Neue wissenschaftliche Erkenntnisse geben Einblick in das problematische Verhältnis des Steyler Missionars und Anthropologen P. Martin Gusinde (1886-1969) zum Nationalsozialismus. Der Sozialanthropologe Peter Rohrbacher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften berichtete darüber dieser Tage bei einem Vortrag in St. Gabriel.
Ein Ordensmann im Zwielicht: Der Sozialanthropologe Peter Rohrbacher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sprach kritische Punkte im Leben von P. Martin Gusinde offen an. (c) SVD
Seine Forschungsreisen zu den von ihm so genannten „Feuerland-Indianern“ an der Südspitze Südamerikas machten Gusinde als Anthropologen berühmt. Weniger bekannt war bisher die opportunistische Haltung des Steyler Missionars und Wissenschaftlers gegenüber dem Nationalsozialismus und seine Beteiligung an „rassenbiologischen Forschungen“ an Kriegsgefangenen.
Anhand einiger exemplarischer Beispiele führte Rohrbacher den Zuhörerinnen und Zuhörern vor Augen, wie Gusinde mit den Nationalsozialisten kollaborierte, um seine akademische Karriere voranzutreiben und öffentliche Anerkennung zu erhalten. Denn ganz im Gegenteil zu Gusindes lückenhafter Eigensicht – „Während der Nazi-Zeit hielt ich mich still, zeitweilig gut versteckt“ -, die er bei einem Festakt anlässlich seines 80. Geburtstages äußerte, hatte der Anthropologe in der NS-Zeit sehr viel publiziert. Rohrbacher stützt seine Erkenntnisse dabei auf eine Fülle von Briefen und anderen Quellen, die im Archiv der Akademie der Wissenschaften und im SVD-Archiv im Generalat in Rom aufbewahrt werden.
Loyalitätserklärung gegenüber dem NS-Staat
Briefe Gusindes würden beweisen, dass er beabsichtigte, sein zentrales Werk „Anthropologie der Feuerland-Indianer“ (1939) „Reichsmarschall“ Hermann Göring persönlich zu widmen, sollte ihn dieser bei der Finanzierung des Drucks unterstützen. Eine Tatsache, die bisher in der Forschung ebenso unbekannt war wie die schriftliche Loyalitätserklärung Gusindes gegenüber dem NS-Staat, die für seine Bestrebungen erforderlich war, sich an der Theologischen Fakultät der Universität Wien zu habilitieren. Darin schreibt er u.a. wörtlich: „Die bestehende nationalsozialistische Staatsform erkenne ich rückhaltlos an und füge mich ihr ohne Einschränkung.“ Das Schreiben schließt er mit „Mit deutschem Gruss Heil Hitler“. „Die Erklärung fiel von der Gesinnung her so eindeutig aus, dass sogar der Dekan der Katholischen Fakultät irritiert war“, betonte Rohrbacher.
Wissenschaftlicher Ehrgeiz: Seine Forschungsreisen zu den von ihm so genannten „Feuerland-Indianern“ an der Südspitze Südamerikas machten Gusinde als Anthropologen berühmt. (c) Pixabay/Anke Sundermaier
Der opportunistischen Einstellung Gusindes stellte Rohrbacher in seinem Vortrag die Haltung der damaligen SVD-Ordensleitung gegenüber. Generalsuperior P. Josef Grendel, der in der katholischen Kirche eine wichtige Rolle im Abwehrkampf gegen das NS-Regime spielte, verhinderte durch sein Einschreiten die Habilitation Gusindes und setzte sich damit auch gegen den ausdrücklichen Wunsch Kardinal Theodor Innitzers durch. Auch Provinzial P. Alois Große Kappenberg lehnte Gusindes Habilitation ab, „weil sie für ihn eine Kollaboration mit dem NS-Staat bedeutet hätte, die eine Kompromittierung und sogar Gefährdung des gesamten Ordens hätte nach sich ziehen können“, erklärte Rohrbacher.
