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Vor Ort entwickelte sich daraufhin eine blühende Gemeinschaft, für die der damaligen Wiener Kardinal Othmar Rauscher zur ungehinderten Entfaltung die Selbständigkeit vom Mutterhaus durchsetzte. Ab 1866 gab es daher ein eigenes Generalat in der Kaiserstraße im jetzigen 7. Bezirk. Zum 150-Jahr-Jubiläum des Ordens 1999 schloss sich der Kreis wieder und der österreichische Zweig kehrte heim zu seiner Quelle, der Ursprungskongregation mit Sitz im heute französischen Oberbronn.
Die Chronik, eine wertvolle Quelle für die Geschichte des Ordens (c) ÖOK
Die Geschichte der österreichischen „Heilandstöchter“, wie der Orden bis 1981 in Kurzform hieß, ist in seinem Archiv umfassend dokumentiert: Von Wien schwärmten die Schwestern in die Erbländer der ehemaligen Habsburgermonarchie aus, in die deutschsprachigen Gebiete, aber auch nach Böhmen, Ungarn und Italien. Selbst in Deutschland und den Niederlanden wurden nach dem 1. Weltkrieg die Wiener Schwestern erbeten. Sie führten Kindergärten, errichteten Altenheime und Mädchenschulen und waren in der Hauskrankenpflege, in Rot-Kreuz-Ambulatorien und in Spitälern tätig. Auch auf den zeitgenössischen Kriegsschauplätzen und in deren Lazaretten waren die Schwestern immer präsent: Italien 1866, Bulgarien 1885/86, Balkankrieg 1912/13 und natürlich im Ersten und Zweiten Weltkrieg.
Parallel dazu war im Mutterhaus ein weiterer Erwerbszweig etabliert worden: eine Paramentenstickerei, die etwa Aufträge für den kaiserlichen Pavillon bei der Wiener Weltausstellung 1873 oder 1907/08 die Ausstattung der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof im heutigen 14. Bezirk übernahm. Akademische Malerinnen unter den Schwestern wiederum waren bei der Ausgestaltung von Kapellen und Kirchen der Filialhäuser im Einsatz. Während der NS-Zeit schickte die Generaloberin Schwestern nach Argentinien. Noch heute betreibt die Kongregation in Form einer “Delegation Argentinien” in San Salvador de Jujuy im entlegenen Nordwesten des Landes zwei ordenseigene Schulen.
Ein damals wichtiger Erwerbszweig: Die Paramentenstickerei (c) ÖOK
Auf die historische Entfaltung folgte in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Phase mit rückläufigen Mitgliedszahlen. Für die verbliebenen Schulstandorte (Bildungszentren), heute noch im niederösterreichischen Gleiß und in der Kenyongasse im 7. Wiener Gemeindebezirk, mussten daher neue Strukturen geschaffen werden. Die gemeinnützige TGE-Trägergesellschaft mbH für Einrichtungen der Schwestern vom Göttlichen Erlöser (Niederbronner Schwestern) übernahm nach dem Zusammenschluss der vier deutschsprachigen Provinzen 2005 wichtige Managementaufgaben und begleitet strategische Prozesse in die Zukunft. Andere Arbeitsfelder hingegen wurden gänzlich aufgegeben, viele Niederlassungen geschlossen und ganze Institutionen wie das Krankenhaus „Göttlicher Heiland“ im 17. Bezirk in Wien in den großen Krankenhausverbund der “Vinzenzgruppe” ausgelagert.
Als nächstes steht die Renovierung des ehemaligen Mutterhauses in der Kaiserstraße bevor. Da in dessen Räumlichkeiten auch das Archiv untergebracht ist, wurde hier ebenfalls Handlungsbedarf offenkundig. Vor der notwendigen Übersiedlung sollte der Bestand noch gesichtet und verzeichnet werden, denn die Unterlagen waren wohl geordnet, beschriftet und übersichtlich abgelegt, aber ein eigentliches Findbuch fehlte. Die Provinzleitung in Nürnberg hat sich deshalb nach einer Beratung durch den Bereich Kultur und Dokumentation der Österreichischen Ordenskonferenz im Sommer 2021 entschlossen, ein Erschließungsprojekt auf den Weg zu bringen. Als externe Unterstützung dafür wurde eine Historikerin und langjährige Ordensarchivarin vermittelt und engagiert.
Im Kasten "schlummert" noch so mancher Schatz, wie beispielsweise alte Pläne (c) ÖOK
Für mich war und ist die Bearbeitung des Kongregationsarvchivs der Schwestern vom Göttlichen Erlöser (Niederbronner Schwestern) eine spannende Entdeckungsreise, bei der es viel zu lernen und zu staunen gab. Nach der vollständigen Bestandsaufnahme des vorhandenen Schriftguts konnte zunächst eine stimmige Struktur für die Verzeichnung entworfen werden. Diesem neuen Leitfaden entsprechend werden die Akten jetzt in Archivmappen und -kartons, die alle konservatorischen Anforderungen für eine Langzeitarchivierung erfüllen, untergebracht und durchgängig signiert. Archivalische Bücher wie Schwesternverzeichnisse, Totenchroniken und Hausgeschichten bilden nun einen eigenen Bestand, der wie die Archivbibliothek mit Publikationen über die Kongregation und von der Kongregation selbst herausgegebenen Schriften ein Verzeichnis erhalten hat. Daneben sind Ansichtskarten, Kleindrucke und Gebäudepläne, die die Dokumentation ergänzen, in Sammlungsreihen erfasst, ebenso die Musealia.
Aktueller Arbeitsschwerpunkt ist das umfangreiche Fotoarchiv. Bislang waren die Abzüge aus gut 100 Jahren in vielen kleinen Schachteln verwahrt. Wenn alles gesichtet und in Sachgruppen geordnet ist, werden ein eigenes Inventar und ein neues Sammelsystem das Suchen bzw. Finden zum reinen Vergnügen machen. Ohne die Hilfe der Hausgemeinschaften vor Ort und im niederösterreichischen Gablitz wäre dieses Unterfangen allerdings kaum so erfolgreich umzusetzen gewesen: Denn das unbeschriftete Material nachträglich zu identifizieren ist nur in vielen Stunden Zusammenarbeit mit den Schwestern möglich. So machen wir diese zum Teil auch recht emotionale Reise in die Vergangenheit gemeinsam.
Sr. Judith Lehner und Martina Lehner bei der Sichtung der Fotografien (c) ÖOK
Der achtsame Blick auf die eigene Quelle gehört seit jeher zum Selbstverständnis der Schwestern und trägt nun auch dafür Sorge, das materielle Erbe der Kongregation für die Zukunft zu sichern und zu bewahren.
[Text: Dr. Martina Lehner I Archivarin und Historikerin]