Gott Raum geben
Bist Du besuchbar?
Es war vor einigen Jahren, nach einer persönlich schwierigen Phase rief mich Franz Küberl, der ehemalige Caritaspräsident, an und fragte, ob ich besuchbar sei. Schon die Frage hat mich innerlich getröstet und gestärkt. Natürlich auch der darauf folgende Besuch.
Bist Du besuchbar? Diese Frage ist für mich zu einem ganz wichtigen geistlichen Kriterium geworden, das ich gerne heute mich Euch teilen möchte. Sind wir innerlich frei genug, aufgeräumt und empfänglich, um jemanden aufzunehmen. Um einander aufzunehmen – oder leben wir nur nebeneinander? Aufgeschlossen genug, um Gott aufzunehmen? Oder sind wir in uns selbst verschlossen oder mit allen möglichen und unmöglichen Dingen, Sorgen und Geschäften zugemüllt?
Maria war für Gott besuchbar. Auch wenn sie erschrak, war sie in einer Haltung der Erwartung. Es gab in ihr keinen prinzipiellen Vorbehalt Gott gegenüber. Sie war bereit für einen Besuch.
Als geistlicher Mensch leben bedeutet, wenn ich es richtig verstehe, Gott Raum geben, Ihm in einer nervösen, überbeschäftigten Zeit einen Freiraum offen halten. Stellvertretend für die Gesellschaft. Dazu brauchen wir unsere Klöster, geistliche Männer und Frauen – unabhängig davon, ob sie ein großes, repräsentatives Stift bewohnen, eine kleine Klause am Berg oder eine Niederlassung in der Stadt, ob in der Abgeschiedenheit der Natur oder fast direkt an der Transitstrecke im Inntal.
Bist Du besuchbar? Bist Du bereit, Dich von Gott stören zu lassen? Richard Ames, der leider viel zu früh verstorbene Kantor der jüdischen Gemeinde in Graz, hat auf die Frage, warum es im Judentum so viele Gebote und Verbote gäbe, geantwortet: Damit wir uns von Gott in unserem Alltag stören lassen. Mit der Regel des Zusammenlebens, die in allen Klöstern und Gemeinschaften in unterschiedlicher Weise und Intensität alle Gebetszeiten und gemeinsamen Aktivitäten ordnet, haben wir dieses permanente Gestörtwerden von Gott institutionalisiert. Aber gibt es nicht auch die Gefahr der abgestumpften Routine? Eine monastische Geschäftigkeit, die Gott nicht mehr zulässt?
Gott lässt sich nicht domestizieren.
Durch das eingeübte geistliche Leben reift der Mensch. Durch die Vorgabe von einem klösterlichen Rhythmus wächst ein vertrauter Umgang mit Gott. Das ist etwas unendlich Kostbares. Wir müssen die Worte und Gesten unseres Kommunizierens mit Gott nicht permanent neu erfinden. Das wäre auch niemanden in der alltäglichen Kommunikation zumutbar. Wir sind froh, dass wir verlässliche Vorgaben haben, wie wir uns grüßen, wie wir auf besondere Situationen reagieren und uns überhaupt in einem sehr komplexen Leben zurecht finden können.
Trotzdem und gerade darin, in dieser Vertrautheit, liegt aber auch eine Gefahr, die wir nicht unterschätzen sollten. Wie wir in der Lesung (2 Sam 7,1-16) heute gehört haben, kommt David plötzlich auf die Idee, Gott ein Haus zu bauen. Er, der tüchtige und erfolgreiche König, der nie den Lobpreis Gottes verstummen ließ, er, der im besten Sinne charismatische Leader des Volkes, will nun Gott ein Haus bauen. Es klingt rührend und anmaßend zugleich. David erhält dafür auch eine deutliche Zurechtweisung von Gott durch den Mund des Propheten: „Ich habe alles für Dich gemacht. Ich habe Dich von der Herde weggeführt, Dir Macht verliehen und Dein Geschlecht, Dein Haus, Dein Lebenshaus aufgebaut. Ist es nicht komisch, dass Du mir ein Haus bauen möchtest? Ich werde Dir ein anderes Haus bauen!“
Mir scheint, dass die Vertrautheit mit Gott auch David zur Falle wurde. Er wollte Gott domestizieren. Gott zu einem Teil seiner Herrschaft, seiner Domain machen. Auch in der Computersprache heutiger Zeit ganz vertraut – eine Domain anlegen. Darin steckt das Wort domus, Haus.
Gott ist uns vertraut und hoffentlich auch fremd genug. Wenn nicht, dann haben wir uns an seine Stelle gesetzt. In jeder Beziehung, die lebendig bleiben will, braucht es beide Momente: Vertrautheit und Fremdheit. Wenn ich vom Fremdsein Gottes spreche, dann meine ich keineswegs einen etwaigen Rest von bösartiger Unberechenbarkeit oder Verschlagenheit. Gott ist selbstverständlich das ganz und gar offene, lichte Geheimnis. Keine Finsternis ist in Ihm. Und dennoch lässt sich Gott nicht domestizieren. Er ist nicht Teil unserer geistlichen Geschäftigkeit. Er ist nicht Teil unserer Hausordnung. Er ist größer, immer überraschender und letztlich unfassbar – unfassbar in seiner Nähe und Barmherzigkeit. Ich spreche mit dem Verweis auf die Fremdheit Gottes also von einer Haltung, von einem zutiefst respektvollen Umgang, von einer ehrfurchtsvollen Haltung, die Gott Gott sein lässt. Eine wirkliche Beziehung lebt von beiden Momenten – vom vertraut und fremd. Auch unser Umgang mit Jesus, der Gottes ganze Offenbarung ist – sein Herzstück, verschenkt an die Welt – auch dieser Umgang ist hoffentlich geprägt von vertraut UND fremd. Wir kennen ihn, unseren Bruder und Herrn, und trotzdem sind wir immer neu aufgefordert, zu fragen: Herr, wer bist Du? In welchem Gesicht begegnest Du mir heute? Welche Nähe und Fremdheit mutest Du mir heute zu?
Was macht die Jugendlichkeit eines geistlichen Menschen aus?
Es ist nicht die Frage des physischen Alters. Ich hatte in meinem Leben oftmals die Gelegenheit, alten Mönchen und Klosterfrauen zu begegnen. Welch eine Freude! Ein Strahlen in den Augen, ein fast nicht enden wollendes Erzählen von Lebensgeschichten, die von Gnade gesättigt sind. Diese jung Gebliebenen stimmen nahezu mit Worten der Psalmen in eine Lebensdankbarkeit ein. Ich höre sie sagen: „Das Herz geht über, wenn ich daran denke, was der Herr mir Gutes getan hat.“ Das sind die wirklichen Jugendlichen – viele Falten im Gesicht und Furchen an den Händen, vielleicht ein Zittern und beschwerliches Hinken. Doch sie können immer noch staunen und sich freuen über alles Lebendige. In der Reife des Alters haben sie ihr Kindsein wiedergefunden. Ganz nach dem Wort des Herrn: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Aber es gibt natürlich auch die physisch und geistlich Alten – genauso die physisch Jungen, aber geistlich ebenso alt – die nichts mehr vom Leben und von Gott erwarten. Sie sind nicht mehr besuchbar. Sie geben vor, alles schon zu kennen und zu wissen. Sie tragen ihre Lebenserfahrung wie einen Panzer vor sich her, sie verstecken sich dahinter – vielleicht aus Angst oder Unversöhntheit mit sich und der Welt. Sie haben – ob alt oder jung – meist auch Probleme mit der Leitung des Hauses. Sie fühlen sich bedroht, nicht wertgeschätzt, zu wenig einbezogen usf.. Dahinter können natürlich wirkliche Verletzungen und Enttäuschen stehen, aber sie dürfen uns nicht in eine sklerotische Erstarrung führen. Unsere geistlichen Häuser im Land brauchen Jugendlichkeit. Das und nur das allein macht sie für zukünftige Berufungen attraktiv. Nicht die tolle Architektur, die bestens ausgestatteten Bibliotheken und die vielen anderen klösterlichen Kunst- und Kulturschätze. Unsere Häuser brauchen eine erneuerte Jugendlichkeit. Es drängt die Zeit! Viele unserer verlässlichen Mönche und Nonnen haben das Alter erreicht, wo sie sich für ein definitives Hinübergehen zum Gott der ewigen Jugendlichkeit vorbereiten. Sie mögen es in Gelassenheit und Zuversicht tun – und mit einem jungen Herzen! Dieses Zeugnis braucht es für alle, die zukünftig in ihre Nachfolge treten.
Jugendlichkeit in einem geistlichen Sinn ist also keine Frage des Alters, sondern eine Frage der inneren Beweglichkeit. Die wichtigste Voraussetzung, damit die Seele in Bewegung bleibt, ist die Versöhnung. Unversöhnt wird jeder Mensch schwer, ganz schwer. Die Sünde in jeder Form von Lieblosigkeit, von Stolz und Selbstgerechtigkeit ist die eigentliche Schwerkraft. Sie zieht uns hinunter. Aber es gibt die tröstende und versöhnende Kraft es Heiligen Geistes, die uns hinaufzieht. Er richtet uns auf. Er macht Alles neu! Er, der Lebendigmacher, der Vater der Armen schenkt uns ein Neues Hören, ein Neues Staunen, ein Neues Laufen. Schauen wir abschließend bitte noch einmal auf Maria: Sofort nach dem Besuch des Engels, der ihr Gottes Kommen und physisches Einwohnen in ihr zugesagt hat, macht sie sich auf den Weg zu Elisabeth. Welch eine geistvolle Beweglichkeit und Lebendigkeit! Maria, bitte nimm uns an der Hand, damit wir besuchbar und lebendig bleiben!
Von Herzen wünsche ich Euch allen eine geistvolle Lebendigkeit zum Weihnachtsfest 2017!