Engelfigur als himmlischer Schutz
mehr Rücksichtnahme walten zu lassen und die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Die Lenker der Fahrzeuge sind angehalten, stets aufmerksam zu sein.
Hinführung
Die Aufmerksamkeit der Menschen im Verkehrsgeschehen früherer Jahrhunderte war natürlich ebenso notwendig. Jedoch grenzten die technischen Möglichkeiten und die Ausstattung der Fahrzeuge die Sicherheit im Verkehrsgeschehen beträchtlich ein. So wurde zum Beispiel das Befahren einer talwärts führenden, nicht wirklich befestigten Straße oder eines Feldweges zu einer besonderen Herausforderung und stieß naturbedingt an ihre Grenzen. Da die Menschen durch die technischen Möglichkeiten ans Limit geführt wurden, suchten sie himmlische Hilfe und überirdischen Schutz. Gläubige nahmen und nehmen in ihren vielfältigen Nöten und Sorgen Zuflucht bei Gott Vater, bei Christus, der Gottesmutter Maria, den heiligen Engeln und den heiligen Männern und Frauen, die Vorbilder im Glauben sind. Es war die Zeit, in der Schutzengelbruderschaften gegründet wurden. Die vielen Schutzengelaltäre1 in unseren Kirchen zeugen davon. Das Schutzengelfest wird in der katholischen Kirche jährlich am 2. Oktober gefeiert. Besonders ins Auge fallen die vielen Schutzengelfiguren und -fahnen, die in manchen Pfarrgemeinden bei Prozessionen und Flurumgängen mitgetragen werden.
Wenn es um Engel geht, dann gibt es unterschiedliche Vorstellungen:
Sie tragen lange weiße Kleider, haben lange, blonde Haare, und Flügel - aber eigentlich kann man sie nicht direkt sehen. Trotzdem begegnen sie uns trotzdem in heutiger Zeit auf Schritt und Tritt. Die Geschäfte sind voller Engeldarstellungen in den unterschiedlichsten Formen. Für unsere Häuser werden diese Engel gekauft, verschenkt, aufbewahrt und liebevoll verwahrt. Dadurch wird die Sehnsucht nach Übersinnlichem, Außerweltlichem, vielleicht auch nach Heiligem sichtbar. Es wäre aber schade, wenn man den „Engel“ nur auf Bildern darstellen würde, die man nicht ganz ernst nimmt. Der Engel, als Geschöpf Gottes, ist ein fester Bestandteil der Bibel und kann nicht zum bloßen Symbol werden. Im Alten Testament offenbart der Engel die sichtbare Nähe eines unsichtbaren Gottes, eines rettenden und helfenden Gottes. Im Neuen Testament ist der Engel untrennbar mit dem Heilswerk Christi verbunden: Engel sind Verkünder der Frohbotschaft, sie stärken Jesus in der Wüste, ein Engel befreit Petrus usw.2
Giovanni Giuliani
In unserem Fall wurde im Jahr 1720 von Abt Gerhard Weixelberger (Abt von 1705-1728) von Heiligenkreuz eine Engelskulptur angedacht und in Auftrag gegeben. Der seit 1711 im Stift Heiligenkreuz wohnende und tätige Giovanni Giuliani3 (*1664 in Venedig; + 1744 in Heiligenkreuz, Niederösterreich) wurde mit dem Entwurf und der Durchführung beauftragt.
Giuliani wurde als Sohn einer Bäckerfamilie in Venedig geboren. Sein gestalterisches Talent veranlasste seinen Vater, den Buben um 1677/1678 in die Lehre einer venezianischen Steinmetz- bzw. Bildhauerwerkstatt zu geben. Nach Abschluss seiner Grundausbildung vervollkommnete er sein Können in München, um bei Faistenberger am Wittelsbacher Hof zu arbeiten. Bei einer Reise nach Bologna lernte er den großen Meister Giuseppe Mazza (1653 – 1741) kennen. Sein Stil wurde für die späteren Arbeiten in Wien (wo er im Stubenviertel wohnte) und in Heiligenkreuz prägend.
Schutzengelfigur
Der Künstler, vom Heiligenkreuzer Abt beauftragt, eine Schutzengelfigur aus Sandstein zu gestalten, nahm diesen Auftrag sicherlich gerne an. Er versah die von ihm geschaffene Engelstatue mit einer sogenannten Bleiweißfassung4 und verhalf somit dem Stift Heiligenkreuz, zu einer edel aussehenden Figur und die Kosten hierfür im machbaren Bereich zu halten. Mit dieser Art der Fassung wurde Marmor imitiert. In der Folge fand sich ein Stifter für die Säule, auf der der Schutzengel seinen dauerhaften Platz haben sollte. Der Abt des Stiftes und der Spender der Säule sind wie folgt verewigt: „SUB RDD GERARDO S.+ ABBATE VOVIT SIMON MAURER EX HOCHENRUEPERSTORFF 1720“ (Unter dem Hochwürdigsten Herrn, Herrn Gerhard Abt von Heiligenkreuz gestiftet von Simon Maurer aus Hohenruppersdorf [Weinviertel] 1720). Diese Inschrift gilt quasi als Urkunde und so können bis auf den heutigen Tag der Initiator und der Spender der Skulptur und der Säule eindeutig zugeordnet werden.
