Einblicke in die Ordensgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
Von 2. bis 4. Februar 2024 fand die 24. Wissenschaftliche Fachtagung des Arbeitskreises Ordensgeschichte 19./20. Jahrhundert in Vallendar statt. (c) Gisela Fleckenstein
Clemens Brodkorb (München) nahm im Eröffnungsvortrag Bezug auf die vor 250 Jahren, also 1773, erfolgte Auflösung des Jesuitenordens durch Papst Clemens XIV. Da die Ordensaufhebung nicht in allen Punkten durchgesetzt wurde, gibt aus allen vier deutschen Jesuitenprovinzen Material aus der Zeit vor 1773. In der Blütezeit des Ordens waren weltweit ca. 22.500 Jesuiten in Mission, Wissenschaft, Bildung und Seelsorge tätig. Es verbanden sich aber auch Antijesuitismus mit der Aufklärung und spätjansenistischen Strömungen. Die Verfolgung und Vertreibung der Jesuiten begann 1769 in Portugal und gipfelte 1773 in der Aufhebung des Ordens. Fortbestehen konnte der Orden in Weißrussland, was seine schrittweise Wiedererrichtung 1814 durch Pius VII. ermöglichte. Mit der Wiedererrichtung war die Debatte um den Jesuitenorden aber keinesfalls beendet. Die Auflösung des Ordens war in der Kirchengeschichte ein Schlüsselereignis des Zeitalters der Aufklärung mit globalen Auswirkungen.
Annegret Gellweiler (Esslingen) stellte eine Studie über die katholischen Schwesternstationen im Bistum Rottenburg zwischen 1933 und 1945 vor. Im Untersuchungszeitraum gab es im Bistum Rottenburg insgesamt 614 Ordensniederlassungen – 26 männliche und 588 weibliche Gemeinschaften. Das Gros der Niederlassungen bildeten Schwesternstationen auf dem Land, die mit zwei bis drei Schwestern besetzt waren. Zu deren Aufgabenfeld gehörten die Ambulante Krankenpflege mit Krankenbesuchen, die Leitung von Kindergärten, die Erteilung von Handarbeitsunterricht sowie die Übernahme von Kirchendiensten. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hatte die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) das Ziel, langfristig alle Schwesternstationen zu übernehmen und diese ideologisch, organisatorisch und finanziell neu auszurichten.
Robert Fischer (Molln, Österreich) stellte mit den Brüdern Hugo und Theodor Springer zwei Äbte des Benediktinerstiftes Seitenstetten (gegr. 1112) vor, die die Geschicke des Stiftes zwischen 1908 und 1958 leiteten. Hugo Springer (1873-1920) wurde 1908 zum Abt gewählt. Er finanzierte Bauleistungen, Feldkapellen für die Front und zeichnete ganz kaisertreu auch Kriegsanleihen, die das Stift in eine Krise führten. Er verstarb im Juni 1920 in Rom. Sein Bruder und Nachfolger Theodor wurde mit 35 Jahren 1920 zum Abt gewählt. 1930 wurde Springer zum Abtpräses der Benediktinerkongregation gewählt. In der NS-Zeit gelang es ihm die Aufhebung des Stiftes zu verhindern, doch das Kloster wurde als Arbeiterunterkunft für den Reichsautobahnbau okkupiert und mit Flüchtlingen belegt. Mit den Biographien der Springer-Äbte konnte eine wichtige Lücke in der Stiftsgeschichte geschlossen werden.
Michaela Žáková (Prag), berichtete über das 1755 als Versorgungsanstalt für unverheiratete, adelige Frauen errichtete Maria Theresianische Damenstift auf der Prager Burg. Die Aufnahme in das Stift bedeutete für die Frauen eine völlige finanzielle Unabhängigkeit, mit der sie ein standesgemäßes Leben führen konnten und in der höfischen Hierarchie geachtet wurden. Bis zu seiner Auflösung 1919 gehörten dem vornehmsten Stift der Monarchie insgesamt 205 Damen an.
Markus Helmut Lenhart (München) stellte erste Ergebnisse seiner Untersuchung der Hauschroniken der 22 Niederlassungen der Englischen Fräulein der ehemaligen Ostbayerischen Provinz in der Zeit des Ersten Weltkriegs vor. In seinem Fokus stehen Situationen, die für die Schwestern neu sind und Brüche im Ordensleben bedeuten könnten: Das Verhältnis des Ordens zum Militär (Lazarette) zum Staat (Schulen) und zur Amtskirche (Bischöfe). Problematisch ist, dass die Chroniken oft rückwirkend erstellt wurden und die Verfasserinnen unbekannt sind.
