Wie übersiedelt man ein Archiv? Das Provinzarchiv des Sacré Cœur
Das 1854 gegründete Herz-Jesu-Kloster Riedenburg in Bregenz war über viele Jahre hinweg eine wichtige Niederlassung der Gesellschaft der Ordensfrauen vom heiligen Herzen Jesu (Sacré Cœur). Der Ordensgründerin Sophie Barat (1779–1865) lag das Gelingen von Kloster und Internatsschule für Mädchen so sehr am Herzen, dass sie Riedenburg 1856 trotz ihres schon fortgeschrittenen Alters sogar persönlich besuchte.[1] Ihr Anstoß hatte Erfolg und die Schule florierte bald, wobei viele Schülerinnen aus dem Ausland kamen. Zu einer Zeit, als das Sacré Cœur noch keine Schule auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands unterhielt, stellte Riedenburg (ebenso wie das niederländische Blumenthal bei Aachen) ein willkommenes Bildungsangebot für Mädchen aus Deutschland bzw. den deutschen Ländern dar. Es war auch üblich, dass Familien ihre Söhne in die Jesuitenschule Stella Matutina in Feldkirch schickten, während die Töchter das Sacré Cœur in Riedenburg besuchten. Neben der Funktion als überregional bedeutende Bildungsstätte war Riedenburg als langjähriger Standort eines Noviziats auch Anfangsort vieler Ordensleben und beherbergte zeitweise über hundert Ordensfrauen. Im Jahr 2018 lebten allerdings nur noch drei Ordensfrauen des Sacré Cœur in Riedenburg, weswegen die Entscheidung zur Schließung der dortigen Kommunität getroffen wurde.
Abb. 1: Kern des Schulkomplexes in Riedenburg mit zentralem Schlösschen, flankierenden Gebäuden und neugotischer Kirche. (c) Schulen Riedenburg.
Der Umzug von Provinzarchiv und Ordensfrauen sollte im Frühjahr 2019 stattfinden, sodass der Gebäudekomplex für das neue Schuljahr im Herbst an den neuen Schulträger der Schulen Riedenburg, die Vereinigung der Ordensschulen Österreichs (VOSÖ), übergeben werden konnte. Dafür mussten die zuletzt von den Schwestern genutzten Bereiche geräumt werden, was auch zu einigen Neuzugängen in das Provinzarchiv führte. Dieses neue und manches alte, bisher in Schränken gelagerte Archivgut, musste für den Umzug in taugliche Schachteln verpackt werden, ebenso wie die Archivbibliothek nach einer vorherigen behutsamen Ausdünnung. Zudem war für die Übergabe an die VOSÖ ein Inventar der in Riedenburg zurückgelassenen Kulturgüter anzulegen. Unter anderem blieb die historische Schulbibliothek zurück, die einzige komplett im Zustand ihrer letzten Benützung erhaltene eines Frauenordens in Österreich. Sie beinhaltet das Wissen, das die unterrichtenden Ordensfrauen ihren Schülerinnen vermittelten.
Abb. 2: Teil der Archivbibliothek, in stabile Bananenschachteln verpackt und beschriftet. (c) Lukas Winder.
Der Auszug aus Riedenburg bedeutete also für uns eine mehrfache Herausforderung mit viel Arbeit, aber auch am neuen Archivstandort in Wien wurde im Vorfeld einiger Aufwand betrieben, um dem Provinzarchiv eine geeignete neue Heimstatt zu geben. Ein bisher anders genutzter großer Kellerraum war als neues Archivdepot vorgesehen, musste dafür aber ausgeräumt und adaptiert werden. Um den Platzbedarf für das schon vorhandene und noch zu erwartende Archivgut zu decken, war der Einbau von Rollregalen unbedingt erforderlich, die wiederum aufgrund ihres großen Gewichts bei voller Beladung eine Verstärkung des Fußbodens nötig machten. Außerdem wurde die elektrische Anlage mit Brandschutzschaltern ausgerüstet und die Beleuchtung an die neuen Rollregale angepasst. In weiterer Folge wurden auch durchsichtige Hitzeschutzfolien an den Fenstern angebracht, um möglichst wenig Wärme von außen eindringen zu lassen.
Abb. 3: Leere (Roll-)Regale im neuen Archivdepot in Wien. (c) Lukas Winder.
Für den Transport des Archiv- und Bibliotheksguts von Bregenz nach Wien war uns wichtig, dass dieser klimatisiert und versichert ablaufen sollte. Deswegen beauftragten wir nach einem Vergleich dreier Anbieter eine im Kulturgütertransport erfahrene Firma, die uns aufgrund ihres naheliegenden Standorts das beste Angebot vorlegen konnte. Der Vertrag beinhaltete den versicherten Transport in einem klimatisierten LKW mit Anhänger samt Personal für die Beladung in Bregenz und Entladung in Wien am Folgetag. Zur kompakten Verpackung unserer Archivschachteln und Umzugsschachteln stellte uns die Firma verschließbare hölzerne Transportkisten (Clipbox) zur Verfügung und kümmerte sich um die Anmeldung und Einrichtung einer Ladezone an der Straße vor dem Eingang zum Gelände des Sacré Cœur in Wien, sodass wir garantiert kurze Wege zwischen LKW und Archivdepot hatten.
