Fünf Bibliotheken, ein Schatz, ein Haus voller Geschichte – die Zentralbibliothek der Minoriten

Die Zentralbibliothek der Minoriten besteht aus vier historischen und einer zeitgenössischen Bibliothek. (c) ÖOK/emw & Victoria Posch | Bild zum Download
Hinter barocken Mauern und schweren Holztüren, gegenüber dem Alten AKH in Wien, liegt die Zentralbibliothek der Minoriten – fünf Bibliotheken, in getrennten Räumen in Originalmöbeln bewahrt. Jede von ihnen erzählt ihre eigene Geschichte – und doch ergeben sie zusammen ein beeindruckendes Zeugnis klösterlicher Wissenskultur. Ihr Bestand, etwa 45.000 Bücher, einige davon über 500 Jahre alt, werden gerade Band für Band katalogisiert.
Bibliothekar Pol B. Edinger zeigt Irene Kubiska-Scharl, Referentin für Bibliotheken der OÖK, Schätze aus den Bibliotheken. (c) ÖOK/emw Bild zum Download
Eine Reise durch Zeit und Raum
Der Konvent der Minoriten befindet sich heute im 8. Wiener Gemeindebezirk. Doch ursprünglich lag er – wie für Minoritenkonvente üblich – mitten in der Stadt, nahe der auch heute noch bestehenden Minoritenkirche am Minoritenplatz. Bereits 1224 kamen die ersten Minoriten nach Wien. Dieser Orden war eng mit dem Kaiserhaus verbunden – als Beichtväter, Hofpfarrer und Professoren der 1365 gegründeten Universität Wien.
Doch im Jahr 1784 zwangen die Reformen von Kaiser Joseph II. viele Ordensgemeinschaften, ihre Stadtkonvente aufzugeben. Die Minoriten zogen in das ehemalige Trinitarierkloster („Weißspanier“) in der Alservorstadt um – direkt gegenüber dem neu gegründeten Allgemeinen Krankenhaus. Dort übernahmen sie die Seelsorge für die Patient:innen des Krankenhauses und die Bewohner:innen der neu errichteten Pfarre Alservorstadt.
Ein besonderer Augenschmaus ist die Grazer Bibliothek mit ihren markanten blauen Regalen. (c) ÖOK/emw | Bild zum Download
Fünf Bibliotheken, ein Ort
Mit dem Konvent zog auch die Klosterbibliothek in die Alservorstadt um. Zwei prachtvolle Räume im ersten Stock wurden ihr neues Zuhause. Sie enthalten den historischen Altbestand des Klosters. Im 20. Jahrhundert gab es bedeutende Zuwächse:
- 1969 kam die historische Bibliothek aus Neunkirchen dazu, die ebenfalls im zweiten Stock aufgestellt wurde.
- 1974 wurden die Bibliotheken der Minoritenklöster Asparn und Graz-Mariahilf in die Zentralbibliothek überstellt und in ihren originalen Bücherregalen im zweiten Stock aufgestellt.
Alte Schätze, zeitgemäße Methoden
Wer glaubt, eine historische Bibliothek sei ein staubiger Ort, irrt: Hinter den Kulissen herrscht Hochbetrieb: Die Bücher werden mit zeitgemäßer Bibliothekssoftware erschlossen, Raumklima und Schädlingsbefall kontrolliert. Stichwort: „Integrated Pest Management“ (IPM) – eine Methode, die dem Schutz der wertvollen Bestände dient indem sie hilft, mögliche Schäden frühzeitig zu erkennen.
Pol B. Edinger katalogisiert zurzeit den Bestand der Bibliotheken, der etwa 45.000 Bücher umfasst. Er benutzt dafür KOBi. (c) ÖOK/emw | Bild zum Download
KOBi
Die Erschließung der rund 45.000 Bücher erfolgt mit dem „Katalog der Ordensbibliotheken“, kurz KOBi genannt. Dabei handelt es sich um einen Bibliotheksverbund, der auf der etablierten Open-Source-Software Koha basiert. Entwickelt wurde KOBi vom Bereich Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz in Zusammenarbeit mit der Bibliothek der Erzabtei St. Peter in Salzburg und dem ehemaligen Bibliothekar der Minoriten. Seit 2020 ist der Verbund online zugänglich. Aktuell gehören neun Ordensbibliotheken dazu – darunter auch die Zentralbibliothek der Minoriten in Wien sowie die Konventbibliothek der Franziskaner-Minoriten in Fribourg in der Schweiz.
Irene Kubiska-Scharl beim Entdecken der literarischen Schätze der Minoritenbibliothek. (c) ÖOK/emw | Bild zum Download
Ein musikalisches Weltkulturerbe
Besonders hervorzuheben ist das Musikarchiv der Minoriten. Es umfasst kirchenmusikalische Werke des 17. und 18. Jahrhunderts, darunter eine einzigartige Sammlung von Musikalien des Minoritenpaters Alexander Giessel (1694–1766). Er war Regens Chori, Organist und Bassist an der Wiener Minoritenkirche – und Schüler des berühmten Hofkomponisten Johann Joseph Fux.
Giessel stand in engem Kontakt mit weiteren bedeutenden Komponisten seiner Zeit, wie Gottfried Muffat und Karl Georg Reutter. Seine Sammlung gibt einen einzigartigen Einblick in das musikalische Repertoire rund um die Wiener Hofkapelle. Kein Wunder also, dass dieser Bestand Ende 2024 in das „Memory of the World“-Register der UNESCO aufgenommen wurde.
Das kulturelle Erbe der Minoriten liegt in guten Händen: Die Bibliothek ist direkt dem Provinzial P. Bernhard Lang unterstellt und wird vom Bibliothekar Pol B. Edinger fachmännisch geleitet.
Ein besonderer Schatz ist das Kräuterbuch aus dem 16. Jahrhundert. (c) ÖOK/emw | Bild zum Download
Bücher feiern – am Welttag des Buches
Jedes Jahr am 23. April wird weltweit der „Tag des Buches und des Urheberrechts“ gefeiert – ein Datum, das an die großen Schriftsteller William Shakespeare und Miguel de Cervantes erinnert, die beide an diesem Tag im Jahr 1616 starben. In Spanien entstand daraus die Tradition, Bücher zu verschenken. Auf Initiative der spanischen Regierung griff die UNESCO diese Idee auf und gründete 1995 den neuen Gedenktag.
Ein idealer Anlass also, um einen verborgenen Schatz mitten in Wien zu entdecken: die Zentralbibliothek der Minoriten. Mit ihren fünf Bibliotheken, 45.000 Büchern, seltenen Handschriften, Urkunden und musikalischen Kostbarkeiten ist sie ein Ort, an dem Vergangenheit lebendig bleibt – und Geschichten darauf warten, weitererzählt zu werden.