Nekrologium aus dem 14. Jahrhundert
Auf einem Zettel auf der Außenseite des Einbandes steht geschrieben: „Hic Liber ob suam Antiquitatem, et qua in Se continet, magni aestimandus est.“. Grob übersetzt bedeutet dies in etwa: „Dieses Buch wird aufgrund seines Alters und dessen, was es beinhaltet, besonders geschätzt.“ [Bild 1 und 2]. Dieses besonders geschätzte Buch ist ein Nekrologium, also ein Verzeichnis der Namen von Personen, deren am jeweiligen Sterbetag mit einem fürbittenden Gebet gedacht werden soll.
Das vorliegende Nekrologium besteht aus 51 gezählten Pergamentblättern und beinhaltet drei Teile: Auf den Blättern 1–43 findet man ein kalendarisches Nekrologium [Bild 4], auf dem Blatt 44 drei (Abschriften von) Stiftungsbriefe(n) [Bild 5] und schließlich auf den Blättern 45–51 ein Gräberverzeichnis [Bild 6]. Das Nekrologium stammt in seinem Kern aus dem 14. Jahrhundert, somit sind die darin benannten Orte in der nach wie vor so genannten Minoritenkirche im ersten Wiener Gemeindebezirk zu suchen.
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Nekrologien
Nekrologien entwickelten sich v. a. im 7. Jhdt., als man begann, Namen von Verstorbenen in Martyrologien und Kalendern liturgischer Bücher einzutragen. Durch die in der Folgezeit vermehrt auftretende Stiftung von Jahrtagen, also Gedenktagen am jeweils konkreten Sterbetag, legte man ab dem späten 8. Jahrhundert eigene Totenbücher an. Zwei besondere Arten dieser Totenbücher entwickelten sich in der Folgezeit: zum einen die Totenkalender, bei denen an den jeweiligen Gedenk- bzw. Sterbetagen die Namen der Stifterinnen und Stifter eingetragen wurden (meist ohne Sterbejahr), und die Totenannalen, in denen die Verstorbenen nach ihrem Sterbejahr aufgelistet wurden. In unserem Fall handelt es sich im ersten Teil um einen Totenkalender, wobei bei manchen Namen auch das Sterbejahr eingetragen wurde.
Bei Nekrologien kann man von einem liturgischen Gebrauch ausgehen. Es geht in erster Linie um eine commemoratio defunctorum, also eine jährliche Erinnerung an verstorbene Personen, indem für diese bzw. ihr Seelenheil gebetet wird. Neben diesem spirituell-liturgischen Gebrauch steht natürlich auch das Interesse an den Stiftungen, die für die liturgischen Erinnerungen hinterlegt worden sind. Somit lassen sich aus Nekrologien sowohl eine Gebets- und Frömmigkeitsgeschichte als auch eine Bedeutungsgeschichte des Klosters anhand der Stellung der im Buch verzeichneten Namen in der Gesellschaft ablesen.
Allein schon die räumliche Nähe des Minoritenklosters zum Hof in Wien lässt die Minoritenkirche als einen ganz besonders begehrten Begräbnisplatz hervortreten. Es finden sich daher auch viele klingende Namen von bedeutenden Adelshäusern in diesem Nekrologium: die Fürsten von Liechtenstein, Dietrichstein, Puchaim, Hojos, Staufenberg etc., später auch italienische Familien wie Piccolomini, Medici, etc.
Das Nekrologium und seine Entstehungszeit
Dass das Nekrologium etwas mehr als hundert Jahre nach der Gründung der Minoriten in Wien (es wird dabei gerne das Jahr 1224 angegeben) schon von so großzügigen Spenden und namhaften Personen spricht, lässt wiederum Rückschlüsse auf die Bedeutung dieses Ordens bereits im 14. Jahrhundert zu. Das Nekrologium wurde im Zeitraum von ca. 1360 bis 1370 vermutlich von Heinricus (von Freising/Preysing?) begonnen. Es umfasst in erster Linie Aufzeichnungen von Verstorbenen aus dem 14. Jhdt., es finden sich aber vereinzelt auch Nachträge, die bis in das 16. Jhdt. reichen.
Durch den Formtypus eines Kalenders ergibt sich eine zyklische Struktur, die vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember reicht, die die jeweiligen Tage bzw. die an ihr gefeierten Feste oder Gedenktage mit der Memoria für die Verstorbenen verknüpft. Die Monatsnamen und die Tagesbezeichnung, ggf. mit den Tagesheiligen oder Festen angereichert, sind jeweils in roter Farbe geschrieben, die Einträge selbst in schwarz. Die Tageszählung folgt dem römischen Kalender, so finden sich also die Bezeichnungen der jeweils rückläufigen römischen Zahlen in Kombination mit den „Kalendae“, „Nonae“ bzw. „Iden“. Weiters finden sich noch vor den römischen Ziffern die Großbuchstaben von A bis G, die zyklisch wiederkehren und die auf die Wochentage zu verweisen scheinen, wobei dies für einen „immerwährenden“ Kalender nicht sehr opportun erscheint.