Abb. 4: Transportkisten im Hausgang von Riedenburg. (c) Lukas Winder.
Leider waren aufgrund eines Fehlers nicht genügend Transportkisten mitgebracht worden, weshalb ein Teil des Archivguts doch noch auf einfache Europaletten verpackt transportiert werden musste. Ebenso unglücklich war, dass es beim Einladen in Bregenz und zeitweise auch beim Ausladen in Wien regnete. Dem begegneten wir mit Abdeckplanen über den Transportkisten und Paletten, sodass keine Archivschachteln vom Regen befeuchtet wurden. Dank der Klimatisierung im LKW und einem aus Riedenburg mitgebrachten Entfeuchtungsgerät im neuen Archivdepot in Wien waren die Archivalien und Bücher auch nie längere Zeit einem zu feuchten Klima ausgesetzt. Bei der Nachkontrolle stellten wir daher mit großer Freude fest, dass unser Archivgut durch den Umzug nicht gelitten hat.
Für den Fall, dass es tatsächlich zu Feuchtigkeitsschäden, anderen Schäden oder gar zu einem Notfall gekommen wäre, hatten wir eine Transportversicherung abgeschlossen, die dann für die anfallenden Restaurierungskosten aufgekommen wäre. Für die Berechnung der Versicherungssumme orientierten wir uns an der Empfehlung von Rickmer Kießling https://www.lwl.org/waa-download/archivpflege/heft64/seite036_037_kiessling.pdf, der dafür 10.000 € pro Laufmeter veranschlagt. Wir konnten somit mit gewissem Stolz angeben, dass unser etwa 250 lfm umfassendes Provinzarchiv einen Versicherungswert von 2,5 Millionen Euro darstellt, wenngleich der immaterielle Wert unserer Archivalien für die Geschichte des Ordens in Zentraleuropa natürlich unschätzbar ist.
Bei der Entladung des Archiv- und Bibliotheksguts in das neue Archivdepot hatten wir nicht die Zeit, die durchnummerierten Archivschachteln sofort in der korrekten Ordnung aufzustellen, sondern räumten sie vorläufig nur nach Signaturbereichen getrennt in die Regale ein. Es sollte dann noch bis kurz vor Erscheinen dieses Artikels dauern, bis die gewünschte Aufstellung der Archivschachteln erreicht werden konnte. Mit Ausnahme der beiden Transporttage blieb das Archiv allerdings auch trotz solcher kleinen Widrigkeiten durchgehend benutzbar!
Abb. 5: Bewegung der Archivschachteln mittels Transportroller. (c) Lukas Winder.
Abb. 6: Archivdepot nach dem Einzug, noch ungeordnet. (c) Lukas Winder.
Das CEU Provinzarchiv der Gesellschaft der Ordensfrauen vom heiligen Herzen Jesu – Sacré Cœur steht auch an seinem neuen Standort in Wien der Forschung zur Verfügung. Es beinhaltet das Archiv der 2004 gegründeten Provinz Zentraleuropa (CEU – Central Europe) und die mengenmäßig wesentlich umfangreicheren Archive der beiden Vorgängerprovinzen Deutschland-Schweden und Österreich-Ungarn. Darin finden sich vor allem Unterlagen, die das vielfältige Zusammenleben der Ordensfrauen in ehemaligen wie auch noch existierenden Gemeinschaften dokumentieren. Das CEU Provinzarchiv beinhaltet zudem das Archivgut der vom Sacré Cœur Orden gegründeten und lange geleiteten Schulen bis zu deren Übergabe an andere Schulträger, darunter insbesondere Verzeichnisse ehemaliger Schülerinnen, die eine besonders beliebte Quelle für Familienforschung sind. Die große Masse des Archivguts stellen Schriftdokumente aus Papier in deutscher, französischer, englischer sowie ungarischer und schwedischer Sprache dar. Darüber hinaus beherbergt das CEU Provinzarchiv auch Fotos, Videos, Tonbänder, Kleidung sowie Kreuze, Ringe, Rosenkränze und andere Gegenstände aus dem Alltag der Ordensfrauen. Dem CEU Provinzarchiv ist außerdem eine umfangreiche Archivbibliothek mit den Schwerpunkten Ordensgeschichte, Lebensberichte und Briefe von Generaloberinnen und Ordensfrauen sowie Spiritualität des Ordens zugeordnet.
Interessierte nutzen bitte vor einem Besuch die unten angegebenen Kontaktmöglichkeiten um sich mit uns über ihr Forschungsinteresse zu beraten. Wir beantworten gerne alle Ihre Fragen zu unseren Beständen und unterstützen Sie mit Freude bei Ihrem Forschungsvorhaben!
Text und Bilder: Sr. Dr. Christine Öhlinger und Mag. Lukas Winder
Abb. 7: Das Provinzarchiv an seinem neuen Standort am Rennweg in Wien (c) Lukas Winder.
CEU Provinzarchiv der Gesellschaft der Ordensfrauen vom Heiligen Herzen Jesu
Rennweg 31A, 1030 Wien
+43 (0)1 712 3010 55
[1] Das damals von ihr bewohnte Zimmer ist heute in annähernd originalem Zustand zu besichtigen.