Körper ist Instrument zur Entwicklung des Geistes
Als Kognitionswissenschafterin ist Macedonia international gefragte Keynote-Speakerin. Sie forscht und begleitet „Menschen durch Lernprozesse“. Ihr besonderer Zugang ist die Einbettung des Lernens in körperliche Gesten und Bewegungen. In der Fachsprache heißt das „embodiment of cognition“. Ihre Methode bringt beim Erlernen einer Fremdsprache einen 30-40% höheren Erfolg. Ausgangspunkt ihrer Studien war die Frage, wie der Mensch denkt, lernt, fühlt.
Mit Bewegung und Gesten verknüpfen
„Eigentlich müsste eine Sprache im Turnsaal erlernt werden. Es gibt Wörter, die man sich schwer merken kann. Wenn diese Wörter in einem Satz mit einer bedeutungsvollen Geste und Bewegung verbunden, assoziiert werden, dann gehen sie viel schneller rein und bleiben langfristig Bestandteil der Sprache.“ Sie hat beim Erlernen einer Fremdsprache die vielen Schwierigkeiten gesehen. In den 90er-Jahren hat sie „zufällig“ entdeckt, dass durch den Körper sich eine Form des Gedächtnisses für Prozeduren einschaltet, das die Behaltensleistung des Gelernten wesentlich erhöht hat: „Das kognitive und visuelle Erlernen wird mit Gesten und Motorik verknüpft. Das kann man als Lernstrategie einsetzen.“ Diese Annahme hat sie wissenschaftlich untersucht und ist heute wissenschaftlich belegt. „Bewegung ist der Schlüssel zum Lernen.“ Sie ist mit ihrer Methode, „den Körper beim Erlernen einer Fremdsprache einzubeziehen“, sicherlich international federführend. Die studierte Linguistin ist damit international als Vortragende unterwegs. Weil genau diese Methode des Lernens mit Bewegung Raum, Bewegungsraum, Ausdrucksraum braucht, hat sie im gängigen Bildungssystem zunächst große Skepsis ausgelöst. Heute wird es schön langsam Allgemeingut.
Genauigkeit und Wiederholung
Neben dem „Gestikulieren und der Bewegung beim Lernen“ rät Macedonia weiters „zu alten Prinzipien des Lernens“, die heute in den Hintergrund gedrängt werden. Wie kann ich das Vergessen reduzieren? „Zuerst ist es beim Erlernen der neuen Sprache wichtig, ganz genau zu sein. Genauigkeit verkürzt den Weg zur richtigen Anwendung der neuen Sprache. Schlamperei verhindert ein Hinweinwachsen in die neue Sprache.“ Die Neurowissenschafterin vergleicht das Erlernen der Sprache mit dem Erlernen eines Instrumentes: „Wer exakt ist von Anfang an, baut ein gutes trockenes Fundament, um das Bild vom Hausbau zu verwenden.“ Sie zeigt ein Beispiel: Tische – Tasche – Tusche. „Für uns in der deutschen Muttersprache sind die Bedeutungen klar. Aber wer sich die deutsche Sprache wie heute viele MigrantInnen aneignen will, muss ganz genau vorgehen, um die wirkliche Bedeutung zu erkennen und zum Ausdruck zu bringen. Wer diese Worte jeweils mit einer Geste oder Bewegung verknüpft, hat einen größeren und schnelleren Lernerfolgt.“ Dann sieht die Neuro-Forscherin ein weiteres bewährtes Prinzip: „Wiederholung macht die Meisterin und den Meister. Heute sind wir zu viel im ‚Edutainment‘ (Education and Entertainment) gelandet. Ruhig werden, sich mit einer Materie wirklich zu befassen, es immer wieder zu wiederholen, auswendig zu lernen sind fast verpönt. Aber: Nur ‚spielerisch‘ ist zu wenig. Es braucht das intensive, konzentrierte Lernen mit Ruhephasen und Konzentration. Ein Buch nehmen und daraus lernen ist ungewöhnlich, aber aus neurowissenschaftlicher Sicht unabdingbar.“
Digitalisierung und mentalistische Ansätze
Angesprochen auf die allgegenwärtige Digitalisierung und die Handys plädiert Macedonia für eine differenzierte Sicht: „Die Digitalisierung schafft einen ganz neuen Zugang zu Wissen. Aber viele Menschen nutzen die Medien lediglich zur Unterhaltung, z.B. für Online- oder Videospiele. Damit verbringen sie zwar viel Zeit, aber sie haben keinen Nutzen, um das eigene Wissen oder die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern. Da gibt es keine Patentlösung, wie wir mit diesen neuen Möglichkeiten umgehen. In jedem Fall dürfen sie nicht Selbstzweck werden, sondern müssen unterstützende Tools bleiben oder wieder werden.“ Macedonia schwärmt selber von den Vorteilen, die sich beim Reisen oder beim Organisieren von internationalen Tagungen damit ergeben haben: „Früher hat man dafür Tage gebraucht, heute ist das in wenigen Stunden erledigt.“ Auf Bildung angesprochen meint sie: „Es gilt genau zu schauen, was die Vorteile für die Bildung sind.“ Sie sieht in der Horizonterweiterung, im Zugang zu Informationen und den Zeitgewinn beispielsweise Vorteile. Die Nachteile, die Fehlentwicklungen dürfen nicht übersehen werden: Abnahme der Konzentrationsfähigkeit, Abhängigkeiten, Realitätsverlust oder neue Kontakthürden. Zusammen mit den heute weit verbreiteten „mentalistischen Ansätzen“, die sich in der Pädagogik zum Beispiel in Lückentexten oder in der „Zettelwirtschaft“ zeigen, gehen Systematik und Konsequenz verloren, lassen die Zusammenhänge wie in einem Lehrbuch nicht mehr erkennen. Im Bildungsbereich sieht Macedonia derzeit Theorien im Vordergrund, denen alles untergeordnet wird. „Das Empirische, das Tatsächliche wird abgelehnt zugunsten von Theorien.“ Am Beispiel der Fremdsprache und der Vokabeln: „Vokabeln sind die konkreten Bausteine der Sprache und deshalb sind sie so wichtig. Wer Vokabeln kann, wird die Sprache aktiv anwenden.“
Experience – Erfahrung und Lernen
„Wissen baut sich im Gehirn wie ein Netzwerk auf, ein erfahrungsbasiertes Netzwerk. Ein Kind hat den Drang, Erfahrungen zu sammeln, um die Welt kennen zu lernen, die Sprache zu erwerben und so weiter.“ Alle Ausdrucksformen des Kindes wie Fragen oder Protestieren sind „Wünsche nach Erfahrungen“. Wenn es Eltern oder Angehörigen gelingt, diesem Lerndrang positiv zu begegnen, wird ein wertvoller Grundstock für die Kognition des Kindes gelegt. Und wir Erwachsene benennen diese Welt, wenn sie schon mit einem Jahr auf etwas zeigen. Das Kind zeigt auf den Baum und wir benennen ihn mit „Baum“. Dabei hat das Kind den ganzen Körper im Einsatz. „Es nimmt mit allen Sinnen dieses neue ‚Wort‘ auf zusammen mit den Emotionen, Gerüchen und macht so Erfahrungen.“ Macedonia sieht im Köper das „Lerninstitut des ganzen Menschen“. Auch wenn es im Gehirn ein Sprachzentrum gibt, so ist immer der ganze Mensch mit Körper, Gehirn und Geist der Lernende. „Der Körper ist das Instrument, mit dem sich der Geist entwickelt. Der Geist ist nicht irgendwo, sondern im Körper daheim. Deshalb sind die körperlichen Erfahrungen so wichtig. Und genau darauf können wir beim Lernen bauen, weil Erfahrung bildet.“
Foto: JKU
[fk]
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