Wozu feiert man eigentlich einen Todestag?
Ordensgründer Sebastian Schwarz (c) Franziskanerinnen von Vöcklabruck
Verbunden war dieser Hinweis mit der Anfrage, ob wir nicht zu diesem Anlass wieder einmal ein kleines Buch oder eine Broschüre herausgeben wollten… Wollten wir nicht. Aber diesen Tag so ganz sang- und klanglos vorbeigehen zu lassen war auch nicht wirklich eine Alternative. Besondere Daten bedeutender Personen verpflichten irgendwie – aber wozu eigentlich?
Dankbar zurückschauen, einen Gottesdienst feiern und an all die Schwestern denken, die mitgeholfen haben, die Grundinspiration von Sebastian Schwarz zu verwirklichen, dass wir das an diesem Gedenktag tun wollten, war sehr schnell klar – und der Person unseres Gründers wieder einmal intensiver nachspüren, genauer hinschauen, was ihn bewegt und ermutigt hat, seinen Weg zu gehen. Von Visionen und Wundern gibt es da nicht viel zu erzählen, aber in den Texten und Geschichten, die uns von und über Sebastian Schwarz erhalten sind, wird ein Mann sichtbar, der achtsam war im Wahrnehmen der Welt um sich und der Bewegungen im eigenen Herzen, der mutig war im Engagement für die anderen, besonders die Kleinen und die am Rand, der verbunden war mit Gott und den Menschen.
Neben den Worten von und über ihn gibt es im Mutterhaus auch ein paar Gegenstände aus dem Nachlass von Sebastian Schwarz. Drei davon berühren mich besonders: eine bunte Murmel in der Federschachtel mit seinen Schreibsachen, ein getrockneter Olivenzweig, den er von einer Romreise mitbrachte, und ein Paar Stiefel – geflickt und ausgebeult. Für mich sind sie Symbole für einen feinfühligen Blick für das Schöne mitten in einem Alltag, der oft auch an die Grenzen der Belastbarkeit führte, für das Innehalten mitten in einem Leben, das angetrieben war von der nahezu rastlosen Sorge um bessere Lebensbedingungen und Bildungschancen für Kinder und Jugendliche, für eine gelassene Leichtigkeit mitten in aller Anstrengung und Auseinandersetzung rund um die Gründung der Schwesterngemeinschaft. Ich weiß es nicht, ob diese Beschreibung Sebastian Schwarz wirklich trifft – ob sie nicht zu glatt und harmonisch ist, um sein Leben wirklich einzufangen mit allen Ecken und Kanten, ob sie ihm nicht die Relevanz nimmt für uns hier und heute.
Federschachtel von Sebastian Schwarz (c) Franziskanerinnen von Vöcklabruck
Wir haben uns an seinen 150. Todestag in einer Zeit erinnert, die alles andere als harmonisch war. Das Corona-Virus hat dafür gesorgt, dass wir nicht wie geplant ein Fest mit Pfarre und Gemeinschaft feiern konnten, sondern den „Krisen-Modus“ rundherum erlebt und auch selber gespürt haben. Keine gute Zeit, möchte man meinen, um sich mit einem Menschen zu beschäftigen, dessen Leben fast 200 Jahre zurückliegt, wenn man gerade alle Energie braucht, um einen völlig ungewohnten Alltag zu bewältigen mit Social Distancing und Mund-Nasen-Schutz in einem Kloster, dessen Bewohnerinnen mit wenigen Ausnahmen der Risikogruppe angehören.
Ein paar Impulse sind es dann geworden – Geschichten über Sebastian Schwarz für unsere Homepage und ein kleines, feines Video. Sr. Isabel hatte die Idee dazu, Sr. Ida das technische Know How und ein paar Schwestern konnten wir rasch für die Umsetzung gewinnen. Und es hat viel Freude und Spaß gemacht. Vielleicht, weil es nach längerer Zeit die erste gemeinsame Aktion war, die wir – natürlich unter Einhaltung aller Sicherheitsvorkehrungen – gestartet haben. Das hat uns wirklich gutgetan. Vielleicht aber auch, weil wir gemerkt haben, dass Sebastian Schwarz und die Schwestern am Anfang unserer Gemeinschaft Menschen waren, die in ihrem Leben und ihrem Umfeld Krisen erlebt und Wege gefunden haben, damit umzugehen.
