Reibung bringt Nestwärme
Martin Pfeiffer, gleichzeitig Geschäftsführer des Bildungszentrums Kenyongasse, verfolgt ein Motto: „Vielfalt ist unsere Stärke.“ Er gibt zu: „Man könnte sagen, wir haben das Motto von der Friesgasse abgeschaut (was Sr. Karin Kuttner von der Friesgasse zum stolzen Lachen bringt). Ganz klar ist, dass es natürlich Vorbilder gibt. Viele Institutionen und viele Schulerhalter setzen ebenfalls auf diesen Schwerpunkt und haben somit große Kompetenz in diesem Bereich entwickelt. Vielfalt ist nichts, das zufällig entsteht, sie ist keine Willkür. Ganz im Gegenteil, Vielfalt bedeutet, Rahmen für neue Ideen zu schaffen. Das braucht viel Engagement und gleichzeitig hohe Frustrationsgrenzen. Wir wünschten uns vielleicht manchmal, dass wir etwas mehr Gleichtakt hätten. Aber es gibt mittlerweile interessante Literatur, die aussagt, dass Monokulturen über kurz oder lang aussterben werden. Darum ist Vielfalt einfach etwas enorm Belebendes. Manchmal natürlich aber auch beunruhigend, wenn plötzlich ein Element dazukommt, mit dem man nicht gerechnet hat. Das heißt, man ist selbst gefordert und hat die Chance, etwas dabei zu lernen. Vielfalt ist bei uns im Haus ein sehr wichtiger Aspekt, wir haben eine große Bandbreite an Religionen und Nationen, die wir hier betreuen, und zwar nicht, weil es so sein muss, sondern weil wir das als unsere Aufgabe sehen. Das ist das Schöne daran. Natürlich reibt sich das auch, aber Reibung passiert auch in Monokulturen – oft noch viel subtiler und intensiver. In der Vielfalt, glaube ich, haben wir die Chance, Reibung in Nestwärme umzuwandeln. Und wenn das gelingt, dann profitiert jeder davon.“
Bewusst entängstigend arbeiten
Sr. Karin Kuttner ist sich sicher: „Auseinandersetzung mit Diversität und Vielfalt ist anstrengend und erfordert sehr viel Arbeit an der eigenen Position. Das heißt, es ist immer auch eine Herausforderung, adäquat darauf zu antworten. Es ist einerseits eine unheimliche Chance und andererseits auch mühsam, belastend und nicht nur Easy going. Ich unterstelle einfach einmal, dass es für manche Menschen schwierig ist und sie sich das nicht antun wollen. Es mag viele Gründe geben und einer, der immer wieder genannt wird, ist die Angst vor dem Fremden, die natürlich geschürt wird, das wissen wir inzwischen hinlänglich. Ich denke, gerade Bildungseinrichtungen wie die KKTH arbeiten ganz bewusst entängstigend. Das ist einer der Aufträge, die ich für uns sehe. Der Pädagoge Klaus Krause sieht Vielfalt in den Projekten, die von den Kindern kommen, die aus ihrem Innersten herausbrennen. Er sieht das Feuer in den Kindern, wenn ihnen nichts zu anstrengend ist. „Wenn man etwas von außen verordnet, dann gibt es schnell einmal Widerstand. Gleichzeitig ist es aus pädagogischer Sicht viel anstrengender. Das heißt, Kinder, die aus sich heraus motiviert sind, muss ich ja auch überzeugen, wenn es um Kompromisse und Konsenslösungen geht. Daher ist manchmal die Versuchung auch da, es von außen zu bestimmen.“ Sophie Steinmetz geht d’accord, sie betont, dass es um das „Sich Einlassen“ geht. Sie freut sich, wenn ein Kind mit einer neuen Idee auf sie zukommt und es stolz wird, wenn es merkt, dass sie seine Idee weiter aufgreift. Viele Kinder verbringen viel Zeit in Kindergärten und bekommen zu Hause manchmal zu wenig Aufmerksamkeit. Momente, in denen sie merkt, dass sie einem Kind Zeit schenkt und es diese wirklich genießt, sind ihre größte Freude.
Im intensiven Austausch über die stärkende und herausfordernde Vielfalt: Von links Martin Pfeiffer, Sophie Steinmetz, Moderator Ferdinand Kaineder, Sr. Karin Kuttner und Klaus Krause. Foto: [mschauer]
Wenn man für die Sache brennt...
Für Sr. Karin Kuttner sind Rahmen und das große Maß an gestaltbarer Freiheit von Bedeutung. „Ich denke auch, dass die Verantwortlichen intrinsisch motiviert sein müssen: ‚Wofür tue ich mir das Ganze überhaupt an?‘, fragt man sich oft. Ich brauche also eine tiefe Verwurzelung, denn so eine große Institution zu leiten bedeutet nicht immer nur Sonnenschein. Wenn man also nicht weiß, warum man etwas tut und was einen treibt, dann brennt man aus. Weiterzubrennen für eine Sache braucht immer wieder auch Rückbesinnung und ein Sich- Vergewissern: Was ist der Sinn hinter dem Ganzen? Wenn man hier in der KKTH und bei Ordensschulerhaltern hinschaut, sieht man einen ganz starken Austausch und auch das gegenseitige Stärken und Ermutigen. Das hilft uns ungemein und dann brennt man auch nicht aus.“ Auf die Frage nach begünstigenden Faktoren für Vielfalt antwortet Martin Pfeiffer: „Gustav Mahler hat einmal gesagt, das Wesentliche in der Musik steht nicht in den Noten. So in etwa ist es auch mit dem Thema Vielfalt, mit der Freude, die einen nach oben tragen kann. Ich glaube, da gibt es viele begünstigende Faktoren: dass man Flexibilität zulässt und dass man einen durchaus geordneten Rahmen hat, in dem trotzdem viel möglich ist. In dem man Kolleginnen und Kinder fördert und ihnen viel ermöglicht, manchmal großzügig, manchmal pingelig und kleinlich ist, weil man gerade glaubt, dass eben das notwendig ist. Es ist die große Bandbreite. Einstimmig zu singen ist schön. In einem Chor, in einer Mehrstimmigkeit, in der trotzdem jeder seine eigene Stimme und Rolle hat, kommt schon etwas noch Schöneres heraus.
Vielfalt in der Reibung
„Also ich glaube, dass gerade die Reibung manchmal das Beste hervorbringt“, betont Sr. Karin Kuttner die Gegenseite, „das heißt, wenn man sich den Konflikten innerhalb des Rahmens stellt, auch der Andersartigkeit des jeweils Anderen, ist ein unheimliches Wachstumspotential für den Einzelnen vorhanden. Im Gegenüber zum Anderen lerne ich, wer ich wirklich bin, und der andere lernt das dann auch. Es ist ein ganz starker Erziehungsauftrag aus christlichen Wurzeln heraus, zu lernen, sich diese Reibungsflächen zu geben. Damit nehme ich den anderen ja auch ernst und gebe ihm damit die Chance, in seiner Einzigartigkeit zu wachsen. Hier sehe ich großes Potential, wenn man das ganz bewusst immer wieder reflektiert und im pädagogischen Alltag umsetzt.“ Abschließend betont Klaus Krause: „Selbst wenn Vorurteile und Sorgen da sind, sobald ich mein Gegenüber, dieses Kind, kennenlerne, werden sie weniger. Man kann gar nicht früh genug damit anfangen, selbst ins Gleichgewicht zu kommen. Gerade das ist im Kindergarten sehr gut möglich.“
[mschauer]
Zur KKTH
23 Erhalter verschiedener Orden, der Casa, der Neulandschulen und der Caritas Socialis (CS) Kinderbetreuung haben sich 2009 zur Vereinigung Katholischer Kindertagesheime – KKTH zusammengeschlossen. Trotz unterschiedlicher Spiritualitäten und Strukturen – Einheit in der Vielfalt – geht die KKTH einen gemeinsamen Weg zum Wohle der Kinder, die in ihren Einrichtungen gefördert werden. Täglich besuchen 6.000 Wiener Kinder im Alter von 1 bis 14 Jahren die Einrichtungen der KKTH. Ordentliche Vereinsmitglieder sind die Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs, die Vereinigung der Frauenorden Österreichs und die Vereinigung von Ordensschulen Österreichs. Nähere Informationen unter www.kkth.at