Sonderausstellung in der Schatzkammer des Deutschen Ordens
Wien im Jahr 1857; Kaiser Franz Joseph beschließt am 20. Dezember die Demolierung der Stadtmauern sowie die Bebauung der freigewordenen Flächen und legt damit den Grundstein der Entwicklung von der Festungs- zur Weltstadt. Mit der Schleifung der alten Befestigungsanlagen und der Errichtung eines modernen Prachtboulevards nach dem Beispiel anderer europäischer Metropolen, wie etwa die Avenue des Champs-Élysées in Paris oder die Mall in London, beginnt die gerne als „Gründerzeit“ beschriebene Epoche städtebaulichen Aufbruchs in Wien.
Eines der ersten Bauprojekte an der neu entstehenden Ringstraße findet sich unter der heutigen Adresse Parkring 9: Das Palais Erzherzog Wilhelm (Hochmeister von 1863 bis 1894) wurde von 1864 bis 1869 nach den Plänen Theophil Hansens errichtet. In diesem klassizistischen Bau wechseln Räume der Repräsentation mit privaten Rückzugsmöglichkeiten und dem Platzbedarf einer herrschaftlichen Hofhaltung nach dem Geschmack ihres Erbauers. Mit Esszimmer und Speisesaal zeigt die Raumaufteilung auch am Beispiel der Tischkultur öffentliche und private Sphären. Im Festsaal des ersten Stocks verschränkten Wilhelms Einladungen zu Festivitäten und Diners die verschiedensten Anlässe mit der gesellschaftlichen Stellung des Hausherrn als Mitglied der kaiserlichen Familie und hohem Militär sowie als Oberhaupt eines mit dem Erzhaus Habsburg eng verbundenen und damit im Gefüge der Monarchie angesehenen geistlichen Ritterordens. Seit Dezember 1878 fand der Ordensschatz dort seine Aufstellung, neben anderem mit den auch heute in der Schatzkammer zu besichtigenden Beispielen dekorativer Tischutensilien des 17./18. Jahrhunderts.
In der kurzen Zeitspanne zwischen Wilhelms Wahl und der von Kaiser Franz Joseph angeordneten Schließung der k. k. Wiener Porzellanmanufaktur (heute fortgeführt durch die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten) ließ das neue Ordensoberhaupt dort mehrteilige Porzellanservice anfertigen. Bestecke, Glas und weiteres Tafelsilber, u.a. von Kammerjuwelier Rozet & Fischmeister in Wien, vervollständigten die Bestände im Ringstraßenpalais. Aufgrund der wechselvollen Geschichte für das Haus nach 1918 haben sich davon nur Reste im Ordensbesitz gehalten. Bereits 1922 wurde Tischwäsche aus dem Palais verkauft, um die erschöpften Barmittel der Ballei Österreich aufzufüllen.
Zusammen mit Plänen, Fotografien und Karten aus dem Deutschordenszentralarchiv werden nun aus dem ehemaligen Palais Erzherzog Wilhelm erhalten gebliebenes Tafelsilber, Glas und Porzellan in einer Tischvitrine der Schatzkammer beispielhaft ausgestellt. Privaten Leihgebern sei für die Ergänzung der Objekte gedankt. Selbst wenn dem Orden nur mehr Marginalien der einstigen Anzahl überliefert sind, zeigen sich diese jedoch noch heute als Zeugnisse vergangener Zeiten, in denen ein fortschrittliches Bewusstsein mit dem Rückgriff auf überkommene (Ordens-) Traditionen und dem Festhalten an Kunstfertigkeit und Eleganz in das raumgewordene Lebensgefühl am Stadtsitz Erzherzog Wilhelms entführen können.
[Mag. Bernhard Huber, Mitarbeiter im Zentralarchiv des Deutschen Orden]
Bildnachweis - Vorschaubild: Die Tischvitrine in der Schatzkammer, Bild 1: Die Ausstellung des Tafelsilbers aus dem Ordensschatz seit Jahresende 1878 (Ausschnitt) [aus: DOZA, Bildsammlung, Lade 26], Bild 2: Bestände an Tafelsilber im Palais (Ausschnitt)[aus: DOZA, Ballei Österreich 50, Vertrag vom 28. Juni 1870, S. 17], Bild 3: Ab Jahresbeginn 1929 hielt der „Österreichische Klub“ seine Veranstaltungen im Palais ab. Das Foto zeigt den früheren Festsaal bereit für einen Vortrag [aus: Die Bühne, Heft 236, 1929, S. 30].