In das Strickmuster einen haltenden Faden einweben
Wie geht Gemeinschaft?
Sr. Bonaventura: Zuerst ist ganz wichtig, dass jede ihre tiefe Berufung spürt und weiß, dass sie geliebt ist. Für jede Berufung gibt es den Platz. So kann sich jede als Teil sehen, sich hierher gestellt erleben. Mit dieser achtsamen und respektvollen Haltung wollen wir einander begegnen. Natürlich hat jede auch ihre Ecken und Kanten. Aber wie heißt es: Jede trage des anderen Last. Wenn es Streit gibt, eine Tür lauter zufällt oder gar Verletzungen passieren, dann braucht es früher oder später das Eingeständnis: Da war ich daneben. Ich bitte um Verzeihung. Dann braucht es das Miteinander-beten als dauernde Ausrichtung auf Gott hin. Wir haben die Arbeitszeiten der Schwestern so abgestimmt, dass sie für das Gebet und das Gemeinschaftsleben Zeit haben. Was uns noch wichtig ist: Wir tauschen uns aus, reden die Dinge an, ganz konkret. Und für jede soll so Platz sein, dass ihre Eigenart zum Ausdruck kommen darf. In jedem Menschen Jesus lieben. Das begründet die Hochachtung voreinander.
Was hält zusammen?
Sr. Bonaventura: Es ist unglaublich verbindend, wenn wir uns vor Augen führen, dass seit 1690 hier an diesem Platz, in diesem Haus schon gelebt und gebetet wird. Heute darf ich das einbringen. Jetzt. 2018. Hier haben Schwestern ihr Dasein so verstanden, wie es Jesus gesagt hat: Was ihr den Geringsten getan habt. Das hält uns zusammen. Dieser Dienst aus christlicher Nächstenliebe ist die Motivation. Wir schauen auf Franziskus, auf Elisabeth. Wo sind heute die Aussätzigen? Wo würde Elisabeth heute helfen? So sind wir anlässlich unseres 325-Jahr-Jubiläums mit der Idee des VinziDorf-Hospiz beschenkt worden. Diese Einrichtung für obdachlose Sterbende ist uns zur Herzenssache geworden. Gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Krankenhauses stellen wir uns in den Dienst dieser konkreten Menschen. Das hält uns wirklich zusammen, bringt uns zum ursprünglichen Auftrag. Es geht aber nicht nur um die Ordensgemeinschaft, sondern um die vielen Menschen, die im elisabethinischen Charisma arbeiten und leben.
Was hält die Einzelnen?
Sr. Bonaventura: Da möchte ich jetzt den Kreis weiter ziehen. Wir sind 15 Schwestern und über 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krankenhaus. Wir haben intensiv um Nachwuchs gebetet und gekommen sind die MitarbeiterInnen. Wir sehen sie nicht einfach als Arbeitskraft, sondern sehen, wie sie auch „elisabethinisch brennen“ und im Ordenscharisma stehen. Das hält jeden Einzelnen und hält auch uns als Schwesterngemeinschaft. Als Schwestern sind wir gerufen, stellvertretend alle „mit ins Gebet zu nehmen“. Wir möchten so das Herdfeuer sein, von dem eine gute Atmosphäre durch das Haus gehen möge. Jede und jeder hat dann und wann Sorgen. Wir sagen: Komm damit und wir wollen dich mittragen. Gerade das Wir-beten-für-dich hat schon oft nasse Augen bewirkt. So fühlt sich jede und jeder einzeln angenommen, getragen und wird nicht einfach zur Arbeitskraft degradiert. Auch wenn viel Professionalität verlangt ist und dort und da alles eng wird, so muss am Ende immer der Mensch das Maß sein. Das will Gott so und auch unsere Gründerinnen. Und ich bin sehr dankbar, weil ich selber auch in meiner Verantwortung als „Mutter Oberin“ mich getragen, gehalten und begleitet fühle.
Wie geht Verbundenheit?
Sr. Bonaventura: Der persönliche Austausch ist ganz wichtig. Seit wir das pflegen, begegnen wir einander anders, mit mehr Achtung und Wahrnehmung. Es ist wichtig, dass sich dafür wirklich alle Zeit nehmen. Das ist mir wichtig. Wir nehmen einen geistlichen Impuls und jede reihum kann sich dazu äußern. Aus ihrer Sicht. So lernen wir voneinander und lernen uns schätzen. Auch wenn die Beziehungen sehr unterschiedlich sind, weil eine zurückgezogener ist und eine andere sich gerne äußert, so sollten wir nie aufhören mit dem Bemühen, einander zu verstehen. Wichtig: aktiv aufeinander zugehen. Von vorne anfangen dürfen. Eine ganz große Portion Wohlwollen im Herzen mittragen.
Was gefährdet den Zusammenhalt?
Sr. Bonaventura: Oft liegen Verletzungen quer oder Versöhnung ist nie passiert. Umgekehrt hätte man vielleicht einmal drüber schlafen sollen, bevor man überemotional reagiert hat. Daher: um Versöhnung ringen wollen. Wollen ist wichtig.
Das VinziDorf-Hospiz in Graz St. Leonhard direkt neben dem seit 25 Jahren bestehenden VinziDorf ist in seiner Art einmalig in Europa. In zwei Hospizbetten können von Obdachlosigkeit geprägte Menschen mit unheilbarer schwerer Krankheit gepflegt werden. Damit bleiben sie in gewohnter Umgebung und Freunde und Vertraute bleiben in ihrer Nähe. Ein interdisziplinäres Team wurde für die Betreuung zusammengestellt, darunter Palliativ-Fachkräfte. Neben der 24-Stunden- Pflege gibt es ein Team von Ehrenamtlichen. Der Konvent, Kooperationspartner, Sponsoren und SpenderInnen erhalten das Hospiz, das am 5. April 2017 feierlich eröffnet wurde. Fotos: [fkaineder]
Was bedeutet das VinziDorf-Hospiz für die Elisabethinen?
Sr. Bonaventura: In unserer Kommunität sind zwei Drittel „alte Schwestern“. Gerade ihnen ist es wichtig, diese Idee und den Ort mitzutragen. Wir sehen, dass Schwestern und Brüder im weitesten Sinne hier mittragen. Es ist uns wichtig, in das Strickmuster eines obdachlosen, sterbenden Menschen einen tragenden, haltenden Faden einzuweben. Einer dieser Obdachlosen, der dort ein Zuhause gefunden hat, meinte: Ich hätte mir nie gedacht, dass mich jemand mag, sich um mich kümmert. Gut, dass wir mit vielen gemeinsam diesen Ort geschaffen haben. Er soll das Herz der Menschen anrühren, ob sie nun gepflegt werden oder dort als Helfer oder Helferin dabei sind. So tragen wir einander.
[fkaineder]
ORF-Sendung FeierAbend vom 10. Mai 2018: "Die letzte Adresse"
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