Mitwirkung an Kriegsgefangenenforschung
Aber bereits davor sei Pater Gusinde ein „beschriebenes Blatt“ aus Sicht der Ordensleitung gewesen. Vor allem seine Beschäftigung mit der „physischen Anatomie“, der Vermessungen und Beschreibungen auch von teils nackten weiblichen Körpern zugrunde lagen, stießen bei den Ordensoberen sowie bei P. Wilhelm Schmidt, dem Begründer der Schule der Wiener Ethnologie und des Anthropos-Institutes, auf Ablehnung. Sie vertraten die Ansicht, dass Messungen an lebenden Menschen nicht Aufgabe eines Priesters seien. Außerdem hegten sie die Sorge, dass die Nationalsozialisten daraus Profit schlagen könnten, wenn ein Priester sich um solche Dinge kümmert, wie Peter Rohrbacher erläuterte.
Das dritte Fallbeispiel, das Rohrbacher bei seinem Vortrag in St. Gabriel anführte, betrifft Martin Gusindes Mitwirken an der Kriegsgefangenenforschung, die ordensintern massiv verurteilt wurde. Zwischen 1940 und 1943 führte die Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums vier Untersuchungsreihen in Kriegsgefangenenlagern der deutschen Wehrmacht durch. Gusinde war an drei dieser Erhebungen beteiligt, bei denen u.a. Vermessungen an afrikanischen Kriegsgefangenen durchgeführt wurden. „Gusinde hat diese rassenbiologischen Forschungen nicht mit der Ordensleitung abgestimmt. Erst 1943 flog seine Mitwirkung daran zufällig auf“, so Rohrbacher. Gusindes Darstellung in einem Schreiben an die Ordensleitung, wonach sich Kriegsgefangene ohne Zwang, also „freiwillig“ untersuchen ließen, habe nicht den Tatsachen entsprochen, betonte Rohrbacher.
Der Generalsuperior instruierte den Provinzial, Gusinde die Teilnahme an den Arbeiten zu verbieten, doch das Schreiben des Generalsuperiors kam aufgrund der Kriegswirren erst zu einem Zeitpunkt an, als die rassenbiologischen Untersuchungsreihen in den Kriegsgefangenenlagern längst abgeschlossen waren.
Offener Umgang mit der Vergangenheit: „Es ist erschreckend, wozu der übertriebene wissenschaftliche Ehrgeiz führte", resümiert Gastgeber P. Franz Helm und dankt Peter Rohrbacher für seinen Vortrag. (c) SVD
Interne Konflikte im Orden
Pater Gusindes opportunistische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus sieht Rohrbacher u.a. darin begründet, dass dem Steyler Missionar ordensintern die wissenschaftliche Anerkennung verwehrt blieb und er sie auf diesem Weg erreichen wollte.
Ausschlaggebend für seine Außenseiterrolle im Orden und seine problematische Entwicklung seien wohl Gusindes Konflikte mit seinen Mitbrüdern und Anthropologen-Kollegen P. Wilhelm Koppers und P. Paul Schebesta gewesen, weiters seine Ablehnung der von P. Wilhelm Schmidt propagierten „Kulturkreislehre“ und seine wissenschaftliche Fixierung auf damals gängige Rassenbiologische Forschungen, sowie schließlich sein Austritt aus dem Anthropos-Institut.
„Peter Rohrbachers Forschungsergebnisse in Bezug auf Martin Gusinde und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus waren für uns neu. Es ist erschreckend, wozu der übertriebene wissenschaftliche Ehrgeiz bei Gusinde führte, der mit seinen Feuerland-Studien zweifellos auch Bleibendes für die Anthropologie geleistet hat“, bilanzierte Rektor P. Franz Helm, der zu dem Vortrag von Peter Rohrbacher nach St. Gabriel eingeladen hatte. Der Vortrag über Martin Gusinde war der dritte einer Reihe über die Steyler Ethnologen und Anthropologen.
Quelle: kathpress.at
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[markus lahner]