Schlusspunkt in der Politik
Der gebürtige Vorarlberger NEOS-Gründer, Klubchef, Parteiobmann und leidenschaftliche Politiker Matthias Strolz hat mit Ende September 2018 für viele überraschend alle seine politischen Funktionen zurückgelegt. Fotos: [mschauer]
„Ich habe einen guten Draht zu mir selber entwickelt. Seit ich 17 bin habe ich verschiedene Ausbildungen wie Coaching, Beratung oder Selbsterfahrungen gemacht. So habe ich einen guten Draht zu meiner inneren Stimme, meinem inneren Ort entwickelt. Und diese innere Stimme hat mich quasi zum Abschied beordert.“ Da schwingt kein Gramm Wehmut mit, sondern Klarheit und innere Zukunft: „Wenn ich ersetzbar bin, dann ist es Zeit aufzuhören. Eine Andere kann das besser oder zumindest gleich gut. Als systemischer Organisationsentwickler sehe ich jede Organisation als soziales Lebewesen und dort – in der Partei – war meine Ersetzbarkeit gegeben. Auch wenn ich noch zwei, drei Jahre frisch gewesen wäre, war der Zeitpunkt genau der richtige.“ Strolz ist Vater von drei Kindern und meint: „Meine Vaterrolle hat aufgezeigt und deutlich gemacht: als Vater bist du unersetzlich.“ Der ehemalige Vollblutpolitiker spricht vom Ziel der Regierungsverantwortung. Das hätte ihn zumindest neun Jahre an die Politik gebunden. Seine Töchter hätten ihn nur als „Politiker-Vater“ erlebt. Er erzählt von einer Familienkonferenz am Gardasee, wo ihm die heranwachsenden Kinder attestiert haben: „Du bist ungeduldiger geworden. Das war früher anders.“ Die Unersetzbarkeit als Vater war damit noch deutlicher. Es bleibt aber klar: „Ich glaube an Berufung und meine Berufung war es, mit anderen beherzten Bürgerinnen und Bürgern eine neue politische Kraft zu stiften. Das Alte ist gestorben und das Neue ist noch nicht da. Das verunsichert. Die Menschen greifen deshalb heute auf das Vorgestrige und das Uralte zurück. Die Lederhose ist der Ausdruck dafür. Das Neue soll aber ein Gefäß finden. Das war mit NEOS meine Berufung.“
Die Stimme des Herzens hören lernen
„Ich glaube an die Stimme des Herzens und daran, dass man das lernen kann, sie zu hören.“ Dass diese Stimme in einer reizüberfluteten Welt und in ganz viel materiellem Wust schwer gehört werden kann, sieht Strolz recht klar. Fasten, meditieren, schamanische Techniken und Erkenntnisse der Hirnforschung helfen ihm. Wie findet man den Schlusspunkt? „Das ist ein Prozess, das reift. Viele Gespräche, verschiedene Techniken, ein paar Tage das Handy ausschalten. In der Ruhe bekomme ich dann Klarheit.“ Politik ist nicht nur eine Leidenschaft, sondern kann auch zur Droge werden. „Die Kinder sind ein gutes Korrektiv. Das aufgeschlagene Knie der Tochter schlägt den Bundespräsidenten am Handy. Die ganze Welt der Kinder ist unverhandelbar. Das ist der Gegenpol und relativiert alles.“ Familie ist für Strolz Rückzugsort und Kraftquelle. Seine Frau ist ebenso ein „kritischer Coach“. Strolz praktiziert verschiedene Rituale wie Yoga, Bewegung und Sport. „Berührung ist mir ganz wichtig geworden. Und die Bitte an lebende und verstorbene Menschen wie meinen Vater: Hilf mir, dienstvoll zu sein.“ Strolz spricht von deformierenden Kräften und der täglichen Dosis Selbstvergiftung, die mit der Politik einhergehen. „Du musst deine Kraftquellen kultivieren: Familie, Natur, Spiritualität, Sport, Bewegung, Rückzug, Ruhe. Lauter Dinge, die eigentlich alle Weltreligionen kultiviert haben.“
Ein Lernender bleiben