Videodreh/Making off (c) Franziskanerinnen von Vöcklabruck
Nicht dass sie mit einer Pandemie konfrontiert gewesen wären, aber die soziale Situation und die Arbeitsbedingungen, die Sebastian Schwarz vorfand, als er als junger Priester nach Vöcklabruck kam, bedrohten die Gesundheit und das Leben vieler Menschen hier. Er hatte einen wachen Blick für das Schwere, das den Menschen zu schaffen machte: lange Arbeitszeiten von fünf Uhr Früh bis acht Uhr abends – nur für Kinder unter 12 Jahren durfte sie 13 Stunden am Tag nicht übersteigen –, geringen Lohn und oft monatelange Arbeitslosigkeit. Er ging der Not nach, besuchte die kleinen, meist hölzernen Häuser in der Umgebung der Stadt, in denen oft zwei oder drei der Spinner- und Weberfamilien lebten, lernte die kleinen Kinder kennen, um die sich tagsüber niemand kümmern konnte, und die kranken und alten Leute, die auf sich selbst gestellt waren. Hilfe tat not – Hilfe, die über eine kleine finanzielle Unterstützung hier und dort hinausging und die Sebastian Schwarz nicht alleine leisten konnte und wollte. So reifte sein Entschluss, Schwestern nach Vöcklabruck einzuladen, die gemeinsam mit ihm „um der Liebe Christi willen“ arbeiteten und mithalfen, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern.
Getrockneter Ölzweig aus Rom (c) Franziskanerinnen von Vöcklabruck
Aber gerade in der Ausführung dieses Vorhabens galt es für Sebastian Schwarz Schwierigkeiten zu überwinden, neue Wege zu finden, Enttäuschungen und Rückschläge auszuhalten – sei es durch die historischen Umstände wie das Revolutionsjahr 1848, sei es durch Missverständnisse und menschliche Schwäche. Auch die Schwestern der ersten Generation waren in Vöcklabruck und an manchen anderen Orten mit Herausforderungen konfrontiert, die es gemeinsam zu bewältigen galt.
Ich denke, gerade wenn wir dem nachgehen, wie sie mit den kleineren und größeren Krisen ihrer Zeit und ihrer persönlichen Lebensgeschichten umgegangen sind, birgt die Erinnerung an das Leben von Sebastian Schwarz und den Schwestern am Anfang auch Impulse für uns heute. Mir fällt auf, dass sie klar hingeschaut haben. Krisenhafte Situationen, schwierige Entwicklungen, Not wurden nicht weggeredet oder weggebetet, sondern benannt und angeschaut. Dadurch wurden sie herausgefordert zum Nachdenken, wie es möglich war, die Lage zum Besseren zu wenden, welche Ressourcen es gab, um Abhilfe zu schaffen und ins Handeln zu kommen – im Vertrauen auf Gottes Segen in allem und durch alles Tun. Wahrnehmen und benennen, was ist, hinschauen, was Menschen brauchen und was wir selber haben, um zu helfen und es dann auch tun – Impulse für uns Franziskanerinnen heute und hoffentlich ein Weg zu einem guten Leben für alle Menschen, auch heute.
Sr. Johanna Pobitzer (c) Franziskanerinnen von Vöcklabruck
Wozu feiern wir also eigentlich einen Todestag? Vielleicht, um uns neu Ideen und Kraft zu holen für lebendiges Engagement und Vertrauen in unseren ganz konkreten Alltagssituationen und in den Herausforderungen, vor die wir eben gerade gestellt sind.
[Text: Sr. Johanna Pobitzer, Generalsekretärin und Generalökonomin der Franziskanerinnen von Vöcklabruck]