Orden besinnen sich auf das Wesentliche. In Tirol und anderswo
Die Zeichen seien schon lange da, schreibt Michaela S. Paulmichl in ihrer TT-Reportage: Katholische Schulen werden an neue Erhalter übergeben, Pfarreien an die Diözese. Ordensprovinzen werden zusammengelegt, teils hochbetagte Nonnen oder Mönche kleinerer Kongregationen geben leer gewordene Räumlichkeiten auf und ziehen zu ihren Mitschwestern oder -brüdern. Viele sind pflegebedürftig. Die großen Umbrüche in der Kirche machen vor den Orden nicht Halt. Nach den Franziskanern in Reutte, den Kapuzinern in Imst und den Benediktinern in Fiecht werden sich bald weitere zurückziehen – noch in diesem Jahr.
Menschen wollen frei sein
„Die Gesellschaft hat sich verändert – und mit ihr auch wir“, sagt Provinzvikarin Sr. Maria Luise Eberharter von den Tertiar¬schwestern in Hall. Viele ihrer Mitschwestern stammen noch aus Großfamilien und wuchsen in einem sehr religiösen Umfeld auf. „Die Aufgabe der Schwestern in Tirol war es immer, die Not der Menschen zu lindern. Deshalb haben sie sich hier angesiedelt“, sagt die Vorsitzende der Frauenorden in der Diözese. Besonders in Zeiten der Industrialisierung sei die Armut sehr groß gewesen. Und es waren auch die Schwestern, die den Frauen zu Ansehen verholfen hätten, indem sie jedem Mädchen – selbst dem ärmsten – Bildung zukommen ließen. Sr. Maria Luise Eberharter: „Sie alle haben den Ruf verspürt, im christlichen Sinn zu helfen, aber auch in einer christlichen Gemeinschaft zu leben, sich zu binden.“
Das ist heute anders: „Die Menschen wollen sich nicht mehr binden, sie wollen frei sein“, sagt Abt Raimund Schreier von den Prämonstratensern in Wilten, er ist Vorsitzender der Männerorden. Das Stift Wilten ist neben den Benediktinern und den Zisterziensern eine der größten, ältesten Abteien der Diözese. „Sie haben das Land geprägt und wichtige Bereiche abgedeckt, wie Wissenschaft, Bildung, Krankenversorgung, Seelsorge, Kunst und Musik.“
Dass Wallfahrten boomen, viele an religiösen Traditionen festhalten, sich eine feierliche Taufe oder Hochzeit in der Kirche wünschen und nun so bestürzt auf die Schließung der Klöster reagieren, ist ein großer Widerspruch zu der immer weiter sinkenden Zahl der Gläubigen. „Sind die Orden weg, ist das für viele ein Schock“, so Schreier. Die Sehnsucht nach Spiritualität und Religiosität sei da – auch bei Menschen, die der Kirche aus verschiedenen Gründen fern sind. „Nur reicht es nicht dazu, dass sie aufstehen und sagen ‚Je suis Christ‘ – ‚Ich bin Christ‘.“ Nie wurden Christen so verfolgt wie heute.

Neue, alte Wege
Die gemeinnützigen Leistungen der Klöster, die diese wegen des fehlenden Nachwuchses teils auch nicht mehr wahrnehmen könnten, haben Sozialsystem, aber auch ehrenamtlich tätige Menschen übernommen. Die einst so bedeutenden Orden suchen nach neuen Aufgaben, doch eigentlich sind es alte, ursprüngliche, auf die sich nun viele zurückbesinnen.
Manche Schwestern etwa öffnen ihre Pforten für ein „freiwilliges Ordensjahr“ – als Rückzugsmöglichkeit für Frauen, die Unterstützung oder einfach Ruhe benötigen. „Viele suchen uns“, sagt Sr. Eberharter. Nonnen übernehmen Seelsorge in Altersheimen. Überlegt wird auch, sich mit anderen Tiroler Frauenorden einer Bewegung anzuschließen, die sich für Frauen einsetzt, die Opfer von Menschenhandel, sexueller Gewalt und Ausbeutung wurden. „Es ist eine Herausforderung, aber solange es eine gibt, leben wir noch.“ Es werden wohl noch weitere Orden wegfallen, bedauert sie. „Aber nicht alle.“
Die Benediktiner in Fiecht ziehen sich zurück an einen Ort, an dem für sie alles begann. Schreier: „Ein Rückzug, die Konzentration aufs Ursprüngliche oder Wesentliche, kann auch positiv sein. Jeder Orden muss sich fragen: ‚Was ist meine Aufgabe, mein spezielles Charisma?‘ Uns in Wilten ist es wichtig, dass Menschen einen Raum der Kontemplation hier finden – auch durch gute Kirchenmusik.“ Viele Menschen würden heute nach Orten der Stille suchen, an denen sie Kraft schöpfen können für ihr Leben. Klöster könnten sie ihnen zur Verfügung stellen, mitten in der Stadt. Neue geistliche Zentren könnten entstehen, mit vermehrten Angeboten wie Einkehrtagen oder Exerzitien als Dienst am Menschen von heute.
Auch das regulierte Leben, wie es Nonnen oder Mönche führen – mit Morgen-, Mittags- und Abendgebet –, sei gefragt, viele möchten daran teilnehmen. „Es ist erwiesen, dass Ordensleute am längsten leben, Leib und Seele gehören eben zusammen.“ Gebetet wird übrigens für alle Menschen in Tirol. Verschwinden die Klöster, gehe vieles verloren – vor allem spirituell, ist Schreier überzeugt. „Aber ob wir viele sind oder wenige – Ordensleute wie Christen –, es hängt nicht alles von uns Menschen ab. Gott wird immer unter uns sein, das hat er uns versprochen.“
Artikel in der Tiroler Tageszeitung
[ms]
Die