Anlass für die Beschäftigung mit der außergewöhnlichen Biographie des Franziskaners P. Gereon (Karl) Goldmann (1916-2003) war für Damian Bieger OFM (Dortmund) die anstehende Verfilmung des Buches „Tödliche Schatten – Tröstendes Licht“. Goldmann verbrachte seine Jugend in Fulda und Köln, gehörte zum Bund Neudeutschland und trat nach der Absolvierung des Reichsarbeitsdienstes 1936 in Saalmünster in den Franziskanerorden ein. Von 1939 bis 1947 war er Soldat; nach eigenen Aussagen zunächst in der Waffen-SS, dann in der Wehrmacht. Er geriet in Gefangenschaft und wurde in einem Lager in Algier 1944, durch päpstliche Sondergenehmigung lediglich mit dem Abschluss des Philosophiestudiums, zum Priester geweiht. 1954 reiste er als Missionar nach Japan aus. Problematisch ist, dass die Erinnerungen Goldmanns nicht in allen Fällen mit der Wirklichkeit übereinstimmen und sich durch Dokumente kaum verifizieren lassen, so auch seine angebliche Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Die bekannten Quellen sprechen lediglich von einem Polizeiregiment. Die Selbstvermarktung führte zu seinen Erfolgen.
Maik Schmerbauch (Berlin) gab einen ersten Einblick in ein Forschungsvorhaben über Leben und Wirken des Jesuitenpaters Kurt Dehne (1901-1990) im Bistum Hildesheim. Dehne, in Hannover geboren, lernte früh die Situation einer lauen Diaspora kennen. Er trat 1924 in den Jesuitenorden ein, studierte Theologie in Freiburg und Münster und wurde 1932 zum Priester geweiht. 1943 wurde er im Frankfurter Polizeigefängnis inhaftiert und in den sogenannten Priesterblock des Konzentrationslagers Dachau überstellt. Der Kampf gegen das Vergessen und jegliche Barbarei war ihm zeitlebens ein Anliegen. In seinem Amt bezog er immer wieder klare Positionen gegen neonazistische Bestrebungen in der Bundesrepublik.
Klaus Schatz SJ (Berlin) sprach über das Schicksal des Innsbrucker Canisianums im Walliser Exil und die Schein-Säkularisierung der Jesuiten zwischen 1938 bis 1945. Nach der Auflösung der Theologischen Fakultät in Innsbruck durch die Nationalsozialisten 1938, erhob Papst Pius XI. das bisherige Priesterseminar Canisianum zur Theologischen Fakultät. Diese wurde dann mit 76 Studenten nach Sitten in der Schweiz verlegt. Eine Lehrtätigkeit in Sitten war nur möglich, wenn die Jesuiten aus dem Orden ausschieden und sich der Jurisdiktion des Bischofs unterstellten. Einen Tag vor seinem Tod gewährte Papst Pius XI. den sechs betroffenen Jesuitenprofessoren die Exklaustration, also eine vorläufige Entlassung aus dem Orden und Unterstellung unter den Bischof von Sitten. Die Jesuiten konnten auf die Großzügigkeit des Bundesrates bauen, der widerruflich, was bedeutete bis Kriegsende, ihre Lehrtätigkeit am Canisianum tolerierte. Ende 1945 wurden die sechs säkularisierten Jesuiten wieder „neu“ in die Gesellschaft Jesu aufgenommen und die Sittener Fakultät kehrte 1946 nach Innsbruck zurück.
Das Wirken deutscher Missionarinnen in Brasilien zwischen 1872 und 1963 stellte Paulo Fernando Diel (Paraná, Brasilien) ins Zentrum seiner Untersuchung. Er stellte 23 Frauenkongregationen vor, die Missionarinnen hauptsächlich in den Süden Brasiliens entsandten. In ca. 100 Jahren fanden 513 Sendungen von Missionarinnen mit insgesamt 2.218 Frauen statt. Diel hat alle 23 Kongregationen in akribischen Archivstudien zahlenmäßig erfasst und graphisch in ihrer Entwicklung dargestellt, ihre Verbreitungsgebiete kartiert sowie alle Aktivitäten erfasst.
Markus A. Scholz (Sankt Georgen) beschäftigte sich mit Missionsgeschichtlichen Sammlungen der Orden. Dazu gehören Sammlungsobjekte aus den Bereichen der Völker- und Naturkunde sowie Dinge aus dem Umkreis von Missionsstationen oder aus dem persönlichen Besitz von Missionaren, die größtenteils im ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre in die Sammlungen Eingang fanden. Gefragt wurde nach dem Verhältnis von Mission und Kolonialismus, dem Verhältnis von Mission und Wissenschaftsgeschichte und ob die Sammlungen historische Prozesse, wie beispielsweise den Wandel des Missionsverständnisses abbilden können. In Deutschland gibt es in Ordensgemeinschaften ca. 50 Sammlungen. Davon sind 80 Prozent in Museen untergebracht, 20 Prozent sind in Depots und Archiven eingelagert und 20 Prozent sind in ihrem substanziellen Erhalt gefährdet. Bei 60 Prozent der Sammlungen gibt es keine den modernen Ansprüchen genügende museologische Dokumentation. Das Projekt sieht drei Phasen vor: Systematische Bestandserfassung und Inventarisierung, wissenschaftliche Auswertung und Multiplikation bzw. Kommunikation.
Die nächste Tagung des Arbeitskreises ist für den 7. bis 9. Februar 2025 in Vallendar geplant.
Kontakt zu den Leiterinnen des Arbeitskreises: Gisela Fleckenstein, E-Mail: g.fleckenstein@web.de und Carolin Hostert-Hack, E-Mail: caro.hostert@web.de.
Quelle: Gisela Fleckenstein, Iris Fichtinger