Frauenorden: Sich der Krise stellen und Ohnmachtserfahrungen als provokante Antwort
„Wie sieht ein Glaubensleben heute aus, das in die Gesundheit führt? Wie geht eigentlich Mensch-Werdung als Ordenschrist?“ Das sind nach Georg Beirer als Therapeut die zentralen Fragenstellungen. Er sieht: „Gelübde werden mit Schwere in Zusammenhang gebracht. Dabei hat diese Lebensform mit der Leichtigkeit des Seins und der Vitalität, die im Leben steckt, zu tun. Und genau diese gelebte Vitalität ist glaubwürdig, ansteckend. Jesus sagt: Mein Joch ist leicht. Gelübde machen frei. Es ist kein Opfer, sondern es ist ihr Leben, das sie entfalten sollten. Sie sollten keine Schwere verwalten, sondern Leben gestalten. Die Lebensführung heißt, die Kraft und Vitalität zu pflegen und zur Entfaltung zu bringen. Die Vergangenheit bestimmt nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart ist der Platz eines geglückten Lebens.“ Aus seinen vielen Begleitungen bei Ordensgemeinschaften weiß er, dass sie sich der eigenen Zukunft oft ohnmächtig fühlen. Beirer: „Ohnmacht ist nicht das Zentrum, sondern eine Lebenserfahrung, ein Segment der Wirklichkeit. Ohnmacht ist eine Chance. Christen setzen an bei der Ohnmachtssituation. Das ist ein erster entscheidender Schritt: Diese Wirklichkeit annehmen.“ Und hier muss jede in die persönliche Verantwortung gehen: „Die Krise ist der Moment, wo das Neue durchbricht. Spüren wir die Wende, den Wandel? Krise bedeutet nicht, dass das Jetzt katastrophal ist, sondern sich darin das Neue ankündigt. Deshalb: Klare Sicht auf die Dinge. Bereitschaft zur Veränderung. Befreiungserfahrungen ermöglichen und als Chance neuer Gestaltung von Lebensmöglichkeiten. Und: In neue Denkstrukturen eintauchen. Es gibt keine bessere Zeit als unsere. Jetzt.“
Krise als Zuspitzung
Beirer sieht in der Krise eine Zuspitzung, die Lösungen fordert. „Es ist ein Zustand, der wahrgenommen werden will. In unserem Fall: Wir kommen an eine Grenze und Defizite werden schonungslos aufgedeckt. Das ist heilsam.“ Das Lebensmuster Ordensleben leidet heute unter Plausibilitätsverlust. Die Plausibilität ist zwar da, aber schwer zu vermitteln, zugänglich zu machen. Die Ordensleute sind in der Bringschuld, diese Plausibilität zu erläutern und mit Vitalität zu versehen. Das heißt gerade auch, mit Ohnmachtserfahrungen gut umzugehen. Ordensleben in keine Verengung sondern Weitung des Lebens. Denn: Die Einladung Jesu geht immer in die Freiheit und nicht in die Verengung. Die Grundfrage ist: „Wie lebendig sind wir?“ Beirer sieht einen großen Anteil bei den Orden selber: „Wir beschäftigen uns zu sehr mit uns selber. Die Wirklichkeit findet nicht Eingang. Nebensächlichkeiten werden zu Hauptproblemen hochstilisiert. Man kann über Krise reden und sich dabei der Veränderung verweigern. Beispiel: Wie viele Untersuchungen werden noch in Auftrag gegeben, ein Modell jagt das andere. Wer dauernd mit Analyse beschäftigt ist, kommt nicht zum Handeln. Wir beurteilen die Gegenwart, sehen sie aber nicht als Ort Gottes im Jetzt.“
Nachwuchsfähigkeit und das Alter
Beirer spricht recht ungeschminkt die Situation des mangelnden Nachwuchses an und möchte die richtige Fragestellung einbringen: „Nicht: Warum schickt uns Gott keinen Nachwuchs? Sondern: Warum sind wir nicht mehr nachwuchsfähig? Das ist die Kernfrage, wo wir selber etwas tun, uns verändern können. In jedem Fall sind Spiritualisierung, die Delegation an Gott oder die Flucht in die Innerlichkeit nicht die Lösungen. Ängste sind die Begleiter auf neuen unbekannten Wegen und es geht darum, sich der Prophetie zu stellen, hier und jetzt.“ Gerade in Richtung ältere Schwestern meint der therapeutische Theologe: „Alter schützt nicht vor Prophetie. Nutzen sie auch das Alter für Prophetie.“ Beirer weiß allerdings als Therapeut: „Gott wird im Laufe des Alters schweigsamer und weniger klarer. Gottabwesenheit ist die Präsenz Gottes. Der Abschied vom allmächtigen Gott ist der Erfahrung unserer Tage. Die Ohnmacht ist die provokative Kraft in den Alltagserfahrungen.“ Diese Ohnmacht ist auch an den Rändern zu spüren, wohin Ordenschristinnen und –christen gerufen sind. „Geht an die Ränder der Gesellschaft, denn dort ist der Ort der Ordenschristinnen und Ordenschristen. Das ist ihr Lebensfeld. Und genau dort ist auch die Ohnmacht zu Hause. Dieses Aushalten in der Liebe zu den Menschen und zu Gott ist die Kreuzerfahrung. Das Kreuz ist so unsere Wirklichkeit. Ordensleben heißt nicht, sich mit Gott einzurichten, sondern sich an Gott auszurichten.“ Beirer konstatiert unserer Gesellschaft allgemein, dass sie mit Ohmmachtserfahrungen nicht umgehen kann. „Ich weiß es jetzt nicht“ ist keine Kategorie der Politik. Und Beirer verweist auf die Gründerinnen und Gründer, die auch oft von Ohnmachtserfahrugen geplagt wurden: „Gerade aus der Erfahrung der Ohnmacht heraus haben die Gründerinnen immer ein „Trotzdem“ gesagt. Diese Ohnmachtserfahrung hat das Neue zur Welt gebracht.“ Das Wesen des Glaubens ist das Tun., die Ohnmachtserfahrung und die Stille. Ohnmacht rechnet mit Zeit, mit Unterbrechung. Ein Auftrag der Orden ist diese Unterbrechung, die Stille.“ Alter ist nicht Resignation, sondern Provokation. Christsein hat mit Störung zu tun. Und Beirer mit Bezug auf große Mystikerinnnen: „Zum Wesen der Mystik gehört, dass wir keine Vorurteile haben. Die Wahrnehmung der unmittelbaren Wirklichkeit ist Basis für Vitalität. Nehmen sie diese Wirklichkeit in die Hand als Geschenk Gottes für das Weiterwachsen. Gott urteilt nicht. Mit dem Urteilen aufhören führt wirklich in die Freiheit.“
Erste gemeinsame Vorstandssitzung
Um die Abläufe und die Zusammenarbeit von Frauen- und Männeroden zu stärken, fand am Donnerstag, 23. Feber 2017 erstmals eine gemeinsame Vorstandsitzung in Vöcklabruck statt. Ziel war, Themenstellungen und Termine aufeinander abzustimmen, damit eine gemeinsame Handlungsfähigkeit gegeben ist, noch mehr wachsen kann.
Die Generalversammlung schließt sich bis Freitag nachmittags an.
[fk]