Umbau und Restaurierung der Stiftsbibliothek Melk
Die historische Stiftsbibliothek wird einer umfassenden Sanierung und Restaurierung unterzogen.
Ausgerechnet die von Covid-19 bestimmte erste Hälfte des Kalenderjahres 2020 brachte für das Stift Melk konkrete (Vor-)Arbeiten im Rahmen des lange geplanten Umbau- und Restaurierungsprojekts mit sich. Im Fokus des bis ins Jahr 2030 veranschlagten Projektes steht dabei die historische Stiftsbibliothek (Umbau, Sanierung, Buchrestaurierung, bibliothekarische Forschung am Bestand), wobei auch notwendige Arbeiten in weiteren Bereichen der Klosteranlage inkludiert sind – vorrangig die über den Sommer getätigte Sanierung der Kirchenkuppel. Für jedes Stockwerk des Gebäudekomplexes sind Neuerungen und Adaptionen geplant – reichend von der Kuppel als höchstem Punkt der Anlage bis hinab in den Keller des Bibliothekstrakts. Eine Auswahl wichtiger Ziele und Maßnahmen des Projekts soll an dieser Stelle formuliert werden – Anpassungen sind in Zeiten der Pandemie vorbehalten:
- Die baulichen Tätigkeiten im Bibliotheksflügel werden für das Erdgeschoß (Bücherdepot, Handschriftenkammer) sowie den ersten Stock (großer/kleiner Saal, Lesezimmer) unbelegte Räume für den Bibliotheksbereich erschließen und diese damit für den bibliothekarischen Alltag nutzbar machen. Im darunter liegenden Kellerbereich wird ein klimatisch angepasster Raum für die Bildersammlung des Stiftes präpariert, um den bisherigen Unterbringungsraum der Bilder – das ‚Archiv‘ im Keller des Südtraktes – zu entlasten.
- Im Bibliotheksbereich werden zusätzliche Arbeitsflächen geschaffen, die eine optimierte temporäre ‚Unterbringung‘ externer Wissenschaftler*innen, Studierender und Schülergruppen gewährleisten sollen. Dabei spielen die geplanten Erweiterungen im Bereich der Elektronik und IT eine Schlüsselrolle, sei es mit dem Ziel einer erweiterten (W)LAN-Nutzung oder der Schaffung einer bibliothekseigenen Präsentationsinfrastruktur (Digitalprojektor, Mikrofonanlage etc.).
- Das Raumklima soll hinsichtlich der speziellen Erfordernisse bei der Lagerung historischer Schriftwerke optimiert werden. Zum Schutz der historischen Baustruktur wird dabei auf minimal-invasive Maßnahmen gesetzt: Der für Touristenführungen geöffnete und der Außenwitterung besonders preisgegebene historische Hauptraum der Bibliothek wurde bereits mit speziellem Fensterglas ausgestattet (UV-Licht-blockend), um eine langfristige Sicherung der Bände zu gewährleisten. Auch die Umstellung auf LED-Leuchtmittel im Innenraum leistet dabei einen positiven Beitrag. Die raumklimatischen Bedingungen werden bereits seit Jahren laufend elektronisch aufgezeichnet und ausgewertet – nichts soll dabei dem Zufall überlassen bleiben.
- Im Bereich des Brandschutzes ist ein Vernebelungssystem in Planung, das im Brandfall rasch eingreifen soll und dabei eine möglichst schonende Löschmethode für den Buchbestand bereitstellt.
- Der Bibliotheksbereich wird mittels Integrated Pest Management vor schwerwiegendem Schädlingsbefall bewahrt und von bereits vorhandenen Gefährdern befreit. Ein laufendes Monitoring (regelmäßig fachmännisch ausgewertete Schädlingsfallen) sorgt für eine konstante Einschätzung der Situation, während aktiv befallene Bücher durch zielgerichtete Maßnahmen behandelt werden – etwa die temporäre Installierung eines Stickstoffzelts, in dem durch die gesteuerte Bindung von Sauerstoff objektgefährdende Tierchen getilgt werden.
Stickstoffzelt zur Tilgung aktiver Schädlinge in befallenen Büchern. Die Dauer des Vorgangs beträgt 4 Wochen.
- Es erfolgen sinnvolle räumliche Verlagerungen wichtiger Teilbestände innerhalb des Bibliothekskomplexes: So wird das ‚Herzstück‘ der Sammlung, die ‚Handschriftenkammer‘ (mittelalterliche und neuzeitliche Manuskripte, Inkunabeln, Postinkunabeln), in einen neu präparierten, benachbarten Raum verlegt, der in puncto Lagerung und Zugänglichkeit Verbesserungen mit sich bringt.
- Im Zuge der Durchsicht des Buchbestandes wird die historische Möglichkeit einer Gesamtinventur genutzt. Dabei können mitunter lange ‚verstellte‘ Objekte wieder ihrem Standort zugeführt und greifbar gemacht werden.
- Historisch vollzogene Brüche in der Anordnung der Bücher (einzelne Signatur-Gruppen wurden aus Platz- oder Formatgründen dem fortlaufenden Standortprinzip entzogen) können nach den geplanten baulichen Maßnahmen harmonisiert werden (etwa die Signaturengruppe ‚StiB 39.700–44.999‘, die vom momentanen Aufbewahrungsort ‚Langer Gang‘ in das ‚Depot Erdgeschoß‘ integriert wird).