Ein ganz besonderer Eintrag
Blättert man dann z. B. auf den 12. Juli, im Nekrologium also auf „IIII. Iden“ (dem noch die römische Zahl XVIII und der Buchstabe D vorangestellt sind), findet sich dort – immer noch rubriziert – der Eintrag, dass es sich um den Festtag der hl. Margarete handelt („Margarete virginis et martyris“) [Bild 4]. Auch der nun in schwarzer (bzw. schon etwas verblasster) Schrift folgende Eintrag scheint zunächst sehr unspektakulär zu sein.
Bei genauerem Hinsehen erfährt man aber einige sehr interessante Details. Auffallend ist z. B. gleich der Beginn, weil hier das sonst nicht immer angeführte Sterbejahr steht: Anno Domini MCCCXXX, also 1330. Gestorben ist in diesem Jahr die berühmte und weit bekannte Dame Elisabeth („obiit illustris & inclita Domina Elisabeth“), nämlich die Königin des Heiligen Römischen Reichs („romanorum regina“).Damit ist benannt Elisabeth von Aragón, die 1300 oder 1302 als Tochter des spanischen Königs Jakob II. von Aragón und Prinzessin Blanca von Neapel und Sizilien geboren wurde. 1314 wurde sie mit dem Habsburger Herzog und späteren König Friedrich I./III., mit dem Beinamen der Schöne, vermählt und 1315 zur Königin gekrönt. Sie starb nur wenige Monate nach ihrem Gatten eben an jenem 12. Juli 1330.
Liest man den Eintrag im Nekrologium weiter, so erfährt man darüber hinaus auch noch, dass sie die Stifterin der Ludwigskapelle der Minoritenkirche ist („fundatrix capellae Sti. Ludovici“) und dass sie im Chor in der Mitte vor dem Altar begraben wurde („tumulata in choro ante altare in mediata“). Ob es sich dabei um den Chor der Minoritenkirche oder aber den Chor der Ludwigskapelle gehandelt haben wird, können wir heute leider nicht mehr feststellen, weil von ihrem Grabmal seit der 1784 durch Kaiser Josef II. befohlenen Übersiedelung der Minoriten in die Alservorstadt jede Spur dieses Hochgrabes fehlt.
Erstaunlich bleibt auf alle Fälle, wie großzügig Königin Elisabeth von Aragón gestiftet hat – nicht nur in der Minoritenkirche die Ludwigskapelle, sondern auch weit darüber hinaus (Stein, Verthofen, Wien und Markgrafneusiedl).
Noch ein letztes Wort zur Begräbnisstätte von Königin Elisabeth: In ihrem Testament aus dem Jahr 1328 schreibt sie explizit, dass sie im Chor in der von ihr gestifteten Ludwigskapelle bestattet werden will. Dieses Testament in Form einer Urkunde befindet sich ebenfalls in der Zentralbibliothek der Minoriten Wien und wurde bereits digitalisiert (https://www.monasterium.net/mom/AT-AWMK/WienOFMConv/48/charter). Das Testament nun aber auch noch näher anzusehen, würde uns zu einer weiteren „Kunst im Blick“ führen …
Literatur zum Nekrologium:
- Zoepfl, Friedrich, Art. Nekrologien, in: LThK2, Herder, Freiburg 1962, Sp. 873f.
- Giuliani, Giovanni, Die Wiener Minoritenkirche. Hinweise über Geschichte und Kunstschätze der Kirche, Grafiche Messaggero, Padua 21971.
- Pez, Hieronymus, Scriptores rerum Austriacum veteres ac genuini quotquot ex Austriae vicinarumque provinciarum bibliothecis et tabulariis, decumano labore perlustratis …, Lipsiae 1725, Sp. 471–518.
- Fuchs, Adalbert (Hg.), Monumenta Germaniae Historica. Necrologia Germaniae, Tomus V, Weidmann, Berlin 1913, 165–204.
- Kastler, Ulrike, Das Grabmal der Elisabeth von Aragón (1300/1302–1330). Eine kritische Analyse der Schrift- und Bildquellen zu einem verschollenen Sepulkralkunstwerk in der Wiener Minoritenkirche, unveröffentlichte wissenschaftliche Arbeit an der Uni Wien, Eigenverlag, Wien 2020.
Hier finden Sie einen umfassenderen Einblick in die Zentralbibliothek der Minoriten.
Text und Bilder: Stefan Dorninger, Bibliothekar der Zentralbibliothek der Minoriten in Wien (ZB Min).