#Gemeinschaft hält
Tippt man das Stichwort „Gemeinschaft“ in Google ein, erscheint, noch ehe man das Wort zu Ende geschrieben hat, eine Vielzahl von Begriffen: Staatengemeinschaft, Wertegemeinschaft, Ehegemeinschaft, Fahrgemeinschaft, Glaubensgemeinschaft … Natürlich fehlt in dieser Auflistung auch nicht die Ordensgemeinschaft. Wohin das Auge blickt, es ist kein Ende der Gemeinschaften in Sicht. Wir alle gehören verschiedenen Gemeinschaften an. Nur – was ist eine Gemeinschaft eigentlich? Was ist ihnen allen gemeinsam? Was hält sie zusammen und, im Gegenzug, was lässt sie scheitern? Solange es Menschen gibt, solange leben sie in Gemeinschaften zusammen. In der Soziologie wird der Begriff Gemeinschaft als soziale Gruppe von Menschen definiert – was dann eine Familie, Kirche, Partei, Gewerkschaft, ein Verein oder ein Unternehmen sein kann. Diese Menschen verbindet ein Wir-Gefühl, manchmal über mehrere Generationen hinweg. Alleine dauerhaft zu überleben ist nur den wenigsten „Lonesome Cowboys“ wirklich geglückt. Das Institut für Soziologie an der Universität Münster setzte sich vor einigen Jahren intensiv mit dem sozialen Phänomen Gemeinschaft auseinander. Was braucht es also für eine funktionierende Gemeinschaft? Letztendlich kristallisieren sich sieben Punkte heraus:
Eins: Ziel
Voraussetzung ist ein gemeinsames Ziel, das aus einer gemeinsamen Idee (z.B. Religion, Philosophie, Staatsform) oder durch Schicksal (etwa einer Notsituation) entsteht und welches außerhalb eines nur persönlichen Wunsches liegt. Weil dieses Ziel existiert, entsteht daraus eine gemeinsame Grundlage, eine gemeinsame Orientierung; Gemeinschaft subsumiert sich letztendlich in einer „Interessens-Identität“: Durch die Existenz homogener, sich ergänzender Interessen und das Bewusstwerden der Chancen der besseren Erreichung findet man gemeinsame Lösungen. Matthias Grundmann, Soziologieprofessor an der Universität Münster, definiert Gemeinschaft „als ein sozialer Organismus, der belebt wird durch die Menschen, die gemeinschaftlich leben“. Die Vermittlung einer sozialen und personalen Identität, die sich in dem Satz „Du bist einer von uns“ kulminiert, ist das, was Gemeinschaft emotional bedeutet. Das heißt aber letztendlich, dass es nicht eine „gute“ oder eine „schlechte“ Gemeinschaft gibt, sondern ganz vielfältige Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Die „Volksgemeinschaft“ des Nationalsozialismus mit seiner rassistischen Ideologie hatte letztendlich unmenschliche Folgen. Hier zeigte sich die Perspektive, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, von seiner schlimmsten Seite, nämlich die auszugrenzen, die eben nicht dazugehören. Objektiv gesehen kann auch das verbindendes Ziel einer Gemeinschaft sein.
Anlässlich des Internationalen Tages des Friedens am 21. September 2016 setzten SchülerInnen und Lehrkräfte des Schulstandorts Sta Christiana in Frohsdorf ein Zeichen für ein friedvolles Zusammenleben. Die Kindergartenkinder, Schüler der Volksschule, NMS, HLW/BAfEP und ihre Lehrer schenkten in Form einer Sonne ihrem Wunsch nach Frieden Ausdruck. Foto: Philipp Gumhalter
Zwei: Konfliktbewältigung
Hand in Hand gehen damit gute Methoden für die menschliche Konfliktbewältigung einher. Menschen erleben Gemeinschaft nur dann, wenn sie sich in Beziehung zueinander setzen. Und: Gemeinschaft erfordert viel persönliches Engagement – beides liefert Konfliktpotenzial, bei dem es auch einmal ordentlich krachen kann. Die Balance zwischen persönlichkeitsunabhängigen „Notwendigkeiten“ und wertschätzendem Respekt vor der Individualität des Einzelnen muss gewahrt werden.
Drei: Leitung
Gemeinschaft braucht Leitung: Persönlichkeiten, die den Gemeinschaftsgedanken auch dann noch tragen, wenn vieles schiefgeht. Im Idealfall sollte die Leitung aus Personen bestehen, die natürliche Autoritäten sind, weil sie die entsprechenden menschlichen und sachlichen Fähigkeiten haben und weil sie das Vertrauen der Gruppe besitzen. Unbedingte Voraussetzung ist dafür die professionelle Kooperation dieser Trägerfiguren. Eine herrschaftsfreie Leitungsstruktur kann Wissens- und Respekt-Hierarchien bilden, deren Ziel es sein sollte, ein hierarchisches Gefälle abzubauen.
Vier: Rollen
Damit eine Gemeinschaft funktionieren kann, braucht sie eine klare Rollenstruktur. Innerhalb einer Gesellschaft muss jedes Mitglied wissen, an welchem Platz es steht, was seine Aufgabe ist und welche Verantwortung es trägt. Jede Person hat seine spezielle Funktion im Ganzen. Das gemeinsame Ziel muss durch die individuelle Anstrengung erreicht werden, was wiederum bedeutet: Ziele müssen motivierend, realistisch und messbar sein. Präzise Arbeitsteilung und die klare Zuordnung der Aufgaben liegt wiederum in der Verantwortung der Leitungsfunktionen. Voraussetzung dafür wiederum ist das Vertrauen der Gruppe in ihre Trägerfiguren.
Fünf: Transparenz
Damit Vertrauen entstehen kann, braucht sie die Transparenz aller wichtigen Vorgänge und Entscheidungen. Besonders für die Bereiche Autorität und Macht, Geld und Ökonomie muss sie Transparenz schaffen durch geeignete Methoden und klare Kommunikation, weil sie sonst bald den im Hintergrund ausgetragenen und damit undurchschaubaren Konflikten zum Opfer fällt. Das Fehlen von Vertrauen durch mangelnde Informationen bzw. ungenügende Transparenz ist oft der Hauptgrund für das Scheitern von Gemeinschaften.
Sechs: Grundwerte
Gemeinschaft braucht gemeinschaftliche Grundwerte und deren unverrückbare Verankerung in ihren gesellschaftlichen Strukturen. Empathie, Partizipation, Gastfreundschaft, gegenseitige Unterstützung, Transparenz, Vertrauen – je mehr Gültigkeit und Bedeutung diese Grundwerte innerhalb einer Gesellschaft erhalten, desto mehr können sie für die gemeinschaftlichen Ziele eingesetzt werden und ihre Umsetzung unterstützen.
Sieben: Rituale
Bei guter Entwicklung und gutem inneren Wachstum kreiert jede Gemeinschaft ihre eigenen authentischen Rituale. Plötzlich entstehen eigene Sitten, eigene Lieder, eigene Gemälde, eigene Feste und eigene Vorbilder, die diese gemeinschaftliche Identität leben.
[rsonnleitner]