Die Tage der Entscheidung sind vorbei, der Schlusspunkt ist gesetzt: „Ich komme mir vor, ich liege auf einem Fluss und treibe in einer gewissen Absichtslosigkeit, aber mit einem Urvertrauen im Fluss des Lebens. Mir begegnen die unglaublichsten Dinge, Impulse, interessante Menschen. Ich sehe Dinge, die ich ansteuern kann. Ich weiß oft gar nicht, wo ich jeden Tag anfangen soll, aber das alles ohne Druck, in großer Freiheit und persönlicher Zeitsouveränität.“ Der ehemalige Politiker ist gerade dabei, alles abzugeben, einen neuen Laptop aufzusetzen, die alltäglichen Dinge wieder neu zu ordnen, alles selber zu machen. „Ich übe mich gerade in der Absichtslosigkeit, auch wenn vieles los ist und noch einen Nachlauf braucht.“ Er selbst hat im Sommer einen Surfkurs besucht und ist so zum Lernenden geworden. Dazu hat er eine Ausbildung zum „social architect“ begonnen. Diese Methodik ist in der internationalen Friedensarbeit im Einsatz. Seine Idee von den 1.000 Partnerstädten in Afrika wächst in diesem neuen offenen Raum. „Ich habe mich immer als Gärtner des Lebens gesehen, als Impulsgeber. Ich kultiviere soziale Felder. Ich will, dass dort was Gutes wächst. Schneller wachsen kann. Ich baue Landebahnen für die Zukunft. Das bleibt. Das sehe ich als meine Berufung.“ Ein Buch- und Fernsehprojekt stehen dazu im Raum. „Auch wenn Nein-Sagen nicht meine Stärke ist, so kämpfe ich gerade wie ein Löwe, um diese sechs Monate absichtslos über die Bühne zu bringen. Nein ist das wichtigste Vokabel für ein selbstbestimmtes Leben. Die Dinge ergeben sich gerade.“ Er spricht auch davon, dem „inneren Schelm“ mit einem CD-Projekt Platz zu geben. Ziel: „Wirksam bleiben.“
Die Frage nach dem Ort der Wirksamkeit
„Schlimm wäre es, wenn meine Berufung abgelaufen wäre und ich verbleibe. Dann schwinden die Lebenssäfte.“ Das sagt Strolz aus seiner Erfahrung in Hinblick auf das Ordensleben, das er aus der eigenen Verwandtschaft mehrfach kennt: „Ich kann nur eine gute Ordensfrau, ein guter Ordensmann sein, wenn die Berufung authentisch aufrecht ist. Es ist ja nichts Böses, wenn sie erloschen wäre. Alles im Leben hat seine Berechtigung.“ Er sieht das Thema Gehorsam und Ergebenheit heute überladen. Jeder muss auf seine Stimme hören: Wo in der Gemeinschaft ist meine richtige Rolle, mein Ort? Ist dieser Ort aber abgelaufen, nicht mehr stimmig, dann muss ich mich artikulieren gegenüber den Ordensoberen, um gemeinsam darauf zu schauen, was wir damit machen. „Es geht immer darum, diese Leidenschaft zum Leben gut wirksam in die Welt zu bringen. Ich bin ein Liberaler, aber noch mehr bin ich von der Biophilie im Sinne von Erich Fromm geprägt, von der Liebe zum Leben, zur Lebendigkeit. Und ein Orden kann dieser Hort der Lebendigkeit sein. Das können sich viele Menschen nicht vorstellen, weil sie darin einen Ort der Lustlosigkeit und der In-Sich-Gekehrtheit sehen. Nein, das ist das pralle Leben mit allem an Reibung und Zumutung im positiven Sinn.“ Strolz plädiert eindringlich, sich immer wieder die Frage zu stellen: Was hält mich selbst wach? „Auch Ordensleben kann wie das Vater-Sein oder Lehrer-Sein zu einer grauen Routine werden. Aber: Jeder von uns hat diesen inneren Punkt, wo er mit Idealismus gestartet ist. Es geht darum, diesen inneren Punkt immer wieder zu suchen.“ Für Ordensleute sieht Strolz diesen „archimedischen Punkt des Ordenseintrittes, den ich ein Leben lang wachhalten muss“. Er sieht das als Pflicht. „Wenn sich dieser Punkt verschüttet durch Abstumpfung, Routine, möglicherweise durch Ablauf der Berufung, dann muss ich mich neu orientieren. Wo findet sich der neue Ort für mich? Ordensleute und religiöse Menschen haben hier den Vorteil, dass sie diesen Ort auch im Zwiegespräch mit Gott ergründen können.“
[fkaineder]