Freiheit kann Angst machen
Janis Joplin singt: „Freedom's just another word for nothin' left to lose.“ Provokante Frage: Haben Ordensleute nichts zu verlieren und können deshalb leichter loslassen?
Sr. Cordis: Loslassen betrifft alle Menschen. Loslassen begleitet uns ein Leben lang, von der Geburt bis zum Tod. Es ist existentiell, egal von welcher Seite du es ansiehst.
Sr. Beatrix: Es beginnt schon damit, dass die Mutter das Baby aus ihrem Leib loslassen muss; wir sprechen von der Ent- Bindung. Das ist schon das erste, ganz große Loslassen, das das ganze Leben lang weitergeht.
Sr. Cordis: Die Bibel spricht meistens nicht vom Loslassen, sondern vom Fortziehen. Abraham zieht aus seinem Land fort. Oder Lukas 14,26: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben hinter sich lässt, dann kann er nicht mein Jünger sein.“
Ich muss jemanden, etwas verlassen, damit ich woanders hingehe?
Sr. Beatrix: Das kommt darauf an, wo ich hingehe. Wenn ich den Schritt des Verlassens setze, dann setze ich ihn im Sinne Jesu, weil ich ihm nachfolge. Dann schaue ich auf ihn, und alles andere vergesse ich.
Sr. Cordis: Eine verheirateter Mann oder eine verheiratete Frau folgt auch seiner Frau bzw. ihrem Mann. Ich lasse los um etwas Besseren willen. Offensichtlich fällt es den Menschen schwer, loszulassen. Im Web geht es meistens darum, wie lerne ich loszulassen.
Sr. Beatrix: Weil das sehr viel mit Sicherheit zu tun hat. Was ich habe, das kenne ich. Und das Andere kenne ich nicht. Freiheit kann auch Angst machen.
Sr. Cordis: Das betrifft sowohl das Materielle als auch das Geistige. In beiden Fällen kann Loslassen befreiend sein oder dir Schreck einjagen. Loslassen ist auch über weite Strecken nicht planbar.
Sr. Beatrix: Wir haben in unserer Ordensregel unter dem Thema Armut einen Dreischritt, der auf das Wort „verlassen“ aufbaut. Das hat eine vielfache Bedeutung. Zunächst einmal sage ich, ich verlasse mich auf Gott. Ich verlasse mich, dass er mich nicht verlässt, dass er mich hält. Das andere ist ein Verlassen im Sinne des Vertrauens auf die Gemeinschaft; ich verlasse mich darauf, dass ich von der Gemeinschaft bekomme, was ich brauche. Und das Dritte ist, ich bin bereit, selbst bei den Verlassenen zu sein. Für Ordenschristen hat es eine ganz spezifische Dimension; wir geloben Armut, das heißt, ein ganz bewusstes Loslassen, Aufgeben, Verzichten. Um bei denen zu sein, die unfreiwillig die Armen sind. Selbst freiwillig arm sein, um bei den unfreiwilligen Armen zu sein und ihnen zu helfen. Und in letzter Konsequenz bin ich auch bereit, Verlassenheit auf mich zu nehmen, was auch Jesus in letzter Konsequenz am Kreuz erfahren hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Sr. Cordis: Loslassen ohne Vertrauen ist schwierig.
Also wieder zurück zum Start: Armut ist Freiheit ist „nothing left to lose“?
Sr. Beatrix: Es geht ja nicht nur um materiellen Besitz. Es geht auch um meine Talente, um meine Fähigkeiten. Und da gibt es viele Chancen zum Behalten-wollen oder Hergeben. Denn ich kann ja auch zum Beispiel als Lehrer sagen: Nein, meine Unterrichtsvorbereitung bekommst du nicht. Es ist die ganze Frage des geistigen Besitzes. Oder des Bereitseins, meine Talente einzusetzen für die Anderen. Das hat sehr viel mit Großzügigkeit und mit Nicht-neidisch-Sein zu tun. Viele Menschen haben das Gefühl, sie sind nur dann etwas wert, wenn sie etwas arbeiten. Wie schwer das fällt, loszulassen, wenn man älter wird, sehe ich bei meinen Mitschwestern. Sich helfen zu lassen, das ist auch ein Loslassen. Sich unterstützen lassen, eine Heimhilfe kommen lassen, was für ein Drama. Bis hin, ja, bereit sein, dem Ende des irdischen Lebens auch entgegenzugehen. Viele Leute wenden sich da ab; nur ja nicht vom Tod reden, das irdische Leben festhalten. Mir gefällt der Satz von Marianne Gronemeyer gut, den sie in ihrem Buch „Das Leben als letzte Gelegenheit“ sinngemäß schreibt: Früher war die irdische Lebenserwartung kürzer, aber die Menschen haben zu ihren 60, 70 Jahren ein ganze Ewigkeit dazu gelebt in der Überzeugung, dass es das Leben nach dem Tod gibt. Wenn ich glaube, dass mit dem irdischen Leben alles aus ist, dann habe ich die totale Panik, was muss ich jetzt noch schaffen oder erleben, was darf ich nicht versäumen. Oder ich setze all meine Hoffnung in meine Kinder oder in mein Werk, sie müssen fortsetzen, was ich in meinem Leben nicht geschafft habe. Das haben wir natürlich auch in Ordensgemeinschaften, wo eine abgewählte Oberin nicht loslässt und noch immer mitredet und reinpfuscht.
Hilft hier das Gelübde des Gehorsams, loslassen zu können?
Sr. Beatrix: Die Gelübde muss man als Einheit sehen. Es ist eine Form der Hingabe. Ich denke, die Kirche hat viele Berufungen. Und eine Form der Berufung, in der Nachfolge Jesu das Evangelium zu leben, ist, mich mit meiner ganzen Existenz in eine Lebensform hineinzubegeben, die sagt, es gibt mehr als das irdische Leben. Ich kann auf die Ehe verzichten, ich kann sogar auf die erfüllende sexuelle Begegnung verzichten, weil ich überzeugt bin, das Leben ist noch viel größer. Ich kann auf irdischen Besitz verzichten, weil ich weiß, es gibt einen überbordenden Reichtum der Liebe Gottes. Und ich kann meine eigenen Entscheidungen hineingeben in einen größeren Kontext der Gemeinschaft, in der Entscheidung des Gehorsams meinen Willen hineingeben, weil ich weiß, dass Gottes Wille unendliche Freiheit ist.
Sr. Cordis: Ich glaube aber auch, dass eine große Gefahr darin steckt. Ich kann das so übernatürlich ansiedeln, dass meine Beine nicht mehr auf den Boden reichen. Oder ich kann alles nur mehr so aufs Lebensende fokussieren, dass jüngere Ordensfrauen auch sagen: Also wenn es nur noch diesen Punkt zu besprechen gibt, dann kommen wir einfach nicht mehr zum nächsten Austauschtreffen. Es ist immer eine Gratwanderung.
Sr. Beatrix: Ich musste als Provinzoberin eine ganze Reihe von Häusern schließen. Es war immer ein sehr schmerzhafter Prozess. Wenn es eine große Kongregation ist, die ein Haus, eine Gemeinschaft schließt, dann tut das natürlich weh. Aber wenn es eine kleine, singuläre Gemeinschaft ist, und man weiß, jetzt geht es wirklich zu Ende, dann ist das natürlich doppelt schlimm. Schmerzlich ist es immer. Gott sei Dank ist es so. Es wäre ja traurig, wenn ich mir denke, endlich ist der Saftladen zu Ende. Denn das würde ja bedeuten, das Ganze war ein Drama.
[rsonnleitner]