Aufstellungsorte
Da der Schutzengel an einem öffentlichen Ort aufgestellt werden sollte, wählte Abt Gerhard eine Anhöhe zwischen der Stiftspfarre Alland und Heiligenkreuz. Der erste Aufstellungsort war die sogenannte Allander Höhe bei der Abzweigung nach Mayerling. Die dort befindliche „Kreuzsäule“ aus dem Jahr 1586 bekam nun mit dem Schutzengel von Giuliani „geistliche Gesellschaft“. Wie oben schon erwähnt, war das Befahren der steil ansteigenden oder abfallenden Wege mit erheblichen Gefahren verbunden. So dienten das Kreuz und die Schutzengelfigur als religiöse Hinweiszeichen. Der Reisende wurde durch sie daran erinnert, überirdische Hilfe zu suchen. Zur Unterstützung dieser religiösen Idee wählte Abt Gerhard als Standort eben diese Allander Höhe. Im Volksmund wurde das Kunstwerk von Giuliani in der Folge „Schutzengelkreuz“ genannt. In einer Dissertation aus dem Jahr 1950 wird dieser Schutzengel mit Säule auch als „Engelkreuz“5 (Angelus Custos) bezeichnet6. Im März 19407 wurde im Zuge der Planung einer Reichsautobahn die Trassenführung über den südlichen „Zipfel“ des Konventgartens geplant. Die Trassenführung sollte auch die Allander Höhe mit einbeziehen. Den Planern der Autobahntrasse waren Kreuz und Engel auf der Allander Höhe ein Dorn im Auge. Die Monumente wurden abgebaut und im Stiftsbereich in einer Baracke zwischengelagert.
Anfang der fünfziger Jahre, das Stift war noch mit russischen Soldaten belegt, wurde trotz der Besatzung die Revitalisierung der Kunstwerke geplant und durchgeführt. 1952 fassten Abt Karl Braunsdorfer (1945-1969) und Kapitel den Beschluss, beide Werke wieder im Stiftsbereich aufzustellen. Die Planungen zogen sich bis 1955 hin. Dann war es soweit. Nach dem Abzug der russischen Besatzung wurde die Kreuzsäule in der Mitte des neu hergerichteten Mönchsfriedhofes an der Nordseite der romanischen Stiftskirche plaziert. Dort steht sie heute noch und bildet den Mittelpunkt des klösterlichen Gottesackers. Die verstorbenen Konventualen des Stiftes Heiligenkreuz werden bis zum heutigen Tag auf diesem Friedhof in geweihter Erde beigesetzt.
Den Schutzengel betreffend, war es ebenfalls nicht leicht, während der russischen Besatzung des Stiftes (1945-1955) einen geeigneten Ort zu finden. Nach dem Abbau auf der Allander Höhe wurde er auf einer Mauer vor dem sogenannten „20erHaus“ an der Badenerstraße8 aufgestellt und mittels eines Bretterverschlages vor den Unbilden des Wetters geschützt. Dieser Verwahrort befriedigte keinesfalls. Der Schutzengel war kaum zu sehen, wurde übersehen und in der Folge verschwand seine Existenz aus den „Köpfen der Menschen“. Aus den Augen – aus dem Sinn, kann man sprichwörtlich sagen. Im Jahr 1961 wurde dieser unbefriedigende Zustand für die Patres des Stiftes unerträglich. Es begannen Überlegungen, wo und wie diesem Kunstwerk ein würdiger, dauerhafter Aufstellungsort gegeben werden kann. Nach sorgfältiger Überlegung wurde die Idee geboren, den Zwickel an der Badenerstraße, kurz bevor sie in die Allanderstraße mündet, zu verwenden, um die Schutzengelstatue dort aufzustellen. Der Standort war gut gewählt. An dieser Straßengabelung kann sie von den Verkehrsteilnehmern gut gesehen werden und erfüllt als „religiöses Wegzeichen“ ihren spirituellen Zweck. Besonders gut sichtbar ist die Engelstatue für Autofahrer, die vom Helenental kommend nach Heiligenkreuz einfahren.
