Vielfalt unter einem Dach
Das Erste, das Besuchern ins Auge fällt, wenn sie durch den Haupteingang die Gemeinschaftsräume von POMALI betreten, ist der bunte Stilmix. An der Tür empfängt ein indisch angehauchtes Tischchen gemeinsam mit einem rustikalen Kasten mit Bauernmalerei die Gäste. Die kubanischen Congas und Bongos stehen in Reih und Glied neben dem heimischen Pianino. Großmutters Ohrensessel lädt vor dem schwedischen Bücherregal zum geruhsamen Verweilen ein. Kinder fetzen durch die Räume, Erwachsene sitzen im Speisesaal an den Tischen, essen, plaudern. Eine Gruppe von InteressentInnen macht sich bereit, eine Führung durch die Wohnanlage zu erhalten. Es herrscht (geräuschvolles) Leben vor. Dafür sind die Gemeinschaftsräume, die aus Großküche, Multifunktionsraum, Kinderraum, Wintergarten und Werkstatt bestehen, auch da. Im Keller gibt es noch zusätzlich einen Meditationsraum, Sauna und einen sogenannten Lärmraum, in dem sich die Kinder (aber auch Erwachsene) austoben können. In diesen Räumen spielen sich wesentliche Teile des Gemeinschaftslebens ab; hier wird miteinander diskutiert, musiziert, gespielt, Film geschaut und werden Feste gefeiert. Zentrale Bedeutung hat die große Gastro-Küche, wo mehrmals die Woche im großen Stil gekocht und anschließend gemeinsam gegessen wird. Natürlich hat jede der 29 Wohnanlagen, die rechts und links in Zweierreihen samt kleinem Garten an die Gemeinschaftsräume angeschlossen sind, eine eigene Eingangstür, die man hinter sich schließen kann. Die Wohneinheiten sind zwischen 50 und 122 Quadratmeter groß, nach Süden ausgerichtet und in Passivbauweise mit kontrollierter Wohnraumlüftung ausgeführt. Alle verfügen über eine eigene Küche; wer also möchte, kann sich durchaus in seine eigenen vier Wände zurückziehen – zumindest für eine gewisse Zeit, denn dies widerspräche eigentlich der Idee, der POMALI zugrunde liegt.
Gute Beziehungen und gegenseitige Unterstützung
POMALI ist eine lebendige Gemeinschaft von 78 Menschen zwischen 0 und 74 Jahren. Dieses Miteinander präsentiert sich bunt gemischt: Vom Pensionistenpaar über die Jungfamilie bis zur alleinerziehenden Mutter. „Es war uns wichtig, Menschen aller Altersstufen in unsere Gemeinschaft zu integrieren“, erzählt Mitbewohnerin Hemma Rüggen. Die Kommunikationstrainerin fungiert als eine Art „Sprecherin“ der Wohngemeinschaft. „Die Idee des Cohousings ist eigentlich nichts Neues und war früher in der ländlichen Gegend gang und gäbe.“ Zentrales Anliegen sei es, untereinander gute Beziehungen zu pflegen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Sehnsucht nach gemeinsamem Zusammenhalt wachse in den Menschen, das zeige die immer größer werdende Anzahl von Cohousing- Projekten in Österreich. „Ich laborierte vor einigen Wochen an einer ziemlich schweren Grippe. Da wurde ich von einigen Mitbewohnern sozusagen mitversorgt“, erinnert sich Rüggen. Niemand ist zu irgendetwas verpflichtet. Aber jeder in der Wohnhausanlage versucht so gut es geht überall dabei zu sein – auch beim Kinderhüten. „Die Gemeinschaft funktioniert bestens“, so Rüggen.
78 Menschen aller Altersstufen leben miteinander und halten zusammen. Als das Co-Housing-Projekt in Wölbling zu scheitern drohte, kam mit der Einführung der Soziokratie der Aufschwung.
Soziokratie als Basis der Entscheidungsfindung
Dass das so ist, liegt auch daran, dass ein sehr ungewöhnlicher Ansatz der Entscheidungsfindung in POMALI umgesetzt wird: „Wir leben Soziokratie“, erklärt Rüggen. In Arbeitskreisen mit maximal sieben Personen werden die nächsten Ziele besprochen; danach werden die Vorschläge an alle Bewohner gesendet. Jeder darf Einwände einbringen; auch darüber wird dann im Arbeitskreis diskutiert und die Pro und Contras abgewogen. Ziel ist nicht, jemanden zu überstimmen, sondern zu überzeugen – oder sich überzeugen zu lassen. „Man darf durchaus im Lauf des Entscheidungsprozesses seine Meinung ändern“, betont Rüggen. „Und es bedeutet nicht unbedingt, dass am Ende ein perfektes Ergebnis herauskommt, sondern eines, mit dem alle zufrieden leben können.“ Auslöser für die Einführung der Soziokratie war das drohende Scheitern des Projektes. Einige Familien hatten sich zusammengetan, um ihren Traum von einem gemeinschaftlichen Leben zu verwirklichen. Man suchte lange, bis man 2010 das dafür geeignete Grundstück in der Gemeinde Wölbling fand, auf halber Strecke zwischen Krems und St. Pölten gelegen. Lange hielt man auch nach einem geeigneten Finanzierungspartner Ausschau, bis man ihn in einer mutigen Wohnbaugenossenschaft fand. Doch die nervenaufreibende Suche verlangte ihren Preis; von der ursprünglich 30köpfigen Gruppe blieb nur mehr die Hälfte übrig. Der Rest war mit Arbeitsüberlastung, hohen Projektvorlaufkosten und unklaren Entscheidungsfindungsprozessen konfrontiert. Resignation machte sich breit. Um dem drohenden Aus zu entgehen, entschloss sich die Gruppe, mit der Einführung der Soziokratie einen neuen Weg zu gehen. Bereits zwei Jahre später wurden erste Erfolge spürbar: Die Arbeit teilte sich gut auf alle Mitglieder auf, alte Konflikte wurden gut bearbeitet, die Klarheit der gemeinsamen Ziele brachte Vertrauen und Beruhigung in die Gruppe. Neue Interessenten kamen hinzu, die dank der transparenten Struktur rasch mitwirken konnten. Das Bauprojekt wurde schließlich im Dezember 2013 in einer ersten Phase mit 17 Wohneinheiten erfolgreich umgesetzt. Weitere 12 Wohneinheiten wurden im September 2015 an POMALI übergeben; damit ist das Bauprojekt abgeschlossen. Jeder Haushalt ist selbst finanziell verantwortlich; die Kosten der Gemeinschaftsräume werden prozentuell auf die Miete der jeweiligen Wohneinheiten draufgeschlagen.
„Wir leben Soziokratie", erklärt Hemma Rüggen im Gespräch mit Robert Sonnleitner.
Nachhaltiges Leben auch nach außen
„Es ist uns wichtig, uns zu einem großen Teil gemeinschaftlich selbst zu versorgen“, betont Rüggen. Dazu trägt der eigene, 10.000 Quadratmeter große Garten bei. Bei regionalen Bio-Bauern wird gemeinsam eingekauft. Mobilität wird durch Car- Sharing erreicht. „Es ist ein Geschenk, mit Menschen leben zu dürfen, die einen ähnlichen Traum vom Leben haben“, zieht Hemma Rüggen Bilanz. „Vielfalt stärkt – auch darin, selber dranzubleiben, weil eine andere Welt möglich ist. Be the change that you want to see in the world. Und da hilft kein Reden; das muss man tun!“
Fotos: Manu Nitsch
[rsonnleitner]