„Sprachspiele“ in der Stiftsbibliothek Melk

Fundgrube: Die Stiftsbibliothek Melk beherbergt Bücher in allen möglichen Sprachen – auch in solchen, die mittlerweile als bedroht oder ausgestorben gelten.© Stiftsbibliothek Melk
Es gibt mehr Sprachen, als man denkt – auch in Europa. In das Potenzial der europäischen Sprachenvielfalt zu investieren, ist daher das große Ziel eines neuen EU-Forschungsprojekts. Es befasst sich mit dem Schutz und der Revitalisierung gefährdeter Sprachen in Europa. Um Migrantensprachen geht es da genauso wie um Minderheitensprachen: Zimbrisch sprechen zum Beispiel nur noch ein paar hundert Menschen in Oberitalien. Deutlich besser ist da schon das südfranzösische Okzitanisch aufgestellt (1-2 Mio. aktive Sprecher:innen). In Österreich gehört Slowenisch (historisch: Windisch) zu den anerkannten Volksgruppensprachen, ist aber kaum präsent. Eine Migrantensprache in Europa, die aber in manchen Herkunftsländern politisch unterdrückt wird, ist das Kurdische.
Alte Sprachen neu entdeckt
Mit alten Sprachen hat sich auch schon immer die Stiftsbibliothek Melk beschäftigt. In den Bibliotheksregalen zu stöbern, führt daher zu so mancher interessanten Entdeckung. Hier findet man beispielsweise einen zimbrischen Katechismus von 1842, ein okzitanisches Vokabelbuch von 1843, eine windische (slowenische) Sprachlehre von 1777, genauso eine „crainerische“, also ebenfalls slowenische, gedruckt in Laibach 1768. Das erste kurdische Grammatikbuch ist ebenfalls vorhanden, von einem jesuitischen Missionar 1787 auf Italienisch verfasst. Neben diesen und unzähligen weiteren Exemplaren im praktischen Kleinformat gibt es mehrsprachige Bibelausgaben in überdimensionalen, schweren Prachtbänden, wie zum Beispiel die Biblia Polyglotta von 1657. Enthalten sind die Bibeltexte in hebräischer, semitischer, aramäischer, griechischer, lateinischer, äthiopischer, syrischer, arabischer und persischer Sprache.
„Vater Unser“ in hundert Sprachen
Ein besonderer Schatz ist ein schmaler Band von 1694, in dem man nur einen einzigen kurzen Text findet, nämlich das Vater Unser – das aber dafür gleich in über hundert Sprachen. Beim Blättern stößt man sogar noch auf Koptisch, das inzwischen schon lange als Erstsprache ausgestorben ist. Kurz wundert man sich auch über die Sprache „Lusatica“, wobei sich schnell herausstellt, dass es sich dabei einfach nur um Zimbrisch handelt. Das wurde nämlich immer schon hauptsächlich in der Gegend rund um die kleine Gemeinde Lusern gesprochen. So hat man im Buch kurzerhand die Sprache nach der Sprachinsel benannt: Lusatica.
Sprachen als Personen dargestellt
Das vielleicht außergewöhnlichste Bibliotheksexemplar punkto Sprachenvielfalt ist aber eine Handschrift aus dem Jahr 1671. Verfasst wurde sie von Johann Winckler (1642-1705), dem Erzieher der Söhne des Herzogs Philipp Ludwig von Schleswig-Holstein-Sonderburg. Seinem Arbeitgeber ist das Werk auch gewidmet, das in verschiedenen orientalischen Sprachen Gebete und Lobhuldigungen auf die Herzogsfamilie enthält, samt deutscher Übersetzung und der Anleitung, wie die Texte im Original auszusprechen sind. Das farbenfrohe Titelblatt zeigt die Sprachen als Personen dargestellt, in bunten Kleidern, mit auffälligem Kopfputz und akkuraten Frisuren. Noch ist es ein Rätsel, wann und wie das Buch in die Bibliothek gelangt ist. Die Antwort dürfte aber mit der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ zu tun haben, der wirkmächtigsten deutschen Sprachgesellschaft der Barockzeit. Ihr Ziel war es, Deutsch als Literatur- und Gelehrtensprache zu etablieren und damit das Lateinische abzulösen.

Farbenfrohe Vielfalt: Am Titelblatt einer Handschrift mit Gebeten in verschiedenen Sprachen wird jede Sprache in Form einer Person dargestellt..© Stiftsbibliothek Melk
Die alten Lateiner schweigen beleidigt, während die Bibliothekare die Bücher wieder in die Regale verfrachten. Dabei heißt es, aufmerksam zu sein. Vor einiger Zeit wurde eine Anfrage geschickt, mit der Bitte, die Augen offen zu halten: Der Hamburger Buske-Verlag lässt aktuell das Wörterbuch für Rotwelsch überarbeiten (historisch auch „Gaunersprache“, „Handwerksburschensprache“, Jenisch etc.) und setzt dabei auf die Mithilfe von Archiven und Bibliotheken. Zwei Buchtipps konnte die Stiftsbibliothek Melk bereits beisteuern. Wer weiß, was noch auftaucht!
Konz. Buh vas obari!*
* Ende. Behüt euch Gott! („crainerisch“)
Autorin: Bernadette Kaltseis