Der Kustos des Stiftes, P. Roman Nägele OCist, hatte im Jahr 2015 die Idee, dieser wunderbaren Figur das originale Aussehen mit Hilfe der ursprünglichen Bleiweißfassung wiederzugeben. Im Laufe der Jahrhunderte war diese edle Fassung verlorengegangen, sodass der Betrachter Jahrzehnte „nur“ die aus Sandstein gehauene Statue sehen konnte. Die Idee, dem Schutzengel wieder ein weißes, nobles Aussehen zu verleihen, wurde von Herrn Abt Maximilian Heim OCist und in der Folge in der Zentralkanzlei vom Hauptökonom des Stiftes P. Markus Rauchegger OCist, wohlwollend aufgegriffen. Mit den Arbeiten konnte das Atelier Mag. Christian Gurtner beauftragt werden. Nach Abschluss der Oberflächenbearbeitung (Bleiweißfassung) im Jahr 2017 wurde die Statue von Herrn Gurtner wieder an ihrem ursprünglichen Platz auf der Säule im Zwickel an der Badener Straße aufgestellt.
Ausblick
So kann der Engel, der mit seiner erhobenen Rechten nach oben weist, Menschen an den Schutz Gottes erinnern. Der hoch aufflatternde Zipfel seines bewegten Mantels erinnert symbolisch an die Wirkmächtigkeit Gottes. Die Linke führt das Kind näher an sich heran. Wenn dem Leser dieser Zeilen oder dem Verkehrsteilnehmer beim Ansichtigwerden der Engelstaute das Lied „Näher mein Gott zu dir …“ einfällt, dann haben die Kunstfertigkeit Giulianis und die Absicht des Auftraggebers ihren religiösen Auftrag erfüllt und dem Menschen die Nähe Gottes sichtbar vor Augen gestellt. Nur eines ist dann noch notwendig: Der Betrachter muss sich im Herzen ansprechen lassen.
Wir freuen uns, dass zum 300jährigen Bestehen dieser wunderbaren Skulptur die Sonderbriefmarke und der Sonderstempel herausgegeben werden. Die Philatelisten und Kunstkenner sollen die religiöse Idee, die mit diesem Engel verbunden ist, kennen und schätzen lernen.
Wir in Heiligenkreuz wollen mit diesem Kunstwerk auf den Schutz Gottes, den wir in dieser bewegten Zeit tatsächlich brauchen, aufmerksam machen. Wenn mit diesen Zeilen die Aufmerksamkeit auf unseren Künstler, auf unser Haus und auf unseren Herrgott gelenkt werden kann, haben sich alle Anstrengungen und finanziellen Aufwendungen gelohnt. Somit kommt uns der Himmel ein Stück näher. Dieser Schutzengel soll und muss zum Heil der Menschen und zur Freude der Kunstliebhaber bekannt gemacht werden. So kann alles zur höheren Ehre Gottes gereichen.
[Kustos MMag. Roman Nägele OCist e.h.]
[1] Schutzengelaltar in der Stiftskirche Neukloster in Wiener Neustadt
[2] vgl. Johannes Vrbecky, Kunst im Stift Neukloster http://www.neukloster.at/de/musik-und-kunst/kunstwerke/get/page/der-schutzengelaltar/
[3] Eines seiner ersten Werke für das Stift Heiligenkreuz waren die Figuren zu den Choraltären der Stiftskirche von Heiligenkreuz, 1694/96; vgl. Elfriede Baumann, Giovanni Giuliani, Dissertation, Wien 1950, 125ff.
[4] Dieses historisch bedeutende Anstrichsystem ist im 19. Jh. fast in Vergessenheit geraten – nach dem Motto: „Materialwahrheit“ oder: „…laßt Steine zu uns sprechen…“. Mit dieser aufwendigen Beschichtung wurde edler Marmor imitiert.
[5] Baum Elfriede, Giovanni Giuliani, Entwicklung und Ableitung seines Stils, Diss. Universität Wien, Wien 1950, S. 148f.
[6] Die Aufstellung - Kombination von Schutzengelstatue und Kreuzsäule – war Vorbild für die Gruppen am Kreuzweg von Heiligenkreuz und im Stiftsgarten. vlg. Baum Elfriede, Giovanni Giuliani, Verlag Herold, Wien, München 1964, S. 56.
[7] Das Stift Heiligenkreuz war während des Zweiten Weltkrieges nicht aufgehoben. Abt Gregor Pöck (1862-1945) hatte Hausverbot. Im Stiftsgebäude wohnten einige Konventualen, die den ‚laufenden Betrieb‘ besorgten. Die im Stift untergebrachten Wehrmachtsoffiziere und –soldaten schonten im Hinblick auf die Anwesenheit der Konventualen das Inventar des Hauses. Von 1945 bis 1955 waren russische Soldaten einquartiert.
[8] Diese Hinweise verdanke ich meinem Vorgänger als Kustos Prof. Werner Richter.
Fotocredits: MMag. Roman Nägele OCist e.h.