- Von bibliothekswissenschaftlicher Seite wird der gesamte Buchbestand systematisch hinsichtlich vorhandener Provenienz-Einträge durchgesehen. Die vorgefundenen Informationen (handschriftliche Ausweisungen, Ex-Libris-Stempel, Einbandprägungen) werden in eine neu erstellte Datenbank eingespeist; mittels Suchfunktion sind die Vorbesitzer*innen einschlägiger Bücher der Sammlung künftig rasch und unkompliziert aufrufbar. Damit lässt sich eine tiefgreifendere Rekonstruktion der ‚Bestandsgenese‘ vornehmen, die über die bisherigen Erkenntnisse zur Melker Bibliotheksgeschichte hinausreicht.
Bsp. für einen Provenienz-Eintrag: Friedr[ich] Feigl – Melker Benediktiner, Stiftsbibliothekar und Sprachwissenschaftler – weist sich als Vorbesitzer dieser Ausgabe der Edda-Lieder aus (StiB 46.243/2).
- Es erfolgt eine vollständige Durchsicht des Buchbestandes hinsichtlich mittelalterlicher Pergament-Fragmente. Diese wurden als Makulaturen zur materiellen Stärkung von Einbänden oder Buchblöcken zweckentfremdet und sind zum Teil bis heute unentdeckt oder noch nicht ausgewiesen. Die Funde werden in einer neu erstellten Datenbank registriert und nach Möglichkeit weiter bestimmt. Während ein Gutteil der Fragmente in den Büchern belassen wird, können einzelne Schriftstücke bei besonderer Interessenslage der Melker Fragmenten-Abteilung zugeführt werden.
- An sämtlichen Büchern der Bibliothek wird eine ‚Oberflächenreinigung‘ unter externer restauratorischer Begleitung vorgenommen. Im Falle des Druckbestandes ab 1520 erhält das Bibliotheksteam Unterstützung durch Schüler*innen des Melker Stiftsgymnasiums, während bei den mittelalterlichen und neuzeitlichen Handschriften sowie den Frühen Drucken die Zuhilfenahme von fachlich geschultem Personal vorgesehen ist. Die als Ausweichquartier während baulicher Maßnahmen geschaffene ‚Juvenatsbibliothek‘ im Südtrakt der Anlage beherbergt aktuell etwa 13.000 Bücher, von denen 12.242 Stück bereits über den Sommer gereinigt wurden.
Das Ausweichquartier, die ‚Juvenatsbibliothek‘, befindet sich im Südtrakt der Klosteranlage. Sie verfügt über eine Kapazität von ca. 13.000 Bänden.
- Der Buchbestand wird systematisch auf vorhandene Schäden geprüft, wobei eine Schadenskartierung durch ein externes Restauratoren-Team erfolgt. Besteht für das einzelne Objekt unmittelbarer Handlungsbedarf, so werden entsprechende Aufträge zur Sicherung an einschlägige Fachleute erteilt.
Die anhaltende Covid-19-Pandemie wirft mit allen ihren Auswirkungen auch für die Realisierung dieses Projekts Fragezeichen auf; deutlich eingeschränkte Einnahmequellen und Kurzarbeit erlauben konkrete Maßnahmen nur etappenweise und nach vorsichtiger Planung. Bei aller Irritation dürfen wir den übergeordneten Zweck des Projekts nicht aus den Augen verlieren:
Es ist unerlässlich, dass trotz der steigenden Nachfrage nach einem digitalen Zugang zu historischen Schriften und einer damit weit gefassten Abrufbarkeit von Beständen auch die physischen Originale in ihrer Aufbewahrung und Greifbarkeit gesichert bleiben. Während eine langfristige Bereitstellung digitaler Daten alles andere als zuverlässig gegeben scheint – man denke an die Kurzlebigkeit vieler Anbieter, fehlende Wartung etc. –, steht der analoge Aspekt einer Bibliothek unter den richtigen Voraussetzungen für eine kontinuierliche Bereitstellung von Wissen und Information. Die Melker Stiftsbibliothek beherbergt einen ‚dynamischen‘ Bestand, der sich in fast 1.000 Jahren aus unterschiedlichen Quellen gespeist hat – auch heute ist die Sammlung Entwicklungen unterworfen und treibt diese voran.
Selbst wenn die Covid-19-Pandemie Verzögerungen in der Umsetzung gewisser Projektbereiche mit sich bringt, behält die letztliche Realisierung des Geplanten ihre Wichtigkeit. Die großen Herausforderungen, die das Haus in diesem Jahr finanziell und logistisch schultern muss, werden – wie zu hoffen ist – auf kurz oder lang zu bewältigen sein; die Notwendigkeit der Stiftsbibliothek, den Anforderungen der kommenden Jahrzehnte Genüge zu tun, bleibt bestehen. Räumliche Umgestaltung und Sanierung, Buchreinigung und -restaurierung, Bestandsprüfung, systematische Forschung an der Bestandsgeschichte, verbesserte Betreuungsmöglichkeiten externer Forschender sowie Möglichkeiten einer adäquaten institutionellen Repräsentation – diesen angekündigten Zielen werden mit Durchhaltevermögen und der nötigen Förderung bald weitere Aktionen folgen.
[Text und Fotos: Johannes Deibl, Stiftsbibliothek Melk]
Weitere Informationen: https://www.stiftmelk.at/de/stift-melk-stiftsbibliothek.html
Hier gehts zu einem Bericht über die Renovierung der Stiftskuppel.
Hier finden Sie einen kurzen Film über das Stift Melk.