300 gegen 200.000
Immer wieder hat der Handbäcker versucht, mit Lebensmittelketten zu kooperieren, um sein Brot an den Mann, die Frau zu bekommen. Im Endeffekt hat sich immer herausgestellt, dass dieses wertvolle Lebensmittel – gemacht mit besten biologischen Grundstoffen entlang der notwendigen Zeit des gärenden Sauerteiges – zu 40 % weggeworfen, entsorgt wurde. „Supermärkte haben einfach bestellt und das nicht verkaufte Brot zurückgeschickt oder entsorgt. Den Preis dafür haben wir bezahlt, die Kleinen. Da zeigt sich dieses Ungleichgewicht von Groß und Klein, die harte Linie der rein monetären Wirtschaftlichkeit, die als Basis die maschinelle Produktion hat. So wurde unser Brot, das wir händisch gemacht haben, ganz brutal entwertet.“ Gragger erlebte selber ein wirtschaftliches Scheitern. Aber: „In dieser Situation hat sich bewährt, dass wir gute und treue MitarbeiterInnen, Lieferanten und Kunden aufgebaut hatten. Niemand ist uns abgesprungen und mein Ziel war es, die volle Verantwortung zu übernehmen, selber den Schaden wieder voll und ganz gut zu machen. Niemand anderer soll zu Schaden kommen. Das ist uns gelungen durch den fast unmenschlichen Einsatz aller. Mit Stirnlampen haben wir Brot gebacken.“ Gragger schmunzelt, wenn heute allerorts die Werte diskutiert und proklamiert werden: Verantwortung muss persönlich gelebt werden.
Treue Weggefährten
Immer wurden in der Bäckerei Lehrlinge ausgebildet. „Heute suchen Unternehmen immer nur perfekte Leute. Es gibt auch keine Zeit mehr, in die Aufgabe, in das Handwerk hineinzuwachsen. Wir haben immer auch jene ausgebildet, die mehr Nicht genügend im Zeugnis hatten als Sehr gut. Und meine Erfahrung ist, dass diese Leute sehr gute Bäcker wurden und tief verbunden sind mit unserer Brot-Philosophie.“ Gragger geht somit ganz praktisch den Weg der Inklusion. Das führt ihn bis nach Senegal. Immer wieder finden sich Weggefährten, die ihm neue Perspektiven eröffnen, schenken. Und es treibt ihn der Gedanke und die Erfahrung: Gerechtigkeit geht. Man muss sie nur sehen und tun. So arbeitet er in Senegal mit der evangelischen Kirche, der Auslandshilfe der Caritas und dem österreichischen Entwicklungsdienst zusammen, um den Leuten mit seinem einfachen „Backofen“ die Unabhängigkeit zu ermöglichen. „Die Leute können mit der Hochleistungstechnologie der Konzerne nicht mithalten. Klein- und Mittelbetriebe hören auf. Es ist in diesem Fall besser, einen Schritt zurück in die Einfachheit zu machen, als weitere Schritte nach vorne in die Abhängigkeit.“ Gragger weiß, dass in Afrika 80 % der Brotproduktion in libanesischer Hand sind. „Wir erleben gerade aufgrund der verwendeten Enzyme einen enormen Geschmacksverlust. Und: Die Menschen fallen weltweit täglich auf das teure Marketing der Brotketten herein.“ Das muss nicht sein. In der Spiegelgasse im ersten Bezirk in Wien steht ein großer Holzofen, der zwei Mal am Tag beheizt werden darf. Vorschrift. Gragger will es anders machen. Und mit ihm tun das mittlerweile 4-5 Bäcker in Wien. „Hier erwacht etwas, was eingeschläfert werden sollte. Das ursprüngliche Brothandwerk findet immer mehr KonsumentInnen, die sich diese maschinell gefertigten Teigwarenmischungen nicht mehr gefallen lassen.“
Die kleinen Pflanzen sehen
Drei Stichworte sind Gragger wichtig geworden: nachhaltig – sozial – ökologisch. Er hat seine Öfen selber entwickelt. „Das sind keine Maschinen, sondern Brutstätten für den Natursauerteig, dem Zeit zur Aromaentfaltung gegeben wird. Wir vertreten die Philosophie, dass Dinge ihre Zeit brauchen.“ Gerade der Energieaufwand ist entscheidend für den Brotpreis. Deshalb hat er für Afrika einen „Solarbackofen“ entwickelt. Er weiß: Je ärmer das Land, umso teurer das Brot. Aber auch dort musste der innovative Bäcker ein Scheitern ertragen. Der breite Einsatz des Solarbackofens ist dem Schiefergas zum Opfer gefallen. Es hat sich nicht mehr gerechnet. Und genau das ließ den Pionier nicht ruhen. Heute werden aus organischen Abfällen Briketts erzeugt, die die Energie liefern. Gerade die internationalen Konzerne bringen im Großen und Ganzen alles zu Fall, was nachhaltig und umweltverträglich wäre. Mit dem Stichwort „sozial“ sieht sich Gragger darin verpflichtet, gerade auch Schwächere in den Arbeitsprozess hereinzunehmen. Wir haben immer auf die Menschen, die MitarbeiterInnen gebaut. „Wenn man gemeinsam arbeitet, geht man einen gemeinsamen Weg.“ Das sind keine anonymen Abläufe. In der Backstube arbeitet ein Ägypter, den er als Flüchtling hereingenommen hat. Genauso erlebt er sich umgekehrt sozial getragen, wenn sich wirklich „gescheite Leute“ einbringen und sich für seine Produktionsweise „ins Zeug legen“. Ein Universitätsprofessor ist sich nicht zu groß, an der Verwirklichung der Inklusion hier mitzuwirken. Ganz konkret. Und „ökologisch“ sieht er in den Grundmitteln, die in der ganzen Kette des Entstehens naturnahe geworden sind. Weite Wege, der Einsatz von chemischen Hilfen oder eine Produktion hinein in die vollen Regale des grenzenlosen und immerwährenden Konsums „gehen da nicht“.
Gerechtigkeit geht
Was gibt dir Mut und Kraft? Gragger weiß von den vielen Gesprächen zum „Bäcker- Sterben“. Die Bäcker reden nur von den Back-Boxen oder Back-Straßen. Damit entmutigen sie sich selbst, liefern sich ihnen aus. Er lenkt seine Aufmerksamkeit woanders hin. Es gibt wieder Hoffnung, Wege für und mit jungen Menschen. „Es kommen viele Junge nach, die extrem gut arbeiten, nachhaltig sind, das Handwerk gelernt haben und Einsatz zeigen. Wir finden und besetzen gerade die Nischen, wo das Neue entsteht.“ Es ist der Blick auf die vielen kleinen Pflänzchen, die rundherum aufgehen, zu wachsen beginnen. Um etwas zu verändern, müssen wir auf jene Dinge schauen, die gehen. Und in Richtung Ordensgemeinschaften: „Als Partner für diese kleinen Pflänzchen da sein, sie wachsen lassen, Starthilfe mit den eigenen Möglichkeiten geben. Oft passiert das Gott sei Dank ohnehin.“
Foto: [msc]
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