"Lieber am Viktoriaplatz als in Moria"
Tageszentrum nahe Viktoriaplatz
"Es ist besser, hier auf dem Viktoriaplatz zu sein, als in Moria leben zu müssen", sagte mir eine Frau aus Afghanistan in gebrochenem Englisch. Ich begleitete sie mit ein paar anderen Frauen und Kindern vom Viktoriaplatz in das Tageszentrum des JRS (Jesuit Refugee Service), mit dem unsere Schwestern nun seit über drei Jahren zusammenarbeiten.
Sie gehen jeden Nachmittag zum Viktoriaplatz, einem überschaubaren, parkähnlichen Platz an der gleichnamigen U-Bahnstation gelegen, eingerahmt von Lokalen und kleinen Geschäften. Die Schwestern begegnen dort Menschen auf der Flucht, großteils aus Syrien, dem Irak und Afghanistan – meist sind es ganze Familien, die von Lesbos kommend, mit Kind und Kegel bis zu 2 Wochen dort im Freien ausharren, bis sie von der Polizei in Lager und Unterkünfte am Festland gebracht werden. Die Gruppe der Flüchtenden wechselt also alle 8 bis 14 Tage und lässt damit das geschäftige Treiben auf und am Viktoriaplatz noch um ein vielfaches stärker erscheinen.
Praktisch um die Ecke vom Viktoriaplatz liegt das 2. Haus des Flüchtlingsdienstes, in dem unsere Schwestern bis vor Ausbruch der Corona-Pandemie gewohnt haben. Dort ist nach wie vor der Bildungsbereich untergebracht, den Sr. Carmen leitet und in dem auch die anderen Schwestern mitarbeiten. Sprachkurse und auch Unterricht in Mathematik und anderen Fächern werden für Jung und Alt angeboten – alles unter strengen Corona-Auflagen.
Corona ändert Flüchtlingsarbeit
Die Pandemie hat die Aktivitäten unserer Flüchtlingsarbeit in Athen verändert und fordert täglich neu die Kreativität unserer Schwestern heraus. Es geht darum, den Menschen dorthin nachzugehen, wo sie sich gerade aufhalten.
Kleine Schritte und Zeichen sind es, die unsere Schwestern setzen können. Sie verändern zwar nicht das politische System und die äußeren Umstände der Menschen, aber sie machen für viele einzelne einen Unterschied. In all der Dramatik und Trostlosigkeit des Fluchtalltags versuchen sie, einfach da zu sein, zuzuhören und mitzufühlen. Allein als Mensch wahrgenommen und gesehen zu werden, bewirkt schon viel. Eine Dusche und saubere Kleidung zum Wechseln machen einen Unterschied.
Lange in Erinnerung bleiben wird mir aus diesen Tagen auch die Erfahrung der Solidarität so mancher einheimischen Griechinnen: etwa die drei Apothekerinnen am Viktoriaplatz, die sich um die Flüchtlinge sorgen und den Schwestern unterstützend zur Seite stehen oder die Parkwächterin, die uns auf einen herumstehenden Karton mit guten Kleidungsstücken hinweist, die sofort Abnahme bei den Leuten finden. Mir fallen Worte ein wie: Menschlichkeit, Achtsamkeit, Mitgefühl, auch Frauensolidarität,... oder ganz einfach das ur-christliche Wort Nächstenliebe, ganz nach dem biblischen Gleichnis des barmherzigen Samariters (oder der Samariterin) ...
Sr. Hemma Jaschke SSpS
[elisabeth mayr]