P. Dr. Gottfried Glaßner OSB (1950–2023)
Am 1. Dezember 2023 ist P. Gottfried Glaßner OSB nach jahrelanger schwerer Krankheit gestorben. Er war der längst gediente Bibliothekar in der Melker Klostergeschichte. (c) Brigitte Kobler-Pimiskern
Der Tod von P. Gottfried fällt in eine Zeitenwende der Bibliothek: Seit Jahren läuft die Bibliotheksrestaurierung, laufen Vorbereitungen, Planungen und die ersten großen Eingriffe in die Bibliothek als Raum, als Kunstwerk, als Buchspeicher, als Wissensspeicher und als Arbeitsplatz überwiegend hinter den Kulissen. Bald aber wird es unübersehbar sein, dass sich in Melk Großes tut, dass Umwälzendes geschieht, dass sich Neues anbahnt und dass über 1000 Jahre Buch- und Bestandsgeschichte in eine neue Zeit überführt werden. Dass die Voraussetzungen für so ein Riesenprojekt überhaupt gegeben sind, dafür hat P. Gottfried schon vor Jahrzehnten gesorgt und die Weichen gestellt.
44 Jahre lang hat er das Amt des Bibliothekars bekleidet. Damit ist er mit Abstand der längst gediente Bibliothekar in der Melker Klostergeschichte, länger als seine Vorgänger als Klosterbibliothekare, P. Sigismund Häringshauser im 17. Jahrhundert und P. Bernhard Pez im 18. Jahrhundert. Bernhard Pez war vor P. Gottfried wohl auch der letzte Stiftsbibliothekar, in dessen Zeit ähnlich einschneidende Veränderungen der Bibliothek fielen: Im 18. Jahrhundert war es ein kompletter Neubau, im 21. Jahrhundert geht es um Restaurierung, Um- und Ausbau. Beides war bzw. ist verbunden mit Übersiedelung, Neuordnung, Umstrukturierung und Erweiterung der Bestände und gekoppelt an eine wissenschaftliche Neuausrichtung der Bibliotheksarbeit für die Zukunft – eben an eine echte Zeitenwende. Leider gibt es aber auch einen wesentlichen Unterschied: Als Pez 1735 starb, war die Bibliothek fertig und völlig neu aufgestellt. P. Gottfried kann diesen letzten Schritt nicht mehr erleben.
Als P. Gottfried im Jahr 1979 Stiftsbibliothekar wurde, hatte sich gezeigt, dass die Bibliothek ein Arbeitsbereich ist, der nach Jahren der Zwischenlösungen den vollen Einsatz einer hauptverantwortlichen Person erforderte, eines Vollblutbibliothekars als Garant für Stabilität und Fortschritt. P. Gottfried rekrutierte Mitarbeiter und begann aufzuarbeiten, zu ordnen, zu zählen, zu systematisieren, zu erschließen und zu dokumentieren. Er war der, der die Bibliothek und ihre Bestandskataloge ins digitale Zeitalter führte, indem er Bereiche definierte und Datenbanken anlegte, die bis heute die Basis für die Arbeit seines Teams sind. Daneben wurden immer wieder Bibliotheksdepots im Haus eingerichtet, aufgelöst und ausgelagert. Das waren Großaktionen, in denen Abertausende an Büchern nach bestimmten Kriterien verschoben, umgeschichtet, sortiert und katalogisiert werden mussten. Zuwächse durch Bestände aus Pfarrhöfen oder Nachlässen spielen dabei eine große Rolle.
P. Gottfried holte akademische Wegbegleiter mit ins Boot, kurbelte die Publikations- und Vortragstätigkeit in der Bibliothek neu an und stellte die wissenschaftliche Erschließung der Bestände und der Bibliotheksgeschichte auf neue Beine. Davon zeugen etwa Tagungen und Symposien, die regelmäßigen Ausstellungen in der Bibliothek oder die von P. Gottfried initiierte und herausgegebene Buchreihe „Thesaurus Mellicensis“. Dieser Titel stellt übrigens ganz bewusst einen Bezug zu P. Bernhard Pez her, dem P. Gottfried damit seine wissenschaftliche Referenz erwiesen hat.
Im Lauf der Jahre entstand rund um die von P. Gottfried auf neue Füße gestellte Stiftsbibliothek eine stetig wachsende Community von Wissenschaftler:innen und Forschenden. Vor ca. 30 Jahren bewies er den Weitblick, die Bibliothek für die systematische Beschreibung, Erforschung und Digitalisierung der Handschriftenbestände durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften zu öffnen. Diese Daten zu den Melker Codices sind heute die Grundlage für weltweite Forschungstätigkeit und Vernetzung. Die Fäden laufen in der Bibliothek zusammen.
Die Fäden hielt P. Gottfried gerne in der Hand. Seine, wie er es nannte, „Letztverantwortung als Bibliothekar“ nahm er ausgesprochen ernst. Es wird ihm daher nicht leichtgefallen sein, in den letzten Jahren, durch seine Krankheit geschwächt, vieles aus der Hand geben zu müssen. Am 1. Dezember, als überall die ersten Türchen von Adventkalendern geöffnet wurden, hat sich hinter P. Gottfried eine Tür endgültig geschlossen.
Text: Bernadette Kalteis (gekürzt), Bibliothek Stift Melk.