"Verlangen als solches ist nichts Schlechtes"
Askese und Keuschheit ist es nicht mehr, Sexualität zu unterdrücken oder zu verneinen, sondern sie auf gute Bahnen zu lenken, sagt die Grazer Soziologin Isabelle Jonveaux im Gespräch mit der Winer Kirchenzeitung "Der Sonntag". Jonveaux, die am 10. September 2020 auch als Referentin zu Gast am Fest der Orden im Kardinal König Haus war (siehe ON 6/20), meint, "Verlangen als solches ist nichts Schlechtes"; entscheidend sei, was die Ordensfrau oder der Ordensmann daraus mache. Eros und Askese seien kein Widerspruch. Was man allerdings beobachten könne, sei eine Verschiebung weg von einer geißelnden strengen Askese der Wüstenmönche hin zu Formen des Fastens und der freiwilligen Beschränkungen, wie der Keuschheit oder Disziplin im Umgang mit Handy und Internet.
Hypersexualisierte Gesellschaft
Das Schwierigste im Klosterleben sei für viele Ordensleute nicht der Zölibat oder die Keuschheit, es sei nur "oft die Dimension, die von der Gesellschaft am wenigstens verstanden" wird, so die Soziologin, die 2018 ihr Buchs "Mönch sein heute. Eine Soziologie des Mönchtums in Österreich" veröffentlich hatte. Als Grund nannte Jonveaux die "aktuell hypersexualisierte Gesellschaft".
Ürsprünglich sei Askese bei den Wüstenvätern und -müttern mehr ein "Zeichen des Protests gegen eine dekadente Gesellschaft und sogar gegen die Kirche gewesen", so Jonveaux. Sühne und Buße habe somit eine stellvertretende Funktion für die Sünde der Gesellschaft erlangt. Damit habe auch die "fleischliche Versuchung" keine rein sexuelle Komponente, sondern betreffe alle "Bewegungen von Körper und Geist, die sich von dem endgültigen Ziel der Beziehung zu Gott". Die Verurteilung des Körpers sei erst im Mittelalter erfolgt, so die Soziologin im Interview mit "Der Sonntag".
Neue Formen der Askese
In der heutigen Zeit bedeute allein die Tatsache, "sein ganzes Leben Gott zu übergeben und für immer in eine Gemeinschaft einzutreten, in der man ein Gehorsamsgelübde ablegt und damit auf eine bestimmte Form der Freiheit verzichtet, eine Askese für die heutige Gesellschaft", meinte Jonveaux. Zudem gebe es selbst in der modernen Gesellschaft neue Formen säkularer Askese, die teils strenger seien als die alte klösterliche Askese. Als Beispiel nannte die Wissenschaftlerin etwa neue Arten des Fastens. Dazu Jonveaux: "Die Askese behält ihren Sinn nur, wenn sie sich zu jeder Epoche und jeden Ort anpasst."
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Quelle: kathpress.at
[robert sonnleitner]