Die Jüngeren haben oft die besseren Ideen
Wie lernt man im Stiftsgymnasium Melk fürs Leben?
Anton Eder: Zunächst einmal lernt man im Stiftsgymnasium Melk auch ganz klassisch. Das heißt, uns geht es in erster Linie darum, eine hohe Wissenskompetenz aufzubauen. Aber gleichzeitig haben wir ein sehr breitgefächertes Angebot an unverbindlichen Schulübungen. Und da versuchen wir auch sehr flexibel zu sein. Wenn wir sehen, dass das Interesse der Jugendlichen in eine bestimmte Richtung geht, dann versuchen wir ein Angebot zu erstellen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Schüler interessierte sich sehr für Eventmanagement; wir haben ihn dann sozusagen zu unserem „Eventmanager“ gemacht. Er ist sogar auf Skikurs mitgefahren, hat die Disko beleuchtet und den Ton gemacht. Worauf ich hinauswill: Man muss herausfinden, wofür sich die Kinder interessieren, und dieses Interesse dann fördern, indem man ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Wissen auch praktisch umzusetzen.
Gibt es auch schulübergreifende Projekte?
Ja, im Stiftsgymnasium Melk ist es Tradition, in Abständen von zwei Jahren Musicals aufzuführen; das haben wir in den 90er-Jahren begonnen. Das ist ein Riesenschulprojekt. Da braucht es Darsteller, ein Orchester, zwei Chöre, eine Bühnengestaltung und noch vieles mehr. Aber ein Kollege von mir hat einmal gesagt, die eigentlich tolle Erfahrung war die Erkenntnis, dass das die Jugendlichen selbst auf die Beine stellen. Nach dem Motto: Wir können das! Und sie können es auch, das beweisen sie jedes Mal.
Ein bisserl Unterstützung wird es für die Schülerinnen und Schüler schon geben?
Natürlich werden sie von uns Lehrern unterstützt. Und auch vom Stift Melk. Wir haben das Glück, in einer besonderen Situation zu sein. Das Stift stellt Räumlichkeiten zu Verfügung, wo wir proben können. Es gibt zum Beispiel einen Bautrupp oder eine Tischlerei, die uns helfen, eine Bühne zu bauen. Da ist das Stift sehr, sehr hilfreich. Aber diese Arbeiten werden immer gemeinsam mit den Jugendlichen gemacht.
Die bekanntesten Schulprojekte des Stiftsgymnasiums Melk sind die Ausstellungen, die von den Schülerinnen und Schülern gestaltet werden. Wie kam es dazu?
Im Jahr 2000 wurde das Stift Melk mit der Kultur- und Naturlandschaft Wachau zum UNESCO-Welterbe ernannt. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein Museumsweg von Göttweig über Krems nach Melk angelegt. Und da kam plötzlich die Idee auf, ob es nicht möglich wäre, hier ein Museum zu errichten, das von Schülerinnen und Schülern gestaltet wird. Wir waren ehrlich gesagt im ersten Moment skeptisch; eine „richtige“ Ausstellung ist sicher eine Herausforderung. Aber letztendlich hat die Schule den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Mittlerweile haben wir schon die fünfte Ausstellung, und alle waren ein Riesenerfolg. In der aktuellen Ausstellung setzten sich die Schüler mit Farben auseinander. Mittlerweile arbeiten sie schon am nächsten Thema, das ich natürlich noch nicht verraten werde. Da haben die „Museumsmacher“ schon Workshops eingerichtet, wo von der Themenfindung bis zur Eröffnung in eineinhalb Jahren alles umgesetzt wird.
Sie versuchen also die Theorie gleich in der Praxis umzusetzen?
