Sensationsfund bei "Abstaubaktion": Zwei neue Fragmente der Riesenbibel von St. Florian entdeckt
Foto: Stift St. Florian/Kerschbaummayr
Das erste Fragment diente als Einband für eine Archivhandschrift der Pfarre Schöndorf (Vöcklabruck) aus dem Jahr 1594 und enthält eine Passage aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer (Röm 15,4–16,7). „Die Überprüfung des Layouts gab den entscheidenden Hinweis auf die Riesenbibel“, sagt Friedrich Buchmayr. „Der Text ist sowohl im Codex als auch beim Fragment auf zwei Spalten mit 45 Zeilen pro Seite aufgeteilt, die jeweils 15 cm breit und 48 cm hoch sind.“
Das zweite Fragment mit dem Beginn des Buchs der Psalmen fand sich als Einband auf einem Predigtbuch aus dem Jahr 1601. „Der Band ist mir wegen der schön verzierten D-Initiale sofort aufgefallen“, erzählt Clemens Kafka. Die weitere Untersuchung ergab, dass der Buchbinder mithilfe eingeritzter Linien das Riesenbibelblatt so zum Einband faltete, dass die farbenfrohe Initiale genau auf dem Vorderdeckel zu liegen kam. Viele grüne Ranken mit roten Seitentrieben und einer großen Anzahl verschiedenfarbiger Knollen, Blätter und Blüten umspielen den Buchstaben D. Friedrich Buchmayr und Clemens Kafka konnten eine verwandte D-Initiale im vorhandenen Band der Riesenbibel auffinden und so den ersten Nachweis für die Zugehörigkeit des Fragments erbringen.
Als Einbandmaterial verwendet
Die wissenschaftliche Überprüfung, ob die beiden Fragmente tatsächlich zur St. Florianer Riesenbibel gehören, war zeitaufwendig und nahm mehrere Monate in Anspruch. Von den vielen verschwundenen Blättern sind im Laufe der Jahrhunderte bisher nur zwei Fragmente in Linz (OÖ. Landesbibliothek) und in Wien (Österreichische Nationalbibliothek) aufgetaucht. Die beiden neuen Fragmente kamen ebenso wie die zwei schon bekannten um 1600 als Einbandmaterial in Verwendung. Es war nicht unüblich, dass Teile mittelalterlicher Handschriften für Einbände und Ausbesserungen neuerer Bücher herangezogen wurden. Dass auch die kostbare Riesenbibel nicht von dieser Recyclingaktion verschont geblieben ist, führt Stiftskustos Harald R. Ehrl auf die Geringschätzung dieses alten Bibeltypus infolge der Reformation und des Medienwechsels von der Handschrift zum gedruckten Buch zurück.
Größte mittelalterliche Handschrift Österreichs
Die Riesenbibel von St. Florian gilt mit ihren enormen Maßen (66 x 48 cm) als größte mittelalterliche Handschrift Österreichs. Das prunkvoll ausgestattete Werk wurde um 1140/50 im eigenen Skriptorium angefertigt. „Größe und Umfang der Bibel zeigen, welch hohe Bedeutung das Wort Gottes für die Chorherren nach der Reform von 1071 hatte“, erläutert Stiftskustos Harald R. Ehrl. Ursprünglich dürfte die Riesenbibel drei Bände mit allen Büchern des Alten und Neuen Testaments umfasst haben. Erhalten blieb allerdings nur ein Einzelband.
Aus diesem Anlass zeigt das Stift St. Florian die Riesenbibel, die sonst nicht zu sehen ist. Am Sonntag, 30. Juni 2019 um 16 und 18 Uhr, Treffpunkt im Stiftshofhof beim Adlerbrunnen. Die Führung begleitet Kustos Harald R. Ehrl. Weiters sind die neu entdeckten Fragmente im Rahmen der Stiftsführungen ab sofort bis Ende August 2019 im Hauptsaal der Stiftsbibliothek zu sehen. Stiftsführungen für Individualbesucher finden täglich um 11, 13 und 15 Uhr statt.
Abstaubaktion auch im Sommer 2019
Im Laufe des Sommers 2018 konnten alle Bücher im schwer zugänglichen Galeriebereich und mehr als ein Drittel der übrigen Bücher gereinigt und begutachtet werden. Auch diesen Sommer geht die große Reinigungsaktion mit dem Abstauben der Bücher weiter.
[hwinkler]