Die Schmerzen der Brugg'n Mutter
Brugg´n Mutter – Detail. (c) ÖOK/es
Im Mittelpunkt dieses Tages steht ein ganz anderer – geradezu gegensätzlicher – Aspekt ihres Lebens: Nicht die himmlische Verherrlichung, sondern das irdische Leiden Mariens wird betrachtet. Es ist ein Fest der Erinnerung an die sieben Schmerzen, die Maria als Mutter Jesu ertragen hat – vom Prophetenwort Simeons bis zum Tod ihres Sohnes am Kreuz. So wird der Blick auf eine Frau gelenkt, die im tiefen Leid dennoch voller Glauben standhielt.
Eine lebendige Tradition in Volders
In der Tiroler Karlskirche in Volders haben sich rund um dieses Gedenktag und anlässlich dieses Hauptfestes der Serviten Traditionen und künstlerische Ausdrucksformen entwickelt. Immer wenn der 15. September auf einen Wochentag fällt – und 2025 trifft dies zu – wird der Schmerzen Mariens am darauffolgenden Sonntag beim sogenannten Brugg´n Sonntag gedacht, in diesem Jahr also am 21. September. Im Zentrum dieses Gedenktages steht eine verehrte Figurengruppe: die Brugg´n Mutter.
Die Brugg’n Mutter – ein Werk barocker Tiefe
Die beeindruckende Skulpturengruppe in der nördlichen Seitenkapelle – der Kapelle der Schmerzhaften Mutter – wird dem Tiroler Barockbildhauer Andreas Thamasch (*1639, †1697) zugeschrieben. Die volkstümliche Bezeichnung Brugg’n Mutter verweist auf die historische Lage der Kirche an einer nicht mehr existierenden Innbrücke („Brugg’n“) nahe der heutigen Karlskirche.
Brugg´n Mutter, Andreas Thamasch, 1694. (c) Sabine Bandat
Die Darstellung zeigt Maria mit dem toten Jesus auf ihrem Schoß. Ihre geröteten Augen, tränenüberströmten Wangen und der in Leere gerichtete Blick vermitteln tiefe Hoffnungslosigkeit. In ihrer Brust stecken symbolisch sieben Schwerter, die auf die Sieben Schmerzen Mariens verweisen. Der Körper Jesu ist bereits leichenblass und schlaff, einzig aus der Seitenwunde fließt noch Blut – ein Hinweis auf Leben, das bleibt. Die Darstellung der Seitenwunde wie eine Monstranz im Strahlenkranz deutet auf eine zentrale theologische Hoffnung: Folgt dem Tod tatsächlich neues Leben?
Die Sieben Schmerzen Mariens – Symbol und Inhalt
Die Tradition der Sieben Schmerzen geht auf eine mittelalterliche Frömmigkeit zurück. Vier dieser Schmerzen sind mit dem Leiden und Sterben Jesu verbunden: Maria am Kreuzweg Jesu, Maria unter dem Kreuz Jesu, Maria mit dem Leichnam Jesu und Maria bei der Grablegung Jesu. Drei weitere betreffen die Kindheit Jesu: Darbringung Jesu im Tempel mit der Weissagung Simeons, Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten und Verlust des zwölfjährigen Jesus im Tempel.
In der Volderer Kapelle werden diese Szenen in den Fresken von Kaspar Waldmann (*1657, †1720) eindrucksvoll dargestellt. Die Decke zeigt sie in herzförmigen Stuckkartuschen. Hinter der Skulpturengruppe fügt sich das Altargemälde von Johann Georg Dominikus Grasmair (*1691, †1751) thematisch ein – es zeigt die Kreuzerhöhung.
Jeremia und die stille Andeutung eines fehlenden Schmerzes
Einzig die Szene der Grablegung ist in der Kapelle nicht präsent – vielleicht eine bewusste Auslassung? Die Altarskulptur des Propheten Jeremia scheint Marias Schmerz nicht noch weiter steigern zu wollen. Mit ausladender Handgeste zeigt er auf Maria und zitiert aus den Klageliedern: Magna est velut mare contritio tua – groß wie das Meer ist dein Elend.
Prophet Jeremia, Künstler unbekannt, E.17.Jh. (c) Sabine Bandat
Der Servitenorden und die Verehrung der Schmerzensmutter
Dass sich eine Darstellung der schmerzhaften Muttergottes in einer ehemaligen Servitenkirche findet, ist kein Zufall. Der Servitenorden, 1233 von sieben florentinischen Kaufleuten gegründet, widmete sich explizit der Verehrung Mariens unter dem Kreuz. Als Diener Mariens (Ordo Servorum Mariae) trugen sie wesentlich zur Verbreitung dieses Andachtsaspektes bei.
Besonders sichtbar wird dies im mittelalterlichen Hymnus Stabat mater dolorosa, der nicht nur oftmals vertont, sondern auch in die liturgischen Texte des 15. September aufgenommen wurde. Die Serviten gedenken an zwei besonderen Tagen im Jahr der leidenden Maria: am Schmerzensfreitag – als Gedenktag Mariens unter dem Kreuz (Freitag vor dem Palmsonntag) sowie an ihrem Hochfest der Schmerzensmutter (15. September). Seit 1692 gilt Maria, die Schmerzensmutter, als Hauptpatronin des Servitenordens.
Die Brugg’n Mutter – von Soldaten verehrt, in Prozession getragen
Schon 1708 wurde die Brugg’n Mutter an ihrem heutigen Standort in der Karlskirche aufgestellt. Besonders Soldaten suchten in Kriegszeiten ihre Nähe – wohl auch, da das benachbarte Servitenkloster wiederholt als Lazarett diente. Daraus könnte sich der Brauch entwickelt haben, die Schmerzensmutter jährlich am 15. September in einer feierlichen Prozession zum nahegelegenen Kriegerfriedhof zu tragen.
Für diesen Zweck wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eine eigene Prozessionsfigur – eine Pietà in ähnlichem Stil – angefertigt: Diese Figur wurde bei vielen Brugg’n Sonntagen feierlich durch die Gemeinde getragen. Nach der Andacht am Friedhof kehrte sie zurück in den Altarraum, wo sie Teil der Festmesse war. Den Abschluss des Brugg’n Sonntags bildet traditionell eine Agape – ein gemeinsames, freudvolles Beisammensein mit allen Festgästen.
Prozessionsfigur – Pietà, Künstler unbekannt, A.20.Jh. (c) Christina Gallmetzer
Gelebte Frömmigkeit zwischen Kunst und Gemeinschaft
Das Beispiel der Brugg’n Mutter zeigt eindrucksvoll, wie sich die barocke Ausdruckskraft mit tiefer Spiritualität und lokaler Tradition verbinden kann. In der Karlskirche Volders wird das Gedenken an Mariens Schmerzen nicht nur liturgisch gefeiert, sondern auch durch gelebte Gemeinschaft erfahrbar gemacht.
Im Februar 2025 wurde die Karlskirche Volders von der Tiroler Servitenprovinz an das Institut Österreichischer Orden (IÖO) übergeben. Die seelsorgliche Betreuung bleibt weiterhin gesichert – in Kooperation mit der Diözese Innsbruck und dem Seelsorgeraum Fritzens-Volders-Wattens. Die Serviten wirken nach wie vor aktiv an der Gottesdienstordnung mit.

Am Brugg´n Sonntag steht in der Karlskirche Volders die Brugg´n Mutter im Mittelpunkt. (c) film & farbe (VOSÖ)
Autorin: Elisabeth Sebanz