Ja, das stimmt. Und da arbeiten auch alle Schulfächer zusammen. Wenn es um den historischen Teil geht, dann sind die Historiker gefragt. Wenn der Inhalt in verschiedene Sprachen übersetzt werden muss, dann sind die Sprachfächer gefordert. Wir wollen definitiv nicht nur bei der Theorie bleiben, sondern wir machen eine „wirkliche“ Ausstellung. Wir hängen nicht nur ein paar Backpapierzettel auf, sondern alles ist wissenschaftlich fundiert. Und ich kann ehrlich sagen, wir bekommen viel positives Feedback von Besucherinnen und Besuchern aus der ganzen Welt. Das ist für die Kinder natürlich ein Riesenansporn. Sie sind stolz, denn das ist „ihre“ Ausstellung. Ein weiteres Projekt, das wir momentan am Laufen haben, ist eine Kooperation mit GLOBART, eine Zukunftsdenkwerkstätte, die das sogenannte „World-Peace-Game“ initiiert. Dabei müssen sich die Schülerinnen und Schüler mit realistischen globalen Konflikten auseinandersetzen, die sie gemeinsam lösen sollen. Sie schlüpfen dazu in verschiedene Rollen, der eine wird UNO-Generalsekretär, der andere wird Finanzminister, der nächste Wirtschaftsminister. Jetzt werden sie mit Kriegen, mit Wassermangel, mit Umweltzerstörung konfrontiert; Probleme, die es in der Realität auch gibt. Die Kinder haben eine Woche Zeit, eine Lösung zu finden. Ich persönlich finde das sehr interessant, weil die Jugendlichen lernen, die Komplexität der Problemlagen zu erkennen. Lösungen können nur durch Kompromisse erreicht werden. Das ist teilweise nicht so simpel; einfache Antworten greifen oft zu kurz. Und sie dürfen natürlich auch Fehler machen.
Stift und Stiftsgymnasium Melk (links Dir. Anton Eder) unterstützen Straßenkinder und sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche aus dem Kreis Bihor in Rumänien – ohne Rücksicht auf sprachliche und konfessionelle Herkunft. In dem kleinen Ort Saniob (nahe der ungarischen Grenze) finden im Sozialzentrum mit zwei Häusern ca. 40 Kinder und Jugendliche eine neue Heimat und viele Frauen im Ort eine Beschäftigung als ausgebildete Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen. Einige Klassen verbrachten 2017 mit ihren Lehrern eine Woche in Saniob, die SchülerInnen unterstützten in diesem Jahr die Kinder in Saniob z.B. durch eine schulinterne Fastenaktion. Foto: Manu Nitsch
Durch das Fehlermachen lernt man ja auch.
Richtig. Es gibt einen Begriff in der Pädagogik, der heißt Selbstwirksamkeit. Die Kinder sollen die Erfahrung machen, dass sie selbst etwas tun können. Es ist bei uns ein Grundprinzip, das wir aus der benediktinischen Pädagogik ableiten. Der heilige Benedikt sagt, man soll auch die Jüngeren fragen, weil sie oft die besseren Ideen haben. Diesen Punkt versuchen wir im Stiftsgymnasium Melk umzusetzen. Wir nehmen die Kinder ernst, ihre Anliegen, ihre Vorstellungen. Nur weil ein Vorschlag von einem Jugendlichen kommt, muss er ja nicht schlecht sein. Ich glaube, das ist auch der Grund für unser sehr gutes Schulklima.
Wie viele Schülerinnen und Schüler besuchen das Stiftsgymnasium?
Insgesamt 912. In der Unterstufe sind wir ein normales Gymnasium mit Latein. In der Oberstufe setzen wir das Gymnasium fort mit einem humanistischen und einem neusprachlichen Zweig. Und wir haben ein Oberstufenrealgymnasium mit einem naturwissenschaftlichen, bildnerischen und musikalischen Zweig.
Können Sie persönlich auch von den Jugendlichen lernen?
Ich lerne jeden Tag von ihnen. Gerade bei den Projektarbeiten bin ich manchmal sehr überrascht, welche kreativen Lösungen sie oft finden, auf die ich nie gekommen wäre. Der heilige Benedikt hat völlig recht: Die Jüngeren haben oft die besseren Ideen.
[rs]