Monokulturen sterben aus
Vielfalt in der Gemeinschaft
Unsere Ordensgemeinschaft, der Orden der Prämonstratenser hat ein lateinisches Motto, das für heutige Verhältnisse vielleicht etwas seltsam klingt: „Ordo noster, non habet speciale – Unser Orden hat keine spezielle Aufgabe.“ Das muss man natürlich im richtigen Zusammenhang sehen. Es bedeutet, dass wir nicht auf eine bestimmte historische Aufgabe fixiert sind, sondern dass wir, je nach Interesse, je nach Lage, je nach Herausforderung der Zeit unsere Aufgaben wahrnehmen. Und hier in Geras ist es so, dass unsere Hauptaufgabe die Seelsorge der vielen kleinen Pfarreien in diesem Dekanat ist. Nebenbei haben wir natürlich auch spezielle Aufgaben wie zum Beispiel Kräuterseelsorge, Gesundheit, Musik, Philosophie und ganz besonders: den Schwerpunkt der Ökumene-Ostkirchenarbeit. Das war auch das, was mich vor fast 40 Jahren motiviert hat, hier in ein Grenzlandkloster einzutreten. Unsere Lebensform ist also insofern interessant, weil sie, kirchlich gesprochen, zur sogenannten Vita mixta gehört – eine gemischte Lebensform. Wir sind damit nicht auf eine Form festgelegt, sondern pflegen eine Kombination aus allen Elementen. Wir haben gemeinschaftliche Elemente, monastische Elemente, aber auch ein sehr starkes pastorales Element. Aber was wir hier hauptsächlich anbieten ist, dass die Menschen zu uns kommen und wir sie einladen, in dieser einmaligen und einzigartigen, ruhigen Gegend zu sich selbst zu finden. Da bieten wir zum Beispiel auch Fastenkurse, Einkehrtage, Einkehrwochen etc. an. Die Menschen sollen einfach kommen und spüren: Hier ist ein Kraftplatz.
Vielfalt im Alltag
#VielfaltStärkt, darunter verstehe ich einmal, dass wirklich jeder sein persönliches Charisma leben und entfalten darf. Und dass eine Gemeinschaft erst dann eine gute und lebendige Gemeinschaft wird, wenn diese Vielfalt auch zum Tragen kommt. Ich denke, das ist wie in der Natur: Alle Monokulturen, das sehen wir ja, sind eigentlich zum Aussterben verurteilt. Und dort, wo die Vielfalt lebt und sich entwickeln kann, dort ist wirklich Leben, dort ist auch gesundes Leben. Ich glaube, diese Erfahrung aus der Natur sollten wir auch in unserem religiösen, spirituellen Leben nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch realisieren.
Vielfalt im Fremden
Jedes Kloster pflegt im Grunde genommen die Gastfreundschaft, weil sie etwas ist, das meiner Meinung nach untrennbar mit einer klösterlichen Gemeinschaft verbunden ist. Für mich und für uns hier in Geras kommt vielleicht noch eine zusätzliche Komponente dazu: Im Griechischen heißt das Wort „Xenos“ beides, nämlich „Gast“ und „Fremder“. Also jemand, der nicht zur Gemeinschaft gehört, ist gleichzeitig Xenos, der Fremde ist wie ein Gast willkommen. Das ist etwas, worum ich und wir uns sehr bemühen: Dass jeder, der zu uns kommt, wirklich spürt, er ist hier willkommen. Angst vor Fremdem und Fremden ist aber eine sehr heikle Sache. Ich frage mich persönlich immer, woher diese Angst kommt. Und wenn man dann analysiert, wo und warum diese Angst entstand – sie kommt ja nicht aus heiterem Himmel, sondern sie ist in den Menschen drinnen, es sind bestimmte Erfahrungen, die die Menschen prägen –, dann kann man meiner Meinung auch etwas dagegen tun. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Angst ist etwas, das nicht motiviert, sondern lähmt, das wissen wir. Davon muss man die Furcht unterscheiden. Sie ist etwas anderes, sie kann motivieren, nach vorne zu gehen. Das kennt man vom Fluchtreflex aus der Natur. Ich bin sicher, dass wir Ordensleute in besonderer Weise gefordert sind, hier mit aller Klugheit und Weisheit korrigierend zu wirken. Und auch unsere Stimmen zu erheben, denn ich glaube, da wird auf uns gehört! Wir können auch aus unserer eigenen Erfahrung heraus dazu beitragen, dass diese Angst abnimmt, dass sie die Menschen nicht beherrscht, dass sie ihr Denken nicht lähmt, sondern dass sie sehen lernen, dass die Vielfalt etwas ist, das uns alle bereichert. Dass Vielfalt schön sein und Freude bereiten kann. Allerdings glaube ich sehr wohl, dass wir auch hier den Blick vor der Realität nicht verschließen dürfen.
Michael Proházka, seit 2007 Abt von Stift Geras, ist Magister der Novizen und Kleriker und Archimandrit und Kirchenrektor der byzantinischen Kapelle zur Hl. Auferstehung Christi. Seit mehreren Jahren hat er Kontakt zu Geistlichen der griechisch-katholischen
(melkitischen) Kirche im Nahen Osten. Angesichts der angespannten und kritischen Lage in Syrien gründete er die Initiative „Geras hilft Syrien“. Fotos: © Magdalena Schauer
Vielfalt in den Religionen
Ich bin fest davon überzeugt, dass Fremdes bereichert und Vielfalt stärkt und ich denke, das war auch der Grund, warum ich hier vor 14 Jahren begonnen habe, die byzantinische Kapelle zu errichten, die zunächst für manche etwas fremdartig war, etwas Seltsames. Es kamen viele Fragen à la: „Wieso gerade in einem katholischen Kloster so etwas fremdes Ostkirchliches?“ Mittlerweile spüren die Leute aber, dass katholisch eigentlich bedeutet, in Vielfalt zu leben. Und das ist etwas, das mich durch mein ganzes priesterliches und klösterliches Leben immer wieder begleitet und motiviert. „Christlich geht anders“ ist für mich ein sehr gutes Motto, weil es mich sehr stark an die Urkirche erinnert. Wir Ordensgemeinschaften versuchen, aus der Tradition der Urkirche zu leben. Und das war genau das Problem zwischen Judenchristen und Heidenchristen: Die Judenchristen, die sich um Petrus geschart haben, waren eher eng untereinander und haben sich gegenüber anderen abgegrenzt, der Apostel Paulus, im Gegensatz dazu, war jener, der das Fremde integriert hat, der die Heiden hereingeholt hat, ohne sie zunächst einmal zu Judenchristen zu machen. Und diese Spannung, die ja dann auf dem Apostelkonzil entschieden wurde, ist für mich ein Paradigma für unsere heutige Zeit: Nämlich dass das Fremde nicht stört, nicht kaputt macht, sondern im Gegenteil: dass es erweitert. Ich denke mir immer, was wäre unsere katholische oder unsere christliche Kirche heute, wenn der Apostel Paulus nicht alle diese Völker hereingeholt hätte? Ökumene ist beides, bereichernd und schwierig. Und zwar auch aus einem einfachen Grund: Ich denke, wir sind noch gar nicht übereingekommen, welche Form von Einheit und welches Verständnis von Einheit wir in der Ökumene anstreben. Es gibt ja verschiedene Einheitsvorstellungen, von der versöhnten Verschiedenheit bis zu einer eher gemeinsamen Lebensform. Ich denke, da müssen wir uns ein bisschen klarer werden, welche Form von Einheit und Verschiedenheit wollen wir? Und welche ist möglich? Und natürlich auch, welche Form von Einheit entspricht dem Auftrag Jesu, der Heiligen Schrift, seinem Wirken und seinem Wesen?
Fotos: Magdalena Schauer
[mschauer]