingebunden werden. Aus diesem Zusammenhalt und dem gegenseitig gespendeten Trost kann eine Perspektive der Hoffnung erwachsen.
Autorin: Marie-Theres Igrec, Bereichsleiterin Bildung und Ordensschulen der Österreichischen Ordenskonferenz