Ex Libris Hübl

Die „Selva“ (1769) von Alfons Maria de Liguori – ein vielgelesenes Buch aus dem Besitz von Thaddäus Hübl. (c) Yasmine Wessely
Vor einiger Zeit fiel mir ein offensichtlich vielgelesenes Buch mit wertvollem Pergamenteinband auf. Es ist eine 1769 gedruckte, italienisch verfasste Sammlung von Predigten und Belehrungen unter dem Titel „Selva“ von Alfons Maria de Liguori. Mit Tinte ist der Besitzer vermerkt: Der eifrige Leser und Beter war Thaddäus (bzw. Thaddeus) Hübl! Voll Freude habe ich das zerfledderte Buch neu binden lassen - übrigens in der ältesten noch bestehenden Buchbinderei Wiens, wo sich das Ehepaar Kloss seit 1954 um den Erhalt der analogen Welt müht.
Hübl ist am 4.Juli 1807 in Warschau gestorben. Aus den Briefen des heiligen Klemens kennen wir die schmerzliche Trauer um dessen besten Freund. Er fühlte sich monatelang seelisch wie gelähmt. Wie hatten die beiden einander kennengelernt? Über einen Aushang im Stephansdom! Es war nämlich so: Freiherr von Penkler suchte 1783 Abschreiber und engagierte Hofbauer und Hübl. Sie wurden unzertrennliche Weggefährten für das Reich Gottes. Bekanntlich brachen sie ihr als unkatholisch empfundenes Studium in Wien ab und wanderten 1784 bis Rom, wo sie die Redemptoristen kennenlernten. Einige Schriften des heiligen Alfons waren ihnen bereits vertraut gewesen. Hübl überlegte sich den Eintritt etwas länger als Hofbauer, doch dann ging es schnell: Einkleidung im Oktober, Profess im März, Studien in Frosinone. Die Priesterweihe empfingen beide am 29. März 1785 in Alatri. Im Herbst schickte sie der Generalobere Franz de Paola über die Alpen nach Norden, um eine Klostergründung zu sondieren. Da dies unter Joseph II. in Wien nicht möglich war, zogen sie nach Warschau weiter. Durch Nuntius Saluzzo informiert, ermöglichte am 11. Februar 1787 König Stanislaus II. Poniatowski die Niederlassung der ersten transalpinen Erlösermissionare in St. Benno.
Thaddäus Johannes Hübl war am 27. Oktober 1761 in Dolní Čermná (Diözese Königgrätz) geboren worden. Sein Vater war Revierförster der Herrschaft Liechtenstein. Seine Namen hatte er nach dem Tagesheiligen und dem Taufpaten erhalten. Über die Jugend und seinen Bildungsweg ist nichts bekannt. Möglicherweise hatte er in Breslau und Olmütz studiert, bevor er nach Wien kam. Er war hochgebildet und schrieb glänzend lateinisch, womit er Hofbauer gerne als Sekretär unterstützte.
An St. Benno richteten Hofbauer und Hübl Schulen und Waisenhäuser ein, später ein theologisches Seminar, an dem unser Protagonist Philosophie, Dogmatik, Moraltheologie, Naturgeschichte lehrte. „Hobel“, wie sie ihn die Studenten nannten, verfasste ein Handbuch der Logik und Metaphysik und übersetzte Bücher. Wegen seines theologischen Wissens war er amtlicher Prüfer der Weihekandidaten der Diözese Warschau.
Hübl war in Warschau so beliebt, dass er angeblich auf Bierkrügen und Tabakpfeifen abgebildet war. Wir hingegen sind auf karge Beschreibungen angewiesen: kleiner, schmächtiger, vor allem aber bedächtiger als Hofbauer sei er gewesen, weshalb Hübl zu heiklen Besprechungen gerne vorgeschickt wurde. Dieses diplomatische Gespür ist in seinen polnisch, tschechisch, französisch, deutsch und italienisch abgefassten Briefen nachlesbar.
Einige Male begleitete er Hofbauer auf Reisen (1795 nach Konstanz, 1802/3 nach Jestetten, 1803/4 nach Foligno und zu Papst Pius VII.). Zumeist aber arbeitete er in Warschau und sorgte für Stabilität. Das Jahr 1806 war schwierig: Hofbauer träumte von Kanada, beorderte Hübl nach Wien - und sie kauften ein Klavier für St. Benno. Am Rückweg blieben sie infolge der Kriegswirren in Pruszyn stecken und Hübl konnte an die Mitbrüder bloß einen Weihnachtsbrief schicken.
Polen litt nach den Teilungen zwischen Preußen, Russland und Österreich enorm, viele Menschen waren verzweifelt, arm und geistig haltlos. Die enge Verflechtung pastoraler, karitativer und pädagogischer Dienste an St. Benno nötigte auch den preußisch-protestantischen Behörden (1796 -1806) Respekt (wenn auch mit bitteren Einschränkungen) ab. Die Situation kippte 1807, als Warschau unter Napoleons Dominanz kam und das Kolleg wegen den blutigen Unruhen als Militärlazarett requiriert wurde. Die Sprachkenntnisse der Bennoniten, wie man die Redemptoristen in Warschau nannte, waren für die Seelsorge an den Soldaten von Vorteil. Das Ordensleben und der Schulunterricht standen jedoch still.
Rektor Hübl wurde im Frühjahr 1807 unter dem Vorwand eines Versehganges verschleppt, bedroht und misshandelt. Es waren Kirchenfeinde, die es nicht ertrugen, dass ihre Frauen bei den Redemptoristen Trost fanden oder konvertierten. Geschwächt infizierte er sich mit Typhus und starb mit 47 Jahren. Sein Grab in der Krypta von St. Benno ist leider mit der Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg zugrunde gegangen.
Autorin: Yasmine Wessely, Provinzarchivarin der Redemptoristen in Wien
Lexikon:
Als Ex Libris bezeichnet man seit dem Aufkommen des Buchdruckes Besitzvermerke in Büchern. Oft waren es wie im vorliegenden Fall handschriftliche Vermerke. Doch wurden auch kunstvolle Stempel oder Einklebebilder verwendet, um zu zeigen, wem das Buch gehört. „Ex libris Thaddei Hübl“ meint wörtlich: „Aus den Büchern des Thaddeus Hübl“.
Das italienische Wort Selva heißt eigentlich Wald. Bildhaft wurde der Begriff aber anstelle des Wortes Sammlung gebraucht. So gibt es beispielsweise eine „Selva morale e spirituale“ von Claudio Monteverdi. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von geistlichen Werken des berühmten Barockkomponisten.
Der Artikel ist auch in der aktuellen Ausgabe der Klemensblätter (3/2025) nachzulesen.