Jesuit P. Zollner: Kirche braucht langen Atem um Vertrauen zurückzugewinnen
Kinderschutz-Experte P. Hans Zollner: "Gott ruft uns auf, uneingeschränkt zu dem zu stehen, was an Verbrechen passiert ist in der Kirche." (c) Georg Pulling/Kathpress
"Das geht nicht von heute auf morgen, die Menschen müssen spüren, dass es der Kirche ernst ist und sie wieder ein sicherer Ort für Kinder, Jugendliche und andere Schutzbefohlene ist", bringt es der Ordensmann auf den Punkt. Der Jesuit ist Theologe, Psychologe und Psychotherapeut und lehrt seit 2003 am Institut für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom; seit 2010 ist er dort Vizerektor. Zollner ist u.a. aber auch Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission und Präsident des "Centre for Child Protection" an der Gregoriana. Wörtlich sagte Zollner: "Um das verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen, wird die Kirche einen langen Atem brauchen."
Im Rahmen der Ringvorlesung "Sexueller Missbrauch von Minderjährigen: Verbrechen und Verantwortung" hatte Zollner am Montagabend, 16. Dezember 2019, an der Universität Wien einen Vortrag gehalten, in dem er vor allem als Mitglied und Präsident des "Centre for Child Protection" an der Gregoriana, der päpstlichen Kinderschutzkommission, über die Aktivitäten dieses Zentrums berichtet. So wurde u.a. ein zweijähriger interdisziplinärer Master-Studiengang "Safeguarding" eingerichtet, der sich an Studierende aus aller Welt richtet. Mit dem zentralen Anliegen, dass die Absolventen ihre Erkenntnisse für ihre jeweilige Kultur und Situation adaptieren.
Neue Kirchenrechtsnormen gegen Missbrauch
Im Kathpress-Interview äußerte sich der Kinderschutz-Experte über den vatikanischen Anti-Missbrauchsgipfel im vergangenen Februar sehr positiv. Der Gipfel habe weltweit Schwung in die Auseinandersetzung mit der Problematik gebracht. Papst Franziskus habe zudem die Kirchenrechtsnormen gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche verschärft. Die neuen Vorschriften des Dokuments mit dem Titel "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) traten mit 1. Juni 2019 in kraft. U.a. müsse jede Diözese bis 1. Juni 2020 ein Prozedere entwickeln, wie Missbrauchsfälle anzuzeigen sind. Ein weiterer wichtiger Schritt sei etwa die allgemeine Meldepflicht für Geistliche und Ordensleute, wenn ein Verdacht von Missbrauch vorliegt.
Nicht nur ein Problem der katholischen Kirche
Zollner berichtete, dass er inzwischen in seiner Funktion als Kinderschutz-Experte in mehr als 65 Ländern in aller Welt unterwegs gewesen sei. "Die Kirche bewegt sich überall, aber es gibt eben auch unterschiedliche Geschwindigkeiten." Sein Fazit: "Es tut sich wirklich etwas. Aber es besteht noch ein ungeheurer Bedarf nach Schulung und Ausbildung. Die Kirche jedes Landes müsse für sich herausfinden, wie mit dem Thema Missbrauch im jeweiligen kulturellen Kontext richtig umgegangen wird. Der Kinderschutz-Experte betonte weiters, dass Missbrauch nicht nur ein Problem der katholischen Kirche sei. Evangelische und Orthodoxe seien genauso davon betroffen. Freilich gebe es dazu noch wenige Daten bzw. stehe die Aufarbeitung erst am Anfang. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich diesen Herbst erstmals intensiv mit der Aufarbeitung von innerkirchlichem sexuellem Missbrauch befasst.
Missbrauch und Liturgie
Zollner hatte in der Vergangenheit immer wieder bemängelt, dass es in der Kirche kaum eine Diskussion gebe zur Frage: "Was will Gott uns mit diesem Skandal sagen?" Seine persönliche Vermutung dazu: "Gott will uns aufrütteln. Wir waren zu selbstzufrieden und nicht imstande, adäquat mit Kindern und Jugendlichen umzugehen. Gott ruft uns auf, uneingeschränkt zu dem zu stehen, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten falsch gelaufen und an Verbrechen passiert ist in der Kirche." Jesus identifiziere sich mit den Verwundeten und denen, die geheilt werden müssen. Es gelte das biblische Prinzip: "Die Wahrheit wird auch frei machen." Nachsatz: "Und nur die Wahrheit."
Im März 2020 werde genau zu diesen Fragen auch ein theologischer Kongress an der Gregoriana stattfinden, kündigte der Ordensmann an. Eine der Fragen, die dabei behandelt werden soll: Wie kann das Thema Missbrauch im Rahmen der Liturgie adäquat eingebracht werden. Zollner: "Viele Betroffenen haben das Anliegen, dass wir für und mit ihnen häufiger beten, als das derzeit der Fall ist." Ganz generell müsse das Leid der Opfer stärker in die Liturgie Platz finden, "in kreativer Weise und die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, selbst zu Wort zu kommen".
[rsonnleitner]