Aufbruch ins Gebet
„Vor Jahren hat man Gott in den Fürbitten ein kleines Kurzreferat gehalten, was er zu tun hat. Heute benennen wir die Situation und stellen sie vor Gott hin.“ Sr. Maria und Sr. Maria Nadine von den Klaraschwestern in Bregenz stellen eine Veränderung fest: „Die Welt vor Gott tragen heißt, die Welt ist schon vor Gott und es gilt den Menschen daran zu erinnern. Es ist ein neues Wahrnehmen da, ein Spüren, dass wir vor Gott sind.“ Sie haben schon oft bei Menschen erlebt, „dass eine Stunde in Stille in der Kirche sitzen verändert“. Sie betonen, dass das aber nicht heißt, „dass wir vom Wort weg, sondern dass wir neu und bewusst hinter das Wort gehen“. Da denken sie vor allem an das bewährte regelmäßige Stundengebet. Sie stellen fest, dass heute viel über Gott gesprochen wird: „Das Reden über Gott möchten wir ersetzen durch die lebendige Beziehung zu Gott und da kommt zuerst Stille, Schweigen und Staunen.“ Und doch hat die Gemeinschaft der Klaraschwestern eine große Sensibilität „der Welt“ gegenüber entwickelt. Ich erlebe das ganz praktisch als Gast.
Sr. Maria (li) und Sr. Maria Nadine im einfachen Kreuzgang des Klosters der Klaraschwestern
Hellwach zusammenstehen
Die Terz ist um 9 Uhr vormittags. Ich bete mit den sechs anwesenden Schwestern mit. Sie kommen in ziviler Arbeitskleidung. Davor waren wir gemeinsam um 8 Uhr in der Messe in der St. Gallus Pfarrkirche. Nach der Laudes, dem stillen Frühstück gehen sie hinaus zu den Menschen und feiern dort Eucharistie mit. Bis dorthin trugen alle den Habit. Am Ende der Terz verlassen wir den einfachen franziskanischen Gebetsraum. Alle Schwestern warten davor am Gang im Kreis und begrüßen mich herzlich. Das tut dem Gast wohl: wertschätzende Aufmerksamkeit und trotz aller Stille das Wesentliche ins Gespräch bringen dürfen. Da ist keine Mauer, sondern warmes herzliches Da-Sein. Die Dimension der „innerlichen Verbundenheit“ ist uneingeschränkt da. Das Lächeln zeigt die Freude über den Gast. Hier ist der Ort, wo nach dem Gebet das Willkommen ausgedrückt wird, genauso wie die Abschiede. Aufbruch hat hier einen Platz, ebenso das Ankommen.
Von innen her kapieren
„Ausweg ist nur im Aufbruch nach innen“, erinnert Sr. Maria an ein Gedicht von Christine Busta und schaut auf die Kirche heute: „Äußerlich ist die Kirche alt, innerlich hat sie das Wesentliche immer noch vor sich. Der Schatz ist noch lange nicht gehoben. Das geht aber nur, wenn wir tiefer gehen und tiefer gehen in die Stille. In der Kirche geht es nicht einfach um Tradition, sondern für uns heute darum, das Überlieferte neu, von innen her, zu verstehen. Wie soll eine Christusbeziehung wachsen? Doch nur durch Gebet. Wie soll ich Gott loben, wenn ich keine Ahnung habe von Gott?“ Sr. Maria Nadine ergänzt: „Es muss eine innerliche Erfahrung werden, nicht am Äußerlichen hängen.“ Sie sieht ihre Aufgabe darin, „in der Stille, im Gebet zu sein. Das ist nicht mehr oder weniger als andere Lebensvollzüge, aber ein ganz wesentlicher. Es geht mir darum, der Gegenwart Gottes Raum zu geben und in diesem Grundvertrauen Leben, Wachstum und Liebe zu entfalten und den Boden, der mich trägt, zu finden. Jedes Gebet ist das Leben auf die Ebene der Hoffnung zu heben.“
Klaraschwestern in ihrer Kapelle in Bregenz im Gebet
Wie kann ein betendes Leben gelingen?
Sr. Maria Nadine benennt im Blick auf ihre Gemeinschaft zwei Dimensionen: „Da ist auf der einen Seite ganz einfach diese Atmosphäre des tragenden und respektvollen Miteinanders. Das spüren auch die Gäste, wenn sie es mit uns erleben. Auf der anderen Seite die klare Struktur, der Rhythmus, in den wir uns hineinstellen, der uns durch die Gebetszeiten trägt. Kommunikation, Gebet und Stille suchen immer eine gute Balance.“ Diese Balance gilt es auch mit den Gästen, die als „ganze Personen“ hereingenommen werden, zu finden. Zwischen dem „Urbedürfnis nach Reden“ und der „Geschwätzigkeit, die dieses heilsame Schweigen vertreibt“. Beide schildern, dass sie genau deshalb hier bei den Klaraschwestern angekommen sind, weil diese Aspekte in einem guten Verhältnis gelebt sind und erlebt wurden: „Es war diese ‚natürliche normale herzliche Menschlichkeit‘, die da in der Luft gelegen ist.“ Und liegt. Für Neugierige, die sich ein Leben in Gemeinschaft und aus dem Gebet, aus viel Stille nicht vorstellen können, meinen beide: „Es hat sich eine Welt aufgetan und es ist drinnen so weit geworden. Natürlich gibt es Ernüchterung. Aber ich weiß: Es ist mein Weg. Und: Es verbraucht sich nicht. Wir vermuten, wir dürfen an der Quelle leben. Und wir dürfen den Menschen zeigen, helfen, wie auch sie die Quelle des Gebetes, dieser tiefen Beziehung zu Gott finden können.“
Wir stehen für alle vor Gott
Über Emails, Telefon, Briefe, die Pforte und Gespräche erfahren die Karmelitinnen in Innsbruck von den Nöten heutiger Menschen. Priorin Sr. M. Carmen: „Wir stellen uns täglich unter die Augen und die Behutsamkeit Gottes, um die Nöte, die wir jeden Tag erfahren, ins Gebet zu nehmen. Das geht von Kinderlosigkeit, Krankheiten bis hin zu Streitereien, wo Menschen Hilfe suchen. Wir sehen unser Gebet als täglichen Aufbruch aus der Resignation und nehmen diese Menschen immer mit.“ Sr. M. Carmen spricht selber ihr Leben in Klausur an: „Uns trennt die Klausur nicht von der Realität und der Welt draußen. Sie macht uns noch sensibler für die Menschen und ihre Anliegen. Wir stehen im Namen aller vor Gott.“ Von wegen Flucht oder Aufbruch als Titel. Dieses gemeinschaftlich kontemplativ gestaltete Leben ist ein Ankommen im Gebet, in der Stille und bei Gott. Und diese betenden Menschen stehen mitten in der Welt. Fast unglaublich.
Der Karmel St. Josef und St. Teresa ist ein Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen in Innsbruck. Fotos